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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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sich zu einem höchst grotesken Ausdruck von Wuth und Verzweiflung verzogen, als ihm
die Veruulthung aufging, daß die Pferde starker sein wurden als die zurückhal¬
tender Hände seiner Stammgenossen. Ein Geldstück löste deu Knäuel, in dein
sie sich um uns zusammengeballt hatten, sie fuhren aus einander und bildeten
hinter uns, mitten auf der Landstraße einen neuen Häuser von Köpfen und gc-
sticulirenden Armen, in dessen Mitte das Geldstück lag.

Ein Jahr darauf fuhr ich dieselbe Straße; ein treuherziger Postillon, der
als preußischer Husar deutsch gelernt hatte, unterhielt mich mit der freimüthigen
Höflichkeit, welche oft dem gemeinen Polen eigen ist. An dein Vorsprunge des
Waldes frug ich ihn, ob er etwas von den Zigeunern des vorigen Jahres wisse?
Er wies mit dem Peitschenstock uach einem dunklen Waldesrand unten am Oder¬
ufer: "Das Zigeuner, das har sich verfroren im letzten Winter, der Jäger hat
es gesunden. Das ganze Zigeuner im Schnee todt und kaput." Es ergab sich,
daß die armen Teufel in der Gegeud herumgeirrt waren bis in den harten Winter,
da hatten die Bauern sie mißtrauisch zurückgewiesen, und sie hatten sich in einzelnen
.Gehöften ein Nachtlager ertrotzt. Später waren sie kraftloser geworden, ihre
Zahl mochte sich durch allmäliges Hinsterben der Schwächern verringert haben,
die letzten hatten sich in den tiefen Wald zurückgezogen und waren dort aus Mangel
an Nahrung und Wärme umgekommen. Als ich auf der Eisenbahnstation ankam,
erhielt ich das Zeitungsblatt mit der Nachricht von der Hinrichtung Batthyianis.
Derselbe Völkersturm, welcher den Fürsten des Landes getödtet hatte, in dem die
braunen Namenlosen seit Jahrhunderten Gastfreundschaft genossen hatten, hat
auch sie in die Fremde und in den Tod gejagt. Der Tod des Fürsten war ein
Ereigniß, welches ganz Europa empörte, der Tod eines gemeinen Husaren ist von
seinen Eltern und Geschwistern, von seinem Pferde und Hunde, von seinem Dorf,
seiner Gespannschaft, ja seinem Vaterland als ein Verlust empfunden worden. Wer
trauert um den todten Zigeuner im Walde? Welche Spuren hat sein Leben
hinterlassen? Er hat einige Hähne gestohlen, dafür hat ihn der Bauer verflucht;
er hat Pferde beschlagen, dafür hat ihn der Edelmann bezahlt; er hat vielleicht
mit der Geige zum Tanze gespielt? Ja, dann freilich werden die Magyaren¬
mädchen am Sommerabend vor dem Wirthshaus fragen, wo ist die Geige des
Janko, wir warten darauf? Das ist die einzige Erinnerung an die Heimathlosen,
götterloseu, blutarmen Todten. Sie sind verweht von der Erde, wie ein dürres
Blatt im Winde, ihr Name in keinem Taufbuch, keinem Haus- und Grenzver-
zeichuiß, keinem Paßbnrea", sie haben wenig Theil gehabt am Leben der Völker
und civilisirten Staaten; der Staat hat auch an ihnen wenig Interesse, und keine
große Pflicht; sechs Fug Boden zum Grabe, das ist Alles, was er auf sie wendet.
-- Unser menschliches Gefühl findet das hart, ja empörend. Aber die Regierung
wird sich entschuldigen und antworten: "Der Staat besteht mit seiner Regierung
durch sein Volk, die Pflichten der Regierung gegen das eigene Volk sind so groß und


sich zu einem höchst grotesken Ausdruck von Wuth und Verzweiflung verzogen, als ihm
die Veruulthung aufging, daß die Pferde starker sein wurden als die zurückhal¬
tender Hände seiner Stammgenossen. Ein Geldstück löste deu Knäuel, in dein
sie sich um uns zusammengeballt hatten, sie fuhren aus einander und bildeten
hinter uns, mitten auf der Landstraße einen neuen Häuser von Köpfen und gc-
sticulirenden Armen, in dessen Mitte das Geldstück lag.

