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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Herren portraitire, deren Aussehen höchst würdig und münulich ist, deren Innres
selbst General Lcvschin, der russische Consul zu Belgrad uicht genau genug kennt,
um sicher darüber zu urtheilen. Der Erste ist unser alter Bekannter, Hr. Thomas
Wuczicz Perisicz, die kolossale Gestalt über das silberbeschlagene Gebetbuch ge¬
beugt, in welchem er eifrig blättert. Blättert, aber nicht liest, denn das Lesen ist
nicht Herrn Wuczicz's stärkste Seite. Wenn er im Staatsrath mit zuversichtlicher
Miene und blinzelndem Auge in Aktenstücken blättert, geschieht ihm nicht selten, daß
er ein beschriebenes Papier, über dem er zwischen den Zähnen murmelte und
mehrmal deu Kopf schüttelte, verkehrt in den Händen hält. Vielleicht deßwegen
verträgt Herr Wnczicz keinen Widerspruch; in deu Sitzungen des Staatsraths
ward er durch denselben einmal so erzürnt, daß er die auf dem Tisch ausgelegten
Akten sämmtlich auf deu Boden warf, wild blitzenden Auges von seinem Sitz auf¬
sprang und mit einem derben "5<zbem!" den Saal verließ. Das ist die ächte serbische
Volksfigur, ein Riese mit der Natur eines wilden Raubthiers und ein schlauer,
schlauer Teufel; er ist Serbiens populärster Held, ein unüberwundener Feldherr,
der Mann, der die Dynastie Obrenovicz gestürzt hat und einer der zähsten
Diplomaten des Südens. Den Mangel jeglicher Schulbildung ersetzt bei ihm die
ungeheure Lebenskraft, die große Lehrmeistern! Erfahrung und lange Uebung
in den schwierigsten Geschäften. Mit welcher Liebe das Volk an Wnczicz hängt,
ist kaum zu glauben! -- Wnczicz geht Secrs im einfachen Nationalkleide der ge¬
meinen Serben, stets mit Säbel, Messern und Pistolen bewaffnet. So schon
unter Milos Obrenovicz und jetzt wieder unter Fürst Alexander, der sich nur zu oft
dem einstigen Diktator und Gründer seines Throns nachzugeben genöthigt sieht
und den greisen Wolf erträgt. "Was trägst Du Dich immer wie ein Haiduck?"
-- frug ihn einst Fürst Milos -- "warum uicht die Tracht meiner andern
Minister und Senatoren? -- "Hoheit!" -- war Wuczicz's Antwort -- "ich bin
furchtsam, drum trage ich Messer und Pistolen." -- Und Dank dieser Furcht¬
samkeit, so. unbequem Wuczicz dem Milos war, nie haben dessen Momken gewagt,
den bewaffneten Niesen anzutasten.

Wuczicz's Nachbar ist Serbiens Premier, der weise Minister Abraham
Petroniewicz, der langjährige Lenker des schaukelnden serbischen Staatsschiffs.
Eine griechische Physiognomie, dunkler Teint, lang gezogene Nase, ausdrucksvoll
funkelnde Augen, mächtige, schwarze Augenbrauen und ein zierliches, fein gestütztes
Bärtchen. Die Tracht ist französisch, uur der Leibrock slavisch verschnürt und die
Kopfbedeckung der nothwendige rothe Fez. Er ist der eigentliche Faiseur der
serbischen Politik, ein Mann von viel Verstand und zäher Schlauheit, Feind aller
unnützen dramatischen Aktionen von Pfählen, Erschießen und Kopfabschneiden,
der alte Fuchs gegenüber dem Wolf Wuczicz. Nächst diesem ein Lieblittg des
Volks. Einem Triumphzug glich ihr Empfang, als Wuczicz und Petroniewicz am
28. August 184Z gegen den Willen der intervenirenden Großmächte ans ihrer


