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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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kluge Sachen in den Blättern, die der Gay schreibt; er würde seine Zeitung gern
mit serbischen Buchstaben schreiben (er meint jene alte, unförmliche Mönchschrift,
deren Erfindung Se. Cyrill schwerlich vor Gott verantworten wird), doch er darf
nicht, weil ihn die Kroaten, welche alle Schockazeu (Spottname für Katholiken)
sind, und ihr Bischof verbrennen würden, wenn er die schockazischen Lettern zum
Teufel würfe, und mit unsern serbischen Lettern, die allein Gott gefallen, schriebe."
Und im Strom der Rede wieder aus Milos überspringend, fuhr er fort: "Recht
bedacht, thut es mir doch leid um den alten Milos. Schwer büßt er die schwere
Schuld. Ich war wohl oft Zeuge seiner Tyrannengreuel; ich sah mit diesem meinen
Augen, wie er bloß zu seinem Vergnügen^) zweihundert Häuser der belgrader
Savestraße abbrennen ließ, sah manches Serbenhanpt aufgesteckt auf blutigem
Pfahl, ich sah es mit an, wie er einst einem Unglücklichen, den man in
Fesseln her von diesen seinen Konak gebracht hatte, Angesichts vieler Zuschauer
selbst eigenhändig den Kopf abhieb. Ich war schon lange mein eigener Herr, als
das Volk den Fürsten Milos in eben diesem Konak hier zu Kragujevacz umringte --
es war im Winter des Jahres 1835 -- um ihn zu bitten, er möge an der Ver¬
fassung halten, die er am Vracar beschworen. Milos fluchte und schimpfte die
gerechte Sache eine "Rebellion" und befahl dem Nadoikvvicz, das Volk mit
deu Waffen zu zerstreuen, die Kanonen vor dem Konak zu laden, Flinten aus
die Palissaden zu legen und Feuer zu geben uuter die versammelte Menschheit.
Da schritt aus der Menge unerschrocken Herr Thomas Wuczicz Perisicz und die
Momkeu des Milos traten ehrfurchtsvoll zurück, Nadoikovicz ließ den Säbel sinken,,
die Gewehre hinter den Palissaden verschwanden und die Kanoniere löschten die
bereit gehaltenen Lunten aus. Und Herr Wuczicz trat an die Spitze des Volks und
> zwang den Fürsten einzuhalten. Der alte Milos hat reiche Schätze und lebt im Ueber-
fluß, aber etwas frißt an seinem Herzen. Nicht zurückdürfen in's Vaterland, das muß
eine schwere Strafe sein! Drum irrt auch der Milos ruhelos umher in fremden
Landen und kann nicht sterben. Alle seine Schätze gäbe der geizige MiloS hin,
für einen kleinen Platz serbischen Bodens, wo er sein müdes Haupt zur Ruhe
legen könnte!" -- Der gute alte Herr hatte sich wieder durch sein eigenes Pathos
in eine gewisse Begeisterung hineingearbeitet, er schob seinen Pelzrock zurecht,
winkte mir würdig rin der Hand und entschwand mit gesenktem Haupt hinter
dem Zwiebclthurm der Kirche, wie ein Geist, wie der Stadtgeist der kleinen alten
Residenz, deren Gefühle er in so schone Worte gesaßt hatte.

Seltsame Leute! Dieser Obrenovicz hat sie geschunden, so ziemlich alle ihre
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*) Diese Erzählung ist, nebenbei bemerkt, ganz richtig. Fast sog Hütten der ärmsten
Klasse standen zu Belgrad an der save. Milos wollte sie ablösen, um weitläufige Zoll-
gcbände und WaarenbazarS daselbst zu errichten. Die armen Eigner weigerten sich, das
Erbe ihrer Väter zu verkaufe", da machte Fürst MiloS kurzen Prozeß und ließ durch seine
Der Eins. Momken die ganze Straße niederbrennen.

