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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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sition gegen die bestehenden Zustände getrieben, so gut wie ein politischer Enthu¬
siast, wie Marquis Posa, und es fragt sich nur, ob er diesen Conflict mit
Anstand zu lösen, oder mit Anstand ihm zu unterliegen weiß.

In einer strebsamen, und doch in gewissem Sinn naiven, wenigstens gläu¬
bigen Zeit wird sich der Dichter wie sein Publicum entschieden auf Seite der
neuen Richtung stellen. In unserer reflectirten Bildung sucht der Dichter einen
hoher" Standpunkt zu gewinnen; er steht den Gegensatz von der Vogelperspective
aus, steht über den Parteien und läßt ihnen beiden ihr Recht widerfahren. In
schillert Geist ist die ideale Welt, die Karl Moor, Ferdinand und Louise, die
Verrina, die Max und Thekla, die Posa und Carlos, die Maria Stuart die alleinbe¬
rechtigte; wenn sich durch innere Dialektik die Schwächen derselben offenbaren, so ist
das halb unbewußt und wider den Willen des Dichters; die Selbstkritik hinkt in
spätem Briefen nach, wie die über Don Carlos. Damals hatte man noch den
unbedingten Glauben an die Ideale und ein.unbedingtes Verdammungsurtheil
gegen die Widersacher derselben, die Tyrannen, Philister und ihre Helfershelfer.
Seitdem hat die Reflexion sich theils vom psychologischen Standpunkt, nach dem
eigentlich eine jede Individualität berechtigt sein sollte, theils vom historischen, in
die früher mit naivem, einfachem Glauben aufgefaßten Thatsachen eingewühlt, und
den festen, sittlichen Boden unter den Füßen ausgehöhlt. Man hat den Nutzen,
den die Menschheit von der Hierarchie und dem Absolutismus gehabt hat, so
lange in's Auge gefaßt, und sich über die Einseitigkeit im Princip der Freiheit
so viel Gedanken gemacht, daß man zuletzt nicht mehr recht hat unterscheiden
können, auf welche Seite man sich stellen sollte; und man hat die psychologischen
Finessen so raffinirt, daß zuletzt von einem festen Kern nicht mehr die Rede war,
und daß man bei einer besonders begabten Natur in keinem Augenblick mehr
sagen konnte, so und so wird er denken, empfinden, handeln. Das Maß der
Willkür wurde anch das Maß der Genialität.

Diesen "höhern" historischen Standpunkt, auf dem das junge Deutschland
seiner Natur nach ankommen mußte, hat Heinrich Laube nicht bloß in den Karls¬
schülern festgehalten; die übrigen historischen Stücke, namentlich Prinz Friedrich,
sind ebenso zu beurtheilen. Selbst in der "Bernsteinhexe" stellt sich der Haupt¬
bösewicht aus einen höhern, mystischen Standpunkt, die Eigenschaft des Hexens
zu beurtheilen, und kommt dabei auf Vorstellungen, die seiner Zeit so fremd als
irgend möglich waren. Wenn man früher die Brutalität, welche der Herzog von
Würtemberg gegen Schiller und Schubart, welche König Friedrich Wilhelm gegen
seinen Sohn und Kalte ausgeübt, mit der Sicherheit einer jugendlichen Entrüstung
verworfen hatte, so kommt nun die an geschichtsphilosophischen Doctrinen geschulte
Reflexion, und überlegt, daß in jener fürstlichen Eigenmächtigkeit doch der wesent¬
liche Kern der neuen Staatenbildung gelegen hat, daß von der Freigeisterei des
jungen Poeten und des jungen Prinzen sehr viel Gefahr für die sittliche Cultur


Grcnzvotcn. III. 1850. 34

sition gegen die bestehenden Zustände getrieben, so gut wie ein politischer Enthu¬
siast, wie Marquis Posa, und es fragt sich nur, ob er diesen Conflict mit
Anstand zu lösen, oder mit Anstand ihm zu unterliegen weiß.

In einer strebsamen, und doch in gewissem Sinn naiven, wenigstens gläu¬
bigen Zeit wird sich der Dichter wie sein Publicum entschieden auf Seite der
neuen Richtung stellen. In unserer reflectirten Bildung sucht der Dichter einen
hoher» Standpunkt zu gewinnen; er steht den Gegensatz von der Vogelperspective
aus, steht über den Parteien und läßt ihnen beiden ihr Recht widerfahren. In
schillert Geist ist die ideale Welt, die Karl Moor, Ferdinand und Louise, die
Verrina, die Max und Thekla, die Posa und Carlos, die Maria Stuart die alleinbe¬
rechtigte; wenn sich durch innere Dialektik die Schwächen derselben offenbaren, so ist
das halb unbewußt und wider den Willen des Dichters; die Selbstkritik hinkt in
spätem Briefen nach, wie die über Don Carlos. Damals hatte man noch den
unbedingten Glauben an die Ideale und ein.unbedingtes Verdammungsurtheil
gegen die Widersacher derselben, die Tyrannen, Philister und ihre Helfershelfer.
Seitdem hat die Reflexion sich theils vom psychologischen Standpunkt, nach dem
eigentlich eine jede Individualität berechtigt sein sollte, theils vom historischen, in
die früher mit naivem, einfachem Glauben aufgefaßten Thatsachen eingewühlt, und
den festen, sittlichen Boden unter den Füßen ausgehöhlt. Man hat den Nutzen,
den die Menschheit von der Hierarchie und dem Absolutismus gehabt hat, so
lange in's Auge gefaßt, und sich über die Einseitigkeit im Princip der Freiheit
so viel Gedanken gemacht, daß man zuletzt nicht mehr recht hat unterscheiden
können, auf welche Seite man sich stellen sollte; und man hat die psychologischen
Finessen so raffinirt, daß zuletzt von einem festen Kern nicht mehr die Rede war,
und daß man bei einer besonders begabten Natur in keinem Augenblick mehr
sagen konnte, so und so wird er denken, empfinden, handeln. Das Maß der
Willkür wurde anch das Maß der Genialität.