Grenzvotcu. Ul. isso. 18

Herren portraitire, deren Aussehen höchst würdig und münulich ist, deren Innres
selbst General Lcvschin, der russische Consul zu Belgrad uicht genau genug kennt,
um sicher darüber zu urtheilen. Der Erste ist unser alter Bekannter, Hr. Thomas
Wuczicz Perisicz, die kolossale Gestalt über das silberbeschlagene Gebetbuch ge¬
beugt, in welchem er eifrig blättert. Blättert, aber nicht liest, denn das Lesen ist
nicht Herrn Wuczicz's stärkste Seite. Wenn er im Staatsrath mit zuversichtlicher
Miene und blinzelndem Auge in Aktenstücken blättert, geschieht ihm nicht selten, daß
er ein beschriebenes Papier, über dem er zwischen den Zähnen murmelte und
mehrmal deu Kopf schüttelte, verkehrt in den Händen hält. Vielleicht deßwegen
verträgt Herr Wnczicz keinen Widerspruch; in deu Sitzungen des Staatsraths
ward er durch denselben einmal so erzürnt, daß er die auf dem Tisch ausgelegten
Akten sämmtlich auf deu Boden warf, wild blitzenden Auges von seinem Sitz auf¬
sprang und mit einem derben „5<zbem!" den Saal verließ. Das ist die ächte serbische
Volksfigur, ein Riese mit der Natur eines wilden Raubthiers und ein schlauer,
schlauer Teufel; er ist Serbiens populärster Held, ein unüberwundener Feldherr,
der Mann, der die Dynastie Obrenovicz gestürzt hat und einer der zähsten
Diplomaten des Südens. Den Mangel jeglicher Schulbildung ersetzt bei ihm die
ungeheure Lebenskraft, die große Lehrmeistern! Erfahrung und lange Uebung
in den schwierigsten Geschäften. Mit welcher Liebe das Volk an Wnczicz hängt,
ist kaum zu glauben! — Wnczicz geht Secrs im einfachen Nationalkleide der ge¬
meinen Serben, stets mit Säbel, Messern und Pistolen bewaffnet. So schon
unter Milos Obrenovicz und jetzt wieder unter Fürst Alexander, der sich nur zu oft
dem einstigen Diktator und Gründer seines Throns nachzugeben genöthigt sieht
und den greisen Wolf erträgt. „Was trägst Du Dich immer wie ein Haiduck?"
— frug ihn einst Fürst Milos — „warum uicht die Tracht meiner andern
Minister und Senatoren? — „Hoheit!" — war Wuczicz's Antwort — „ich bin
furchtsam, drum trage ich Messer und Pistolen." — Und Dank dieser Furcht¬
samkeit, so. unbequem Wuczicz dem Milos war, nie haben dessen Momken gewagt,
den bewaffneten Niesen anzutasten.

Wuczicz's Nachbar ist Serbiens Premier, der weise Minister Abraham
Petroniewicz, der langjährige Lenker des schaukelnden serbischen Staatsschiffs.
Eine griechische Physiognomie, dunkler Teint, lang gezogene Nase, ausdrucksvoll
funkelnde Augen, mächtige, schwarze Augenbrauen und ein zierliches, fein gestütztes
Bärtchen. Die Tracht ist französisch, uur der Leibrock slavisch verschnürt und die
Kopfbedeckung der nothwendige rothe Fez. Er ist der eigentliche Faiseur der
serbischen Politik, ein Mann von viel Verstand und zäher Schlauheit, Feind aller
unnützen dramatischen Aktionen von Pfählen, Erschießen und Kopfabschneiden,
der alte Fuchs gegenüber dem Wolf Wuczicz. Nächst diesem ein Lieblittg des
Volks. Einem Triumphzug glich ihr Empfang, als Wuczicz und Petroniewicz am
28. August 184Z gegen den Willen der intervenirenden Großmächte ans ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/145>, abgerufen am 19.05.2024.