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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Oper bearbeitet, von Halevy componirt, und zuerst in der italienischen Oper
zu London von den ersten Kräften der Welt, Lablache, Charlotte Grisi, Henriette
Sonntag u. s. w. aufgeführt. Das Stück hat schon zu einer ganzen Reihe kriti¬
scher Erörterungen Veranlassung gegeben, namentlich über die Frage, ob es an¬
ständig sei, die Werke des großen Tragöden zu Opern zu entstellen. Was die
bekannten italienischen Monstrositäten betrifft, Otello, die Montecchi und Capu-
letti u. f. w., so wird es wohl einem Jeden gleichgültig sein, ob Reminiscenzen
aus Shakespeare darin vorkommen, an eine eigentliche Ähnlichkeit ist ohnehin
nicht zu denken. Anders ist es mit Stücken, wie der Sommernachtstraum, as
z?on like it, der Sturm n. a. In ihnen ist das Gesetz der Stimmung in der
Komposition sowohl der Figuren als der Begebenheiten so vorherrschend, daß
sie aus dem Gebiet des Drama's völlig heraustreten. Caliban und Ariel, Prosper
und Miranda, Leander und Demetrius, Oberon und Puck, Orlando und Rosalinde
sind reine Opernstgnren, und was mit ihnen vorgeht, mehr als Oper. Eine
Entweichung des Dichters liegt also in derartigen Versuchen nicht, wohl ist es
aber die Frage, einmal, ob nicht in dem Shakespeare'schen Text, wie in man¬
chem Göthe'selen Lied, z. B. dem Fischer, bereits so viel Musik enthalten ist,
daß es sich eben darum der Composition entzieht; sodann, ob der neuem Oper
nicht ein anderes Gebiet angewiesen ist, als das phantastische. Die großen histo¬
rischen Kontraste in der tragischen, die Intriguen des gewöhnlichen Lebens in
der komischen Oper scheinen seit der Stummen von Portici, den Hnguenotteu
u. s. w. einerseits, Figaro's Hochzeit, der heimlichen Ehe, dem Barbier u. s. w.
andererseits, sich der Oper als ein ebenso angemessener Vorwurf zu bereiten, wie
dem Drama. Das Hochromantische, das freie, gesetzlose Spiel der absoluten
Phantasie scheint auch dieses Terrain verlieren zu sollen; die Papageno's und
Sarastro's gewinnen uns kein Interesse mehr ab. -- Bei Scribe's geschickter
Hand hat aber auch dieser Versuch viel Interesse. Er hat das Wunderbare noch
vermehrt, Caliban tritt als eigener Zauberer Prosper gegenüber, und seine
Mutter Sycorax steigert die Verwirrung. Was die Komposition betrifft, so ist
Halevy von seiner im Thal von Andorra eingeschlagenen Richtung, nach welcher
die Melodie sehr entschieden dominirt, wieder abgegangen und hat sich der
altern, wie sie namentlich in der Jüdin hervortritt, genähert.

-- Ein neues Vaudeville, nach echt Pariser Sitte von drei Verfassern:
Alphonse Royer, Gustave Vaez und Rarey: I^es ?aata,isis8 ac milorcl,
gibt dem Sopha wenig nach. Milord ist der Beschützer eine schönen Künstlerin.
Er überrascht eines Abends die Dame bei einem Souper mit zwei Liebhabern:
einem alten Gecken und einem unbärtiger Baccalaureus, der eben der Schule ent¬
laufe" ist. Dieser versteckt sich unter den Tisch, der Andere in einen Kleiderschrank;
Milord, der von Allem unterrichtet ist, amüsirt sich damit, dem Einen von Zeit
W Zeit Fußtritte zu geben, den Andern in dem engen Schrank ersticken zu lassen.


Oper bearbeitet, von Halevy componirt, und zuerst in der italienischen Oper
zu London von den ersten Kräften der Welt, Lablache, Charlotte Grisi, Henriette
Sonntag u. s. w. aufgeführt. Das Stück hat schon zu einer ganzen Reihe kriti¬
scher Erörterungen Veranlassung gegeben, namentlich über die Frage, ob es an¬
ständig sei, die Werke des großen Tragöden zu Opern zu entstellen. Was die
bekannten italienischen Monstrositäten betrifft, Otello, die Montecchi und Capu-
letti u. f. w., so wird es wohl einem Jeden gleichgültig sein, ob Reminiscenzen
aus Shakespeare darin vorkommen, an eine eigentliche Ähnlichkeit ist ohnehin
nicht zu denken. Anders ist es mit Stücken, wie der Sommernachtstraum, as
z?on like it, der Sturm n. a. In ihnen ist das Gesetz der Stimmung in der
Komposition sowohl der Figuren als der Begebenheiten so vorherrschend, daß
sie aus dem Gebiet des Drama's völlig heraustreten. Caliban und Ariel, Prosper
und Miranda, Leander und Demetrius, Oberon und Puck, Orlando und Rosalinde
sind reine Opernstgnren, und was mit ihnen vorgeht, mehr als Oper. Eine
Entweichung des Dichters liegt also in derartigen Versuchen nicht, wohl ist es
aber die Frage, einmal, ob nicht in dem Shakespeare'schen Text, wie in man¬
chem Göthe'selen Lied, z. B. dem Fischer, bereits so viel Musik enthalten ist,
daß es sich eben darum der Composition entzieht; sodann, ob der neuem Oper
nicht ein anderes Gebiet angewiesen ist, als das phantastische. Die großen histo¬
rischen Kontraste in der tragischen, die Intriguen des gewöhnlichen Lebens in
der komischen Oper scheinen seit der Stummen von Portici, den Hnguenotteu
u. s. w. einerseits, Figaro's Hochzeit, der heimlichen Ehe, dem Barbier u. s. w.
andererseits, sich der Oper als ein ebenso angemessener Vorwurf zu bereiten, wie
dem Drama. Das Hochromantische, das freie, gesetzlose Spiel der absoluten
Phantasie scheint auch dieses Terrain verlieren zu sollen; die Papageno's und
Sarastro's gewinnen uns kein Interesse mehr ab. — Bei Scribe's geschickter
Hand hat aber auch dieser Versuch viel Interesse. Er hat das Wunderbare noch
vermehrt, Caliban tritt als eigener Zauberer Prosper gegenüber, und seine
Mutter Sycorax steigert die Verwirrung. Was die Komposition betrifft, so ist
Halevy von seiner im Thal von Andorra eingeschlagenen Richtung, nach welcher
die Melodie sehr entschieden dominirt, wieder abgegangen und hat sich der
altern, wie sie namentlich in der Jüdin hervortritt, genähert.

— Ein neues Vaudeville, nach echt Pariser Sitte von drei Verfassern:
Alphonse Royer, Gustave Vaez und Rarey: I^es ?aata,isis8 ac milorcl,
gibt dem Sopha wenig nach. Milord ist der Beschützer eine schönen Künstlerin.
Er überrascht eines Abends die Dame bei einem Souper mit zwei Liebhabern:
einem alten Gecken und einem unbärtiger Baccalaureus, der eben der Schule ent¬
laufe» ist. Dieser versteckt sich unter den Tisch, der Andere in einen Kleiderschrank;
Milord, der von Allem unterrichtet ist, amüsirt sich damit, dem Einen von Zeit
W Zeit Fußtritte zu geben, den Andern in dem engen Schrank ersticken zu lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/350>, abgerufen am 28.05.2024.