Ein Jahr darauf fuhr ich dieselbe Straße; ein treuherziger Postillon, der
als preußischer Husar deutsch gelernt hatte, unterhielt mich mit der freimüthigen
Höflichkeit, welche oft dem gemeinen Polen eigen ist. An dein Vorsprunge des
Waldes frug ich ihn, ob er etwas von den Zigeunern des vorigen Jahres wisse?
Er wies mit dem Peitschenstock uach einem dunklen Waldesrand unten am Oder¬
ufer: „Das Zigeuner, das har sich verfroren im letzten Winter, der Jäger hat
es gesunden. Das ganze Zigeuner im Schnee todt und kaput." Es ergab sich,
daß die armen Teufel in der Gegeud herumgeirrt waren bis in den harten Winter,
da hatten die Bauern sie mißtrauisch zurückgewiesen, und sie hatten sich in einzelnen
.Gehöften ein Nachtlager ertrotzt. Später waren sie kraftloser geworden, ihre
Zahl mochte sich durch allmäliges Hinsterben der Schwächern verringert haben,
die letzten hatten sich in den tiefen Wald zurückgezogen und waren dort aus Mangel
an Nahrung und Wärme umgekommen. Als ich auf der Eisenbahnstation ankam,
erhielt ich das Zeitungsblatt mit der Nachricht von der Hinrichtung Batthyianis.
Derselbe Völkersturm, welcher den Fürsten des Landes getödtet hatte, in dem die
braunen Namenlosen seit Jahrhunderten Gastfreundschaft genossen hatten, hat
auch sie in die Fremde und in den Tod gejagt. Der Tod des Fürsten war ein
Ereigniß, welches ganz Europa empörte, der Tod eines gemeinen Husaren ist von
seinen Eltern und Geschwistern, von seinem Pferde und Hunde, von seinem Dorf,
seiner Gespannschaft, ja seinem Vaterland als ein Verlust empfunden worden. Wer
trauert um den todten Zigeuner im Walde? Welche Spuren hat sein Leben
hinterlassen? Er hat einige Hähne gestohlen, dafür hat ihn der Bauer verflucht;
er hat Pferde beschlagen, dafür hat ihn der Edelmann bezahlt; er hat vielleicht
mit der Geige zum Tanze gespielt? Ja, dann freilich werden die Magyaren¬
mädchen am Sommerabend vor dem Wirthshaus fragen, wo ist die Geige des
Janko, wir warten darauf? Das ist die einzige Erinnerung an die Heimathlosen,
götterloseu, blutarmen Todten. Sie sind verweht von der Erde, wie ein dürres
Blatt im Winde, ihr Name in keinem Taufbuch, keinem Haus- und Grenzver-
zeichuiß, keinem Paßbnrea», sie haben wenig Theil gehabt am Leben der Völker
und civilisirten Staaten; der Staat hat auch an ihnen wenig Interesse, und keine
große Pflicht; sechs Fug Boden zum Grabe, das ist Alles, was er auf sie wendet.
— Unser menschliches Gefühl findet das hart, ja empörend. Aber die Regierung
wird sich entschuldigen und antworten: „Der Staat besteht mit seiner Regierung
durch sein Volk, die Pflichten der Regierung gegen das eigene Volk sind so groß und


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[0170] sich zu einem höchst grotesken Ausdruck von Wuth und Verzweiflung verzogen, als ihm die Veruulthung aufging, daß die Pferde starker sein wurden als die zurückhal¬ tender Hände seiner Stammgenossen. Ein Geldstück löste deu Knäuel, in dein sie sich um uns zusammengeballt hatten, sie fuhren aus einander und bildeten hinter uns, mitten auf der Landstraße einen neuen Häuser von Köpfen und gc- sticulirenden Armen, in dessen Mitte das Geldstück lag. Ein Jahr darauf fuhr ich dieselbe Straße; ein treuherziger Postillon, der als preußischer Husar deutsch gelernt hatte, unterhielt mich mit der freimüthigen Höflichkeit, welche oft dem gemeinen Polen eigen ist. An dein Vorsprunge des Waldes frug ich ihn, ob er etwas von den Zigeunern des vorigen Jahres wisse? Er wies mit dem Peitschenstock uach einem dunklen Waldesrand unten am Oder¬ ufer: „Das Zigeuner, das har sich verfroren im letzten Winter, der Jäger hat es gesunden. Das ganze Zigeuner im Schnee todt und kaput." Es ergab sich, daß die armen Teufel in der Gegeud herumgeirrt waren bis in den harten Winter, da hatten die Bauern sie mißtrauisch zurückgewiesen, und sie hatten sich in einzelnen .Gehöften ein Nachtlager ertrotzt. Später waren sie kraftloser geworden, ihre Zahl mochte sich durch allmäliges Hinsterben der Schwächern verringert haben, die letzten hatten sich in den tiefen Wald zurückgezogen und waren dort aus Mangel an Nahrung und Wärme umgekommen. Als ich auf der Eisenbahnstation ankam, erhielt ich das Zeitungsblatt mit der Nachricht von der Hinrichtung Batthyianis. Derselbe Völkersturm, welcher den Fürsten des Landes getödtet hatte, in dem die braunen Namenlosen seit Jahrhunderten Gastfreundschaft genossen hatten, hat auch sie in die Fremde und in den Tod gejagt. Der Tod des Fürsten war ein Ereigniß, welches ganz Europa empörte, der Tod eines gemeinen Husaren ist von seinen Eltern und Geschwistern, von seinem Pferde und Hunde, von seinem Dorf, seiner Gespannschaft, ja seinem Vaterland als ein Verlust empfunden worden. Wer trauert um den todten Zigeuner im Walde? Welche Spuren hat sein Leben hinterlassen? Er hat einige Hähne gestohlen, dafür hat ihn der Bauer verflucht; er hat Pferde beschlagen, dafür hat ihn der Edelmann bezahlt; er hat vielleicht mit der Geige zum Tanze gespielt? Ja, dann freilich werden die Magyaren¬ mädchen am Sommerabend vor dem Wirthshaus fragen, wo ist die Geige des Janko, wir warten darauf? Das ist die einzige Erinnerung an die Heimathlosen, götterloseu, blutarmen Todten. Sie sind verweht von der Erde, wie ein dürres Blatt im Winde, ihr Name in keinem Taufbuch, keinem Haus- und Grenzver- zeichuiß, keinem Paßbnrea», sie haben wenig Theil gehabt am Leben der Völker und civilisirten Staaten; der Staat hat auch an ihnen wenig Interesse, und keine große Pflicht; sechs Fug Boden zum Grabe, das ist Alles, was er auf sie wendet. — Unser menschliches Gefühl findet das hart, ja empörend. Aber die Regierung wird sich entschuldigen und antworten: „Der Staat besteht mit seiner Regierung durch sein Volk, die Pflichten der Regierung gegen das eigene Volk sind so groß und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/170>, abgerufen am 19.05.2024.