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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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lismns -- ist nicht eine vereinzelte Erscheinung, sondern die eigentlich treibende
Kraft des Zeitalters. Man soll-sie nicht zu tobten suchen, sondern sie zu einem
naturgemäßen Proceß zu organisiren.

Das Mittel, den Kampf des modernen Geistes, des politischen Idealismus,
mit der realen Mannigfaltigkeit des bestehenden Staats auf eine organische, regel-
mäßige Weise durchzuführen, ist für uus -- der constitutionelle Staat.
Der constitutionelle Staat ist für uns nicht ein ideales fertiges Bild, wie für die
Einen die Demokratie, für die Andern die Monarchie von Gottes Gnaden, son¬
dern die Form des Processes, in welcher die beiden Mächte sich geltend zu
machen haben. -- Ich will dabei zugestehen, daß für ein geniales, aber sittlich
depravirtes Volk, wie die Franzosen, das Fegefeuer der Republik für Augenblicke
ein zweckmäßigeres Heilmittel sein kann, aber es bleibt immer ein verzweifeltes
Mittel.

Der constitutionelle Staat ist für uns, wir können es nicht oft genug wie¬
derholen, nicht die heilige Widerspruchlosigkeit, sondern der organisirte Widerspruch.
Und eben als solcher ist er für uns, unter den bisher bekannten, die höchste und
am meisten entwickelte Staatsform.

Es ist bei der weitern Entwickelung derselbe", was die meisten Rechtslehrer
verwechseln, zweierlei zu unterscheiden: 1) die Anwendung dieser Staatsform zur
zweckmäßigen Entwirrung bestehender Rechtsverhältnisse, 2) die Anwendung zur
Bildung neuer, der Natur der Dinge entsprechender Rechtsverhältnisse, zur Grün¬
dung eines wirklichen politischen Neubaus. -- In Beidem wollen wir uns an
unsere deutschen Zustände halten.

Wir müssen außerdem unterscheiden zwischen den Phasen des constitutionellen
Staats. Unsere Partei hat mehrfach gefehlt, wenn sie für einzelne Fragen die
Analogie solcher Staaten herbeizog, in welchen das bei uns noch neue Moment
der Volksvertretung sich bereits so in den gesammten Staatsorganismus einge¬
fügt hat, daß der Gegensatz gar uicht mehr hervortritt; die Reaction aber ist
noch viel thörichter, wenn sie den Maßstab jener bereits entwickelten Staatsformen
an unsere Zustände legt, uns überreden will, eben weil bei uns der Gegensatz ein¬
tritt, seien wir nicht geeignet für freie Formen. Natürlich kann eine rechtliche
Ordnung erst da eintreten, wo die materielle Grundlage des Staats vorhanden
ist*); und ihre erste Erscheinung wird stets das Moment der Unfertigkeit, des



Wie das Recht d-S Volkes zur Theilnahme am Staate zu betrachten ist, entwickelt
Stahl vollkommen richtig p, SS--SZ- "Die vernünftige Ordnung des Gemeinwesens ist die
erste und weit über alles Andere überwiegende Rücksicht. Die Betheiligung der Menschen
an Herstellung dieser Ordnung ist dann allerdings eine zweite Rücksicht, soweit sie eben ohne
Nachthctl jener ersten erreicht werden kann. Darum ist es ein Fortschritt in der Geschichte
der Staatenbildung, diese Betheiligung zu gewähren, und es ist eine Steigerung und Ver¬
vollkommnung des öffentlichen Zustandes, wenn das in einem hohen Grade erreicht ist. Was
aber Sache des Fortschritts, der Steigerung und Vervollkommnung ist, das ist nicht ein an-

lismns — ist nicht eine vereinzelte Erscheinung, sondern die eigentlich treibende
Kraft des Zeitalters. Man soll-sie nicht zu tobten suchen, sondern sie zu einem
naturgemäßen Proceß zu organisiren.

Das Mittel, den Kampf des modernen Geistes, des politischen Idealismus,
mit der realen Mannigfaltigkeit des bestehenden Staats auf eine organische, regel-
mäßige Weise durchzuführen, ist für uus — der constitutionelle Staat.
Der constitutionelle Staat ist für uns nicht ein ideales fertiges Bild, wie für die
Einen die Demokratie, für die Andern die Monarchie von Gottes Gnaden, son¬
dern die Form des Processes, in welcher die beiden Mächte sich geltend zu
machen haben. — Ich will dabei zugestehen, daß für ein geniales, aber sittlich
depravirtes Volk, wie die Franzosen, das Fegefeuer der Republik für Augenblicke
ein zweckmäßigeres Heilmittel sein kann, aber es bleibt immer ein verzweifeltes
Mittel.

Der constitutionelle Staat ist für uns, wir können es nicht oft genug wie¬
derholen, nicht die heilige Widerspruchlosigkeit, sondern der organisirte Widerspruch.
Und eben als solcher ist er für uns, unter den bisher bekannten, die höchste und
am meisten entwickelte Staatsform.

Es ist bei der weitern Entwickelung derselbe», was die meisten Rechtslehrer
verwechseln, zweierlei zu unterscheiden: 1) die Anwendung dieser Staatsform zur
zweckmäßigen Entwirrung bestehender Rechtsverhältnisse, 2) die Anwendung zur
Bildung neuer, der Natur der Dinge entsprechender Rechtsverhältnisse, zur Grün¬
dung eines wirklichen politischen Neubaus. — In Beidem wollen wir uns an
unsere deutschen Zustände halten.