kluge Sachen in den Blättern, die der Gay schreibt; er würde seine Zeitung gern
mit serbischen Buchstaben schreiben (er meint jene alte, unförmliche Mönchschrift,
deren Erfindung Se. Cyrill schwerlich vor Gott verantworten wird), doch er darf
nicht, weil ihn die Kroaten, welche alle Schockazeu (Spottname für Katholiken)
sind, und ihr Bischof verbrennen würden, wenn er die schockazischen Lettern zum
Teufel würfe, und mit unsern serbischen Lettern, die allein Gott gefallen, schriebe."
Und im Strom der Rede wieder aus Milos überspringend, fuhr er fort: „Recht
bedacht, thut es mir doch leid um den alten Milos. Schwer büßt er die schwere
Schuld. Ich war wohl oft Zeuge seiner Tyrannengreuel; ich sah mit diesem meinen
Augen, wie er bloß zu seinem Vergnügen^) zweihundert Häuser der belgrader
Savestraße abbrennen ließ, sah manches Serbenhanpt aufgesteckt auf blutigem
Pfahl, ich sah es mit an, wie er einst einem Unglücklichen, den man in
Fesseln her von diesen seinen Konak gebracht hatte, Angesichts vieler Zuschauer
selbst eigenhändig den Kopf abhieb. Ich war schon lange mein eigener Herr, als
das Volk den Fürsten Milos in eben diesem Konak hier zu Kragujevacz umringte —
es war im Winter des Jahres 1835 — um ihn zu bitten, er möge an der Ver¬
fassung halten, die er am Vracar beschworen. Milos fluchte und schimpfte die
gerechte Sache eine „Rebellion" und befahl dem Nadoikvvicz, das Volk mit
deu Waffen zu zerstreuen, die Kanonen vor dem Konak zu laden, Flinten aus
die Palissaden zu legen und Feuer zu geben uuter die versammelte Menschheit.
Da schritt aus der Menge unerschrocken Herr Thomas Wuczicz Perisicz und die
Momkeu des Milos traten ehrfurchtsvoll zurück, Nadoikovicz ließ den Säbel sinken,,
die Gewehre hinter den Palissaden verschwanden und die Kanoniere löschten die
bereit gehaltenen Lunten aus. Und Herr Wuczicz trat an die Spitze des Volks und
> zwang den Fürsten einzuhalten. Der alte Milos hat reiche Schätze und lebt im Ueber-
fluß, aber etwas frißt an seinem Herzen. Nicht zurückdürfen in's Vaterland, das muß
eine schwere Strafe sein! Drum irrt auch der Milos ruhelos umher in fremden
Landen und kann nicht sterben. Alle seine Schätze gäbe der geizige MiloS hin,
für einen kleinen Platz serbischen Bodens, wo er sein müdes Haupt zur Ruhe
legen könnte!" — Der gute alte Herr hatte sich wieder durch sein eigenes Pathos
in eine gewisse Begeisterung hineingearbeitet, er schob seinen Pelzrock zurecht,
winkte mir würdig rin der Hand und entschwand mit gesenktem Haupt hinter
dem Zwiebclthurm der Kirche, wie ein Geist, wie der Stadtgeist der kleinen alten
Residenz, deren Gefühle er in so schone Worte gesaßt hatte.

Seltsame Leute! Dieser Obrenovicz hat sie geschunden, so ziemlich alle ihre
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*) Diese Erzählung ist, nebenbei bemerkt, ganz richtig. Fast sog Hütten der ärmsten
Klasse standen zu Belgrad an der save. Milos wollte sie ablösen, um weitläufige Zoll-
gcbände und WaarenbazarS daselbst zu errichten. Die armen Eigner weigerten sich, das
Erbe ihrer Väter zu verkaufe», da machte Fürst MiloS kurzen Prozeß und ließ durch seine
Der Eins. Momken die ganze Straße niederbrennen.
