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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Vorsehung schien den Patrioten auf einen Augenblick zum Seher zu machen,
dessen Geist sie bald darauf in ewiges Dunkel hüllte.

Heute ist der alte Plan der Habsburger in Erfüllung gegangen, Ungarn ist
gleichberechtigt mit deu übrigen Provinzen der Monarchie; was die Ferdinande
durch ihre Jesuiten, 'die Leopolde durch ihre Carasse nud Lasta, die große Kai¬
serin durch ihre Hofdamen nud der deutsche Joseph durch seine Orgauisatious-
pläuc nicht erreichen konnten, hat dem jungen Franz Joseph die Revolution
gebracht; im "RcichSgesejzblatt" lesen wir neben einer Verordnung für das
"Kronland" Salzburg auch eine für das "Kronland" Ungarn; aber wie
steht es mit der östreichischen Regierung i u Ungarn? -- Ebenso wie unter den
Ferdinanden und unter Leopold; die vormärzlichen Liberale" sind unzugänglich und
die Mconservativen sind unmöglich geworden, denn Erstere werden nie an eine
östreichische Constitution glauben, Lcjztern ist mit der Suprematie der magya¬
rischen Sprache der Lebensnerv abgeschnitten worden. Nur die katholische Geist¬
lichkeit, die dem Ministerium Schwarzenberg die Rücknahme des l'Iaeslum rogium,
die Uebergabe deö Schulwesens und der Macht über die Geister verdanken, ferner
Einige, die an's Brod dienen oder in ihrem Dienste der Gcrmanisirungswnth der
fremden Beamten zu widerstehen hoffen, betheiligen sich an der neuen Ordnung
der Dinge, und wenn wir in einem Wiener Regierungsblatt lesen: "Das
Ministerium hat sich entschlossen, seinen eignen Weg zu gehen und weder den Alt-
couscrvativen noch den Liberalen sich anzuschließen," so ist dies das naivste Ge¬
ständnis; einer bittern Wahrheit, das je von einem Diener der Macht ausgesprochen
wurde.

Zur Beurtheilung der heutigen Parteistellnngen in Ungarn kann am besten
das kurze, echt römische Schreiben Dent's an Justizminister Schmerling vom Mai
d. I. und das Programm der Liberalen von 1847 dienen.

Bekanntlich wurde Franz De^k von Schmerling in einem sehr schmeichelhaften
Schreiben aufgefordert, nach Wien zu kommen und Theil an deu Berathungen
über Organisation der Gerichte in Ungarn zu nehmen. Der ungarische Exjnstiz-
minister antwortete: "Ew. Er,celi.! Die gütige Aufforderung, welche Ew. Excel!,
an mich gelangen zu lassen die Gewogenheit hatten, noch mehr aber die ehrenvolle
Art, in der diese Aufforderung gestellt ist, verpflichtet Mich, ineinen Dank an Ew.
Excell. ungesäumt auszusprechen. So sehr aber diese Aufforderung für mich
schmeichelhaft sein dürfte, bin ich dennoch gezwungen, den Antrag achtungsvoll,
aber bestimmt abzulehnen. Nach den traurigen Ereignissen jüngst vergange¬
ner Zeiten, unter Verhältnissen, wie sie jetzt noch bestehen, ist mir un¬
möglich, bei den öffentlichen Angelegenheiten thätlich mitwirken zu wollen. Ich
bin überzeugt, von Ew. Exeell. ja nicht mißdeutet zu werden; richtigere
Vorwände wollte ich nicht gebrauchen, und glaube durch freimüthige Offenheit
Ihrem anerkannten Charakter die größte Achtung zu erweisen. Genehmigen u. s. w."


Vorsehung schien den Patrioten auf einen Augenblick zum Seher zu machen,
dessen Geist sie bald darauf in ewiges Dunkel hüllte.

Heute ist der alte Plan der Habsburger in Erfüllung gegangen, Ungarn ist
gleichberechtigt mit deu übrigen Provinzen der Monarchie; was die Ferdinande
durch ihre Jesuiten, 'die Leopolde durch ihre Carasse nud Lasta, die große Kai¬
serin durch ihre Hofdamen nud der deutsche Joseph durch seine Orgauisatious-
pläuc nicht erreichen konnten, hat dem jungen Franz Joseph die Revolution
gebracht; im „RcichSgesejzblatt" lesen wir neben einer Verordnung für das
„Kronland" Salzburg auch eine für das „Kronland" Ungarn; aber wie
steht es mit der östreichischen Regierung i u Ungarn? — Ebenso wie unter den
Ferdinanden und unter Leopold; die vormärzlichen Liberale» sind unzugänglich und
die Mconservativen sind unmöglich geworden, denn Erstere werden nie an eine
östreichische Constitution glauben, Lcjztern ist mit der Suprematie der magya¬
rischen Sprache der Lebensnerv abgeschnitten worden. Nur die katholische Geist¬
lichkeit, die dem Ministerium Schwarzenberg die Rücknahme des l'Iaeslum rogium,
die Uebergabe deö Schulwesens und der Macht über die Geister verdanken, ferner
Einige, die an's Brod dienen oder in ihrem Dienste der Gcrmanisirungswnth der
fremden Beamten zu widerstehen hoffen, betheiligen sich an der neuen Ordnung
der Dinge, und wenn wir in einem Wiener Regierungsblatt lesen: „Das
Ministerium hat sich entschlossen, seinen eignen Weg zu gehen und weder den Alt-
couscrvativen noch den Liberalen sich anzuschließen," so ist dies das naivste Ge¬
ständnis; einer bittern Wahrheit, das je von einem Diener der Macht ausgesprochen
wurde.

Zur Beurtheilung der heutigen Parteistellnngen in Ungarn kann am besten
das kurze, echt römische Schreiben Dent's an Justizminister Schmerling vom Mai
d. I. und das Programm der Liberalen von 1847 dienen.

Bekanntlich wurde Franz De^k von Schmerling in einem sehr schmeichelhaften
Schreiben aufgefordert, nach Wien zu kommen und Theil an deu Berathungen
über Organisation der Gerichte in Ungarn zu nehmen. Der ungarische Exjnstiz-
minister antwortete: „Ew. Er,celi.! Die gütige Aufforderung, welche Ew. Excel!,
an mich gelangen zu lassen die Gewogenheit hatten, noch mehr aber die ehrenvolle
Art, in der diese Aufforderung gestellt ist, verpflichtet Mich, ineinen Dank an Ew.
Excell. ungesäumt auszusprechen. So sehr aber diese Aufforderung für mich
schmeichelhaft sein dürfte, bin ich dennoch gezwungen, den Antrag achtungsvoll,
aber bestimmt abzulehnen. Nach den traurigen Ereignissen jüngst vergange¬
ner Zeiten, unter Verhältnissen, wie sie jetzt noch bestehen, ist mir un¬
möglich, bei den öffentlichen Angelegenheiten thätlich mitwirken zu wollen. Ich
bin überzeugt, von Ew. Exeell. ja nicht mißdeutet zu werden; richtigere
Vorwände wollte ich nicht gebrauchen, und glaube durch freimüthige Offenheit
Ihrem anerkannten Charakter die größte Achtung zu erweisen. Genehmigen u. s. w."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/302>, abgerufen am 28.05.2024.