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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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auch hier oft blinde Greise (Slispei), ihre Gesänge, welche Jahrhunderte lang
im Volke leben. So entstand die Lasaricza, so die Cyklen von den spätem
Kosovo-Schlachten, so erst kürzlich die zahlreichen epischen Volksdichtungen ans
dem großen Befreiungskampf unter Kara Georgje und Miloö Obrenowicz. So
wird jetzt schon an einer cnliivirtern Umformung der Lagerlieder über den "weißen
Falken" Kniczanin und den "jungen Adler Georgje", Stratimirowicz geformt.
Aus serbischen Zeitungen erfährt man, daß im Fürstenthum Serbien ein neuer
blinder Volksdichter aufgetaucht ist, dessen Gesänge Furore machen. Derselbe
dichtet jetzt diese Lieder aus Kniczaniu's Lager um ; er ist ein Vetter des serbischen
Gelehrten Will Stepanovicz Karadzicz und erst im reifen Mannesalter völlig
erblindet.

Das Gedicht, welches wir hier wortgetreu- nach dem uus mitgetheilten Text
in dem Versmaaß des Originals, fünffüßigen Trochäen, mittheilen, ist eines von
den einfachen Anfängen epischer Dichtung im Jahre 1848, welche im Lager der
Serben gedichtet und frischweg gesungen worden sind. So wenig Ansprüche auf
Kunstwerth dasselbe auch zu macheu berechtigt ist, so wird es doch seiner Seltsam¬
keit wegen sür die Leser von Interesse sein; von uoch großen" aber deshalb, weil
gerade aus seiner Einfachheit, Armuth und Rohheit zu erkenn en ist, in welcher
Weise das Volk allmälig seine epischen Stoffe sich zubereitet.

Das Schlachtlied von Bilovo.
Einen Brief schreibt Genral Moritz Persei
Aus des Dorfs Samt Ivan schwarzen Trümmern,
sendet ihn zum Feldherrn Kniczanin:
"Höre Stefan Kniezanin, du Feldherr!
"Morgen ward' ich suchen dich und schlagen;
"Einen Angriff mach' ich auf dein Lager
"An dem Tag der heiligen Erlösung,
"Morgen, wenn ihr Liturgien singt.
"Will 5as Dorf vor deinen Augen nehmen,
"Deine Truppen Dir zu Staub zerreiben,
"Und die Kirche von Mosorin schänden.
"Einen Stall mach' ich ans eurer Kirche,
"Füttre vor dem Altar meinen Schimmel.
"Aber die Rebellen aus der Baczka,
"Die ich fange, laß ich alle hängen
, "Rings um's ruß'ge Dorf in langer Reih'.
"Ihre Capitaine, die ich fange,
"Will gebunden ich durch Ungarn führen,
"Damit Groß und Klein nach ihnen spucke.
"Taufen laß ich sie zum zweitenmale
"Durch den Speichel unsrer Frau'n und Kinder,
"Dann ein's Kreuz, an spitze Pfähle schlagen."

auch hier oft blinde Greise (Slispei), ihre Gesänge, welche Jahrhunderte lang
im Volke leben. So entstand die Lasaricza, so die Cyklen von den spätem
Kosovo-Schlachten, so erst kürzlich die zahlreichen epischen Volksdichtungen ans
dem großen Befreiungskampf unter Kara Georgje und Miloö Obrenowicz. So
wird jetzt schon an einer cnliivirtern Umformung der Lagerlieder über den „weißen
Falken" Kniczanin und den „jungen Adler Georgje", Stratimirowicz geformt.
Aus serbischen Zeitungen erfährt man, daß im Fürstenthum Serbien ein neuer
blinder Volksdichter aufgetaucht ist, dessen Gesänge Furore machen. Derselbe
dichtet jetzt diese Lieder aus Kniczaniu's Lager um ; er ist ein Vetter des serbischen
Gelehrten Will Stepanovicz Karadzicz und erst im reifen Mannesalter völlig
erblindet.

Das Gedicht, welches wir hier wortgetreu- nach dem uus mitgetheilten Text
in dem Versmaaß des Originals, fünffüßigen Trochäen, mittheilen, ist eines von
den einfachen Anfängen epischer Dichtung im Jahre 1848, welche im Lager der
Serben gedichtet und frischweg gesungen worden sind. So wenig Ansprüche auf
Kunstwerth dasselbe auch zu macheu berechtigt ist, so wird es doch seiner Seltsam¬
keit wegen sür die Leser von Interesse sein; von uoch großen» aber deshalb, weil
gerade aus seiner Einfachheit, Armuth und Rohheit zu erkenn en ist, in welcher
Weise das Volk allmälig seine epischen Stoffe sich zubereitet.

Das Schlachtlied von Bilovo.
Einen Brief schreibt Genral Moritz Persei
Aus des Dorfs Samt Ivan schwarzen Trümmern,
sendet ihn zum Feldherrn Kniczanin:
„Höre Stefan Kniezanin, du Feldherr!
„Morgen ward' ich suchen dich und schlagen;
„Einen Angriff mach' ich auf dein Lager
„An dem Tag der heiligen Erlösung,
„Morgen, wenn ihr Liturgien singt.
„Will 5as Dorf vor deinen Augen nehmen,
„Deine Truppen Dir zu Staub zerreiben,
„Und die Kirche von Mosorin schänden.
„Einen Stall mach' ich ans eurer Kirche,
„Füttre vor dem Altar meinen Schimmel.
„Aber die Rebellen aus der Baczka,
„Die ich fange, laß ich alle hängen
, „Rings um's ruß'ge Dorf in langer Reih'.
„Ihre Capitaine, die ich fange,
„Will gebunden ich durch Ungarn führen,
„Damit Groß und Klein nach ihnen spucke.
„Taufen laß ich sie zum zweitenmale
„Durch den Speichel unsrer Frau'n und Kinder,
„Dann ein's Kreuz, an spitze Pfