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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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kleinen Theater am krasinskischen Platze, auf welchem die Suczkowska, nachherige
Frau Halpert als Jungfrau von Orleans ihren Künstlerruhm gründete, sind die
beste Kritik des gegenwärtigen Theatcrweseus.

Die Russen scheinen sich bei den trivialen Stücken sehr behaglich zu finden.
Selbst Fürst Paskiewicz hält bisweilen bis zum letzten Acte ans, er hat das
Glück, ucich der Stellung seines fortwährend in Gebrauch befindlichen Opernguckers
zu schließen, die Poesie auch außerhalb der Bühne zu finden. Und schone Frauen-
köpfe schmücken die Logen von Warschau, selbst die junge Fürstin Jablonowska
ist die schönste noch nicht.

Alle Einrichtungen an dem Warschauer Theater sind dein des russischen Theaters
in Petersburg völlig gleich, aber fast ohne Ausnahme haben die Zöglinge der
dramatischen Schule sich als Handwerker bewiesen nud sind von den Künstlern
ans Provinzialstädten zur Seite gedrängt worden. Komorowöki, Panczykowski,
Karasiuski, Z olkowski, Werowski, der alte Kudlicz, die große Halpert, die Dobr-
zanska, Daszkiewicz ze. alle diese, zu welchen in den letzten Jahren noch einige
von der Lemberger Bühne und von kleineren Theatern gekommen sind, haben
die Wohlthat der dramatischen Schule nicht genossen und doch ist dem geringsten
dieser Künstler auch nicht einer von deu siebenzehn gleichgekommen, welche jene
Schule bis jetzt auf die Breter gebracht hatte; selbst Sturm nicht, der in der
That Erwartungen erweckte.

Die Schauspieler Kudlicz und Werowski sind Vorsteher der dramatischen
Schule. Nach ihrer eignen Versicherung sind sie mit wirklicher Begeisterung an
ihr Werk gegangen, aber nur zu bald zu der Ueberzeugung gelangt, daß die
Früchte der Mühe nie entsprechen werden. Kudlicz, ein tüchtiger Künstler und
wackerer, ehrlicher Maun, machte deshalb schon im dritten Jahre des Bestehens
der Schule dem General Rautenstrauch deu Vorschlag, die Anstalt als ein seinem
Zwecke nicht entsprechendes Ding völlig auszugeben. Die Entgegnung lautete:
ich habe mich uach höheren Vorschriften zu richten und diese bestimmt die Peters¬
burger Einrichtungen zum Muster. Also muß auch eine Schule sein.

Die Stellung der Schauspieler in Marschall ist der ihrer Collegen in Peters¬
burg völlig gleich. Am Tage uach ihrem erstell Auftritt werden sie als kaiserliche
Beamte in Pflicht genommen, müssen einen Eid leisten, sich nie an politischen
Interessen zu betheiligen, nie in Verbindungen einzulassen, und niemals aus der
Buhne mehr oder Anderes zu sprechen, als in ihren von der kaiserlichen Direction
gestempelten Rollen steht.

Die Gehalte in Warschau sind im Verhältnis zu den Gagen ausländischer
Schauspieler gering. Vierzig und fünfzig Silberrubel monatlich gelten schon für
ein sehr ansehnliches Gehalt und über tausend Rubel jährlich bringen es selbst
die vorzüglichsten Künstler nur selten. Frau Halpert mußte sich lange mit 900 Thlrn.
begnügen, bis endlich die Taglioni bei einem Gastspiel dem Fürsten Paskicwicz


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kleinen Theater am krasinskischen Platze, auf welchem die Suczkowska, nachherige
Frau Halpert als Jungfrau von Orleans ihren Künstlerruhm gründete, sind die
beste Kritik des gegenwärtigen Theatcrweseus.

Die Russen scheinen sich bei den trivialen Stücken sehr behaglich zu finden.
Selbst Fürst Paskiewicz hält bisweilen bis zum letzten Acte ans, er hat das
Glück, ucich der Stellung seines fortwährend in Gebrauch befindlichen Opernguckers
zu schließen, die Poesie auch außerhalb der Bühne zu finden. Und schone Frauen-
köpfe schmücken die Logen von Warschau, selbst die junge Fürstin Jablonowska
ist die schönste noch nicht.

Alle Einrichtungen an dem Warschauer Theater sind dein des russischen Theaters
in Petersburg völlig gleich, aber fast ohne Ausnahme haben die Zöglinge der
dramatischen Schule sich als Handwerker bewiesen nud sind von den Künstlern
ans Provinzialstädten zur Seite gedrängt worden. Komorowöki, Panczykowski,
Karasiuski, Z olkowski, Werowski, der alte Kudlicz, die große Halpert, die Dobr-
zanska, Daszkiewicz ze. alle diese, zu welchen in den letzten Jahren noch einige
von der Lemberger Bühne und von kleineren Theatern gekommen sind, haben
die Wohlthat der dramatischen Schule nicht genossen und doch ist dem geringsten
dieser Künstler auch nicht einer von deu siebenzehn gleichgekommen, welche jene
Schule bis jetzt auf die Breter gebracht hatte; selbst Sturm nicht, der in der
That Erwartungen erweckte.

Die Schauspieler Kudlicz und Werowski sind Vorsteher der dramatischen
Schule. Nach ihrer eignen Versicherung sind sie mit wirklicher Begeisterung an
ihr Werk gegangen, aber nur zu bald zu der Ueberzeugung gelangt, daß die
Früchte der Mühe nie entsprechen werden. Kudlicz, ein tüchtiger Künstler und
wackerer, ehrlicher Maun, machte deshalb schon im dritten Jahre des Bestehens
der Schule dem General Rautenstrauch deu Vorschlag, die Anstalt als ein seinem
Zwecke nicht entsprechendes Ding völlig auszugeben. Die Entgegnung lautete:
ich habe mich uach höheren Vorschriften zu richten und diese bestimmt die Peters¬
burger Einrichtungen zum Muster. Also muß auch eine Schule sein.

Die Stellung der Schauspieler in Marschall ist der ihrer Collegen in Peters¬
burg völlig gleich. Am Tage uach ihrem erstell Auftritt werden sie als kaiserliche
Beamte in Pflicht genommen, müssen einen Eid leisten, sich nie an politischen
Interessen zu betheiligen, nie in Verbindungen einzulassen, und niemals aus der
Buhne mehr oder Anderes zu sprechen, als in ihren von der kaiserlichen Direction
gestempelten Rollen steht.

Die Gehalte in Warschau sind im Verhältnis zu den Gagen ausländischer
Schauspieler gering. Vierzig und fünfzig Silberrubel monatlich gelten schon für
ein sehr ansehnliches Gehalt und über tausend Rubel jährlich bringen es selbst
die vorzüglichsten Künstler nur selten. Frau Halpert mußte sich lange mit 900 Thlrn.
begnügen, bis endlich die Taglioni bei einem Gastspiel dem Fürsten Paskicwicz


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[0113] kleinen Theater am krasinskischen Platze, auf welchem die Suczkowska, nachherige Frau Halpert als Jungfrau von Orleans ihren Künstlerruhm gründete, sind die beste Kritik des gegenwärtigen Theatcrweseus. Die Russen scheinen sich bei den trivialen Stücken sehr behaglich zu finden. Selbst Fürst Paskiewicz hält bisweilen bis zum letzten Acte ans, er hat das Glück, ucich der Stellung seines fortwährend in Gebrauch befindlichen Opernguckers zu schließen, die Poesie auch außerhalb der Bühne zu finden. Und schone Frauen- köpfe schmücken die Logen von Warschau, selbst die junge Fürstin Jablonowska ist die schönste noch nicht. Alle Einrichtungen an dem Warschauer Theater sind dein des russischen Theaters in Petersburg völlig gleich, aber fast ohne Ausnahme haben die Zöglinge der dramatischen Schule sich als Handwerker bewiesen nud sind von den Künstlern ans Provinzialstädten zur Seite gedrängt worden. Komorowöki, Panczykowski, Karasiuski, Z olkowski, Werowski, der alte Kudlicz, die große Halpert, die Dobr- zanska, Daszkiewicz ze. alle diese, zu welchen in den letzten Jahren noch einige von der Lemberger Bühne und von kleineren Theatern gekommen sind, haben die Wohlthat der dramatischen Schule nicht genossen und doch ist dem geringsten dieser Künstler auch nicht einer von deu siebenzehn gleichgekommen, welche jene Schule bis jetzt auf die Breter gebracht hatte; selbst Sturm nicht, der in der That Erwartungen erweckte. Die Schauspieler Kudlicz und Werowski sind Vorsteher der dramatischen Schule. Nach ihrer eignen Versicherung sind sie mit wirklicher Begeisterung an ihr Werk gegangen, aber nur zu bald zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Früchte der Mühe nie entsprechen werden. Kudlicz, ein tüchtiger Künstler und wackerer, ehrlicher Maun, machte deshalb schon im dritten Jahre des Bestehens der Schule dem General Rautenstrauch deu Vorschlag, die Anstalt als ein seinem Zwecke nicht entsprechendes Ding völlig auszugeben. Die Entgegnung lautete: ich habe mich uach höheren Vorschriften zu richten und diese bestimmt die Peters¬ burger Einrichtungen zum Muster. Also muß auch eine Schule sein. Die Stellung der Schauspieler in Marschall ist der ihrer Collegen in Peters¬ burg völlig gleich. Am Tage uach ihrem erstell Auftritt werden sie als kaiserliche Beamte in Pflicht genommen, müssen einen Eid leisten, sich nie an politischen Interessen zu betheiligen, nie in Verbindungen einzulassen, und niemals aus der Buhne mehr oder Anderes zu sprechen, als in ihren von der kaiserlichen Direction gestempelten Rollen steht. Die Gehalte in Warschau sind im Verhältnis zu den Gagen ausländischer Schauspieler gering. Vierzig und fünfzig Silberrubel monatlich gelten schon für ein sehr ansehnliches Gehalt und über tausend Rubel jährlich bringen es selbst die vorzüglichsten Künstler nur selten. Frau Halpert mußte sich lange mit 900 Thlrn. begnügen, bis endlich die Taglioni bei einem Gastspiel dem Fürsten Paskicwicz GrenMcn. III. I8S0. 14 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/113>, abgerufen am 29.05.2024.