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[0143] kluge Sachen in den Blättern, die der Gay schreibt; er würde seine Zeitung gern mit serbischen Buchstaben schreiben (er meint jene alte, unförmliche Mönchschrift, deren Erfindung Se. Cyrill schwerlich vor Gott verantworten wird), doch er darf nicht, weil ihn die Kroaten, welche alle Schockazeu (Spottname für Katholiken) sind, und ihr Bischof verbrennen würden, wenn er die schockazischen Lettern zum Teufel würfe, und mit unsern serbischen Lettern, die allein Gott gefallen, schriebe." Und im Strom der Rede wieder aus Milos überspringend, fuhr er fort: „Recht bedacht, thut es mir doch leid um den alten Milos. Schwer büßt er die schwere Schuld. Ich war wohl oft Zeuge seiner Tyrannengreuel; ich sah mit diesem meinen Augen, wie er bloß zu seinem Vergnügen^) zweihundert Häuser der belgrader Savestraße abbrennen ließ, sah manches Serbenhanpt aufgesteckt auf blutigem Pfahl, ich sah es mit an, wie er einst einem Unglücklichen, den man in Fesseln her von diesen seinen Konak gebracht hatte, Angesichts vieler Zuschauer selbst eigenhändig den Kopf abhieb. Ich war schon lange mein eigener Herr, als das Volk den Fürsten Milos in eben diesem Konak hier zu Kragujevacz umringte — es war im Winter des Jahres 1835 — um ihn zu bitten, er möge an der Ver¬ fassung halten, die er am Vracar beschworen. Milos fluchte und schimpfte die gerechte Sache eine „Rebellion" und befahl dem Nadoikvvicz, das Volk mit deu Waffen zu zerstreuen, die Kanonen vor dem Konak zu laden, Flinten aus die Palissaden zu legen und Feuer zu geben uuter die versammelte Menschheit. Da schritt aus der Menge unerschrocken Herr Thomas Wuczicz Perisicz und die Momkeu des Milos traten ehrfurchtsvoll zurück, Nadoikovicz ließ den Säbel sinken,, die Gewehre hinter den Palissaden verschwanden und die Kanoniere löschten die bereit gehaltenen Lunten aus. Und Herr Wuczicz trat an die Spitze des Volks und > zwang den Fürsten einzuhalten. Der alte Milos hat reiche Schätze und lebt im Ueber- fluß, aber etwas frißt an seinem Herzen. Nicht zurückdürfen in's Vaterland, das muß eine schwere Strafe sein! Drum irrt auch der Milos ruhelos umher in fremden Landen und kann nicht sterben. Alle seine Schätze gäbe der geizige MiloS hin, für einen kleinen Platz serbischen Bodens, wo er sein müdes Haupt zur Ruhe legen könnte!" — Der gute alte Herr hatte sich wieder durch sein eigenes Pathos in eine gewisse Begeisterung hineingearbeitet, er schob seinen Pelzrock zurecht, winkte mir würdig rin der Hand und entschwand mit gesenktem Haupt hinter dem Zwiebclthurm der Kirche, wie ein Geist, wie der Stadtgeist der kleinen alten Residenz, deren Gefühle er in so schone Worte gesaßt hatte. Seltsame Leute! Dieser Obrenovicz hat sie geschunden, so ziemlich alle ihre .'^ -_ - . , ^' ' ,, , *) Diese Erzählung ist, nebenbei bemerkt, ganz richtig. Fast sog Hütten der ärmsten Klasse standen zu Belgrad an der save. Milos wollte sie ablösen, um weitläufige Zoll- gcbände und WaarenbazarS daselbst zu errichten. Die armen Eigner weigerten sich, das Erbe ihrer Väter zu verkaufe», da machte Fürst MiloS kurzen Prozeß und ließ durch seine Der Eins. Momken die ganze Straße niederbrennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/143>, abgerufen am 19.05.2024.