Wir müssen außerdem unterscheiden zwischen den Phasen des constitutionellen
Staats. Unsere Partei hat mehrfach gefehlt, wenn sie für einzelne Fragen die
Analogie solcher Staaten herbeizog, in welchen das bei uns noch neue Moment
der Volksvertretung sich bereits so in den gesammten Staatsorganismus einge¬
fügt hat, daß der Gegensatz gar uicht mehr hervortritt; die Reaction aber ist
noch viel thörichter, wenn sie den Maßstab jener bereits entwickelten Staatsformen
an unsere Zustände legt, uns überreden will, eben weil bei uns der Gegensatz ein¬
tritt, seien wir nicht geeignet für freie Formen. Natürlich kann eine rechtliche
Ordnung erst da eintreten, wo die materielle Grundlage des Staats vorhanden
ist*); und ihre erste Erscheinung wird stets das Moment der Unfertigkeit, des



Wie das Recht d-S Volkes zur Theilnahme am Staate zu betrachten ist, entwickelt
Stahl vollkommen richtig p, SS—SZ- „Die vernünftige Ordnung des Gemeinwesens ist die
erste und weit über alles Andere überwiegende Rücksicht. Die Betheiligung der Menschen
an Herstellung dieser Ordnung ist dann allerdings eine zweite Rücksicht, soweit sie eben ohne
Nachthctl jener ersten erreicht werden kann. Darum ist es ein Fortschritt in der Geschichte
der Staatenbildung, diese Betheiligung zu gewähren, und es ist eine Steigerung und Ver¬
vollkommnung des öffentlichen Zustandes, wenn das in einem hohen Grade erreicht ist. Was
aber Sache des Fortschritts, der Steigerung und Vervollkommnung ist, das ist nicht ein an-
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[0338] lismns — ist nicht eine vereinzelte Erscheinung, sondern die eigentlich treibende Kraft des Zeitalters. Man soll-sie nicht zu tobten suchen, sondern sie zu einem naturgemäßen Proceß zu organisiren. Das Mittel, den Kampf des modernen Geistes, des politischen Idealismus, mit der realen Mannigfaltigkeit des bestehenden Staats auf eine organische, regel- mäßige Weise durchzuführen, ist für uus — der constitutionelle Staat. Der constitutionelle Staat ist für uns nicht ein ideales fertiges Bild, wie für die Einen die Demokratie, für die Andern die Monarchie von Gottes Gnaden, son¬ dern die Form des Processes, in welcher die beiden Mächte sich geltend zu machen haben. — Ich will dabei zugestehen, daß für ein geniales, aber sittlich depravirtes Volk, wie die Franzosen, das Fegefeuer der Republik für Augenblicke ein zweckmäßigeres Heilmittel sein kann, aber es bleibt immer ein verzweifeltes Mittel. Der constitutionelle Staat ist für uns, wir können es nicht oft genug wie¬ derholen, nicht die heilige Widerspruchlosigkeit, sondern der organisirte Widerspruch. Und eben als solcher ist er für uns, unter den bisher bekannten, die höchste und am meisten entwickelte Staatsform. Es ist bei der weitern Entwickelung derselbe», was die meisten Rechtslehrer verwechseln, zweierlei zu unterscheiden: 1) die Anwendung dieser Staatsform zur zweckmäßigen Entwirrung bestehender Rechtsverhältnisse, 2) die Anwendung zur Bildung neuer, der Natur der Dinge entsprechender Rechtsverhältnisse, zur Grün¬ dung eines wirklichen politischen Neubaus. — In Beidem wollen wir uns an unsere deutschen Zustände halten. Wir müssen außerdem unterscheiden zwischen den Phasen des constitutionellen Staats. Unsere Partei hat mehrfach gefehlt, wenn sie für einzelne Fragen die Analogie solcher Staaten herbeizog, in welchen das bei uns noch neue Moment der Volksvertretung sich bereits so in den gesammten Staatsorganismus einge¬ fügt hat, daß der Gegensatz gar uicht mehr hervortritt; die Reaction aber ist noch viel thörichter, wenn sie den Maßstab jener bereits entwickelten Staatsformen an unsere Zustände legt, uns überreden will, eben weil bei uns der Gegensatz ein¬ tritt, seien wir nicht geeignet für freie Formen. Natürlich kann eine rechtliche Ordnung erst da eintreten, wo die materielle Grundlage des Staats vorhanden ist*); und ihre erste Erscheinung wird stets das Moment der Unfertigkeit, des Wie das Recht d-S Volkes zur Theilnahme am Staate zu betrachten ist, entwickelt Stahl vollkommen richtig p, SS—SZ- „Die vernünftige Ordnung des Gemeinwesens ist die erste und weit über alles Andere überwiegende Rücksicht. Die Betheiligung der Menschen an Herstellung dieser Ordnung ist dann allerdings eine zweite Rücksicht, soweit sie eben ohne Nachthctl jener ersten erreicht werden kann. Darum ist es ein Fortschritt in der Geschichte der Staatenbildung, diese Betheiligung zu gewähren, und es ist eine Steigerung und Ver¬ vollkommnung des öffentlichen Zustandes, wenn das in einem hohen Grade erreicht ist. Was aber Sache des Fortschritts, der Steigerung und Vervollkommnung ist, das ist nicht ein an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/338>, abgerufen am 13.05.2024.