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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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hatte mehr und mehr die Färbung seiner Clienten, die er zunächst nur vom
Standpunkte des formalen Rechts vertheidigte, angenommen. Diese Thätigkeit
brachte ihn mit den bedeutendsten Schriftstellern des radicalen Blattes la Nvfvrme,
namentlich Etienne Arago und Flocon, in Berührung. Diese wußten ihn zu
überreden, einen Theil seines Vermögens an das Blatt zu wenden, und er wurde
bald der Haupteigenthümer desselben. Eine sehr schlechte Speculation in pecnniärer
Beziehung, verschaffte ihm diese Stellung doch einen außerordentlichen Einfluß
bei der republikanischen Partei, und er wurde nach dem Tode des älteren Garnier
Pagös vou derselben für den District le Maus ins Parlament geschickt. Die re¬
publikanischen Grundsätze, die er in der Rede an seine Wähler aussprach, hätten
ihn beinahe in's Gefängniß geführt; doch wurde er vou den Assisen zu Angers
freigesprochen. Seit der Zeit ist er viel als Redner ausgetreten; die durch eine
mächtige Stimme unterstützte Leidenschaftlichkeit seiner Sprache fand innerhalb des
Hauses wenig Anklang; desto mehr im Volk, namentlich, da er alle demokratischen
Agitationen durch seine Börse unterstützte. So war er bei der Agitation der
Nesormbankette der anerkannte Chef der extremen Partei, und nach der Revo-
lution die aus Zaum<z<z der provisorischen Regierung. Seine Genossen, die So-
cialisten, waren ihm an Fülle von politischen Idealen, durch welche den Leiden
der Menschheit abgeholfen werden sollte, bei Weitem voraus; um dennoch an
der Spitze der Bewegung zu bleiben, ersetzte er dnrch Heftigkeit, was ihm an
Inhalt abging. So kam er dahin, trotz seines angeblichen Glaubens an die
Souverainetät des Volks, dem freien Willen des Volks dnrch terroristische Decrete
Gewalt anzuthun, und endlich gegen die ans Urwähler und allgemeinem Stimm¬
recht hervorgegangene cvnstitnircnde Versammlung den Pöbel von Paris aufzu¬
rufen -- beides Majestätsverbrechen gegen das Princip der Demokratie, nicht
des Socialismus. Mit der Juni-Emeute war seine politische Laufbahn beendigt.

Wir wissen doch nicht, wenn wir den offnen Tribunen des Terrorismus mit
dem Strohkranzredner der Humanität und allgemeinen Völkerverbrüderung, mit
Herrn von Lamartine vergleichen, wessen Einfluß wir für schädlicher halten sollen.
Die glatten Worte des Letzteren haben jene Principien, die aller Gesellschaft
feind waren, der Menge, die nur nach dem Scheine geht, mundgerecht gemacht;
Ledru Rollin dagegen scheint durch die Rohheit seiner Formen geflissentlich dazu
beigetragen zu haben, Alles, was irgend noch von einem geordneten Staatswesen
etwas zu hoffen hatte, von den principiellen Widersachern desselben zu sondern.
Jedenfalls hat die conservative Sache durch diesen schnellen Scheidungsproceß
gewonnen.




hatte mehr und mehr die Färbung seiner Clienten, die er zunächst nur vom
Standpunkte des formalen Rechts vertheidigte, angenommen. Diese Thätigkeit
brachte ihn mit den bedeutendsten Schriftstellern des radicalen Blattes la Nvfvrme,
namentlich Etienne Arago und Flocon, in Berührung. Diese wußten ihn zu
überreden, einen Theil seines Vermögens an das Blatt zu wenden, und er wurde
bald der Haupteigenthümer desselben. Eine sehr schlechte Speculation in pecnniärer
Beziehung, verschaffte ihm diese Stellung doch einen außerordentlichen Einfluß
bei der republikanischen Partei, und er wurde nach dem Tode des älteren Garnier
Pagös vou derselben für den District le Maus ins Parlament geschickt. Die re¬
publikanischen Grundsätze, die er in der Rede an seine Wähler aussprach, hätten
ihn beinahe in's Gefängniß geführt; doch wurde er vou den Assisen zu Angers
freigesprochen. Seit der Zeit ist er viel als Redner ausgetreten; die durch eine
mächtige Stimme unterstützte Leidenschaftlichkeit seiner Sprache fand innerhalb des
Hauses wenig Anklang; desto mehr im Volk, namentlich, da er alle demokratischen
Agitationen durch seine Börse unterstützte. So war er bei der Agitation der
Nesormbankette der anerkannte Chef der extremen Partei, und nach der Revo-
lution die aus Zaum<z<z der provisorischen Regierung. Seine Genossen, die So-
cialisten, waren ihm an Fülle von politischen Idealen, durch welche den Leiden
der Menschheit abgeholfen werden sollte, bei Weitem voraus; um dennoch an
der Spitze der Bewegung zu bleiben, ersetzte er dnrch Heftigkeit, was ihm an
Inhalt abging. So kam er dahin, trotz seines angeblichen Glaubens an die
Souverainetät des Volks, dem freien Willen des Volks dnrch terroristische Decrete
Gewalt anzuthun, und endlich gegen die ans Urwähler und allgemeinem Stimm¬
recht hervorgegangene cvnstitnircnde Versammlung den Pöbel von Paris aufzu¬
rufen — beides Majestätsverbrechen gegen das Princip der Demokratie, nicht
des Socialismus. Mit der Juni-Emeute war seine politische Laufbahn beendigt.

Wir wissen doch nicht, wenn wir den offnen Tribunen des Terrorismus mit
dem Strohkranzredner der Humanität und allgemeinen Völkerverbrüderung, mit
Herrn von Lamartine vergleichen, wessen Einfluß wir für schädlicher halten sollen.
Die glatten Worte des Letzteren haben jene Principien, die aller Gesellschaft
feind waren, der Menge, die nur nach dem Scheine geht, mundgerecht gemacht;
Ledru Rollin dagegen scheint durch die Rohheit seiner Formen geflissentlich dazu
beigetragen zu haben, Alles, was irgend noch von einem geordneten Staatswesen
etwas zu hoffen hatte, von den principiellen Widersachern desselben zu sondern.
Jedenfalls hat die conservative Sache durch diesen schnellen Scheidungsproceß
gewonnen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/271>, abgerufen am 19.05.2024.