Diesen „höhern" historischen Standpunkt, auf dem das junge Deutschland
seiner Natur nach ankommen mußte, hat Heinrich Laube nicht bloß in den Karls¬
schülern festgehalten; die übrigen historischen Stücke, namentlich Prinz Friedrich,
sind ebenso zu beurtheilen. Selbst in der „Bernsteinhexe" stellt sich der Haupt¬
bösewicht aus einen höhern, mystischen Standpunkt, die Eigenschaft des Hexens
zu beurtheilen, und kommt dabei auf Vorstellungen, die seiner Zeit so fremd als
irgend möglich waren. Wenn man früher die Brutalität, welche der Herzog von
Würtemberg gegen Schiller und Schubart, welche König Friedrich Wilhelm gegen
seinen Sohn und Kalte ausgeübt, mit der Sicherheit einer jugendlichen Entrüstung
verworfen hatte, so kommt nun die an geschichtsphilosophischen Doctrinen geschulte
Reflexion, und überlegt, daß in jener fürstlichen Eigenmächtigkeit doch der wesent¬
liche Kern der neuen Staatenbildung gelegen hat, daß von der Freigeisterei des
jungen Poeten und des jungen Prinzen sehr viel Gefahr für die sittliche Cultur


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[0273] sition gegen die bestehenden Zustände getrieben, so gut wie ein politischer Enthu¬ siast, wie Marquis Posa, und es fragt sich nur, ob er diesen Conflict mit Anstand zu lösen, oder mit Anstand ihm zu unterliegen weiß. In einer strebsamen, und doch in gewissem Sinn naiven, wenigstens gläu¬ bigen Zeit wird sich der Dichter wie sein Publicum entschieden auf Seite der neuen Richtung stellen. In unserer reflectirten Bildung sucht der Dichter einen hoher» Standpunkt zu gewinnen; er steht den Gegensatz von der Vogelperspective aus, steht über den Parteien und läßt ihnen beiden ihr Recht widerfahren. In schillert Geist ist die ideale Welt, die Karl Moor, Ferdinand und Louise, die Verrina, die Max und Thekla, die Posa und Carlos, die Maria Stuart die alleinbe¬ rechtigte; wenn sich durch innere Dialektik die Schwächen derselben offenbaren, so ist das halb unbewußt und wider den Willen des Dichters; die Selbstkritik hinkt in spätem Briefen nach, wie die über Don Carlos. Damals hatte man noch den unbedingten Glauben an die Ideale und ein.unbedingtes Verdammungsurtheil gegen die Widersacher derselben, die Tyrannen, Philister und ihre Helfershelfer. Seitdem hat die Reflexion sich theils vom psychologischen Standpunkt, nach dem eigentlich eine jede Individualität berechtigt sein sollte, theils vom historischen, in die früher mit naivem, einfachem Glauben aufgefaßten Thatsachen eingewühlt, und den festen, sittlichen Boden unter den Füßen ausgehöhlt. Man hat den Nutzen, den die Menschheit von der Hierarchie und dem Absolutismus gehabt hat, so lange in's Auge gefaßt, und sich über die Einseitigkeit im Princip der Freiheit so viel Gedanken gemacht, daß man zuletzt nicht mehr recht hat unterscheiden können, auf welche Seite man sich stellen sollte; und man hat die psychologischen Finessen so raffinirt, daß zuletzt von einem festen Kern nicht mehr die Rede war, und daß man bei einer besonders begabten Natur in keinem Augenblick mehr sagen konnte, so und so wird er denken, empfinden, handeln. Das Maß der Willkür wurde anch das Maß der Genialität. Diesen „höhern" historischen Standpunkt, auf dem das junge Deutschland seiner Natur nach ankommen mußte, hat Heinrich Laube nicht bloß in den Karls¬ schülern festgehalten; die übrigen historischen Stücke, namentlich Prinz Friedrich, sind ebenso zu beurtheilen. Selbst in der „Bernsteinhexe" stellt sich der Haupt¬ bösewicht aus einen höhern, mystischen Standpunkt, die Eigenschaft des Hexens zu beurtheilen, und kommt dabei auf Vorstellungen, die seiner Zeit so fremd als irgend möglich waren. Wenn man früher die Brutalität, welche der Herzog von Würtemberg gegen Schiller und Schubart, welche König Friedrich Wilhelm gegen seinen Sohn und Kalte ausgeübt, mit der Sicherheit einer jugendlichen Entrüstung verworfen hatte, so kommt nun die an geschichtsphilosophischen Doctrinen geschulte Reflexion, und überlegt, daß in jener fürstlichen Eigenmächtigkeit doch der wesent¬ liche Kern der neuen Staatenbildung gelegen hat, daß von der Freigeisterei des jungen Poeten und des jungen Prinzen sehr viel Gefahr für die sittliche Cultur Grcnzvotcn. III. 1850. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/273>, abgerufen am 19.05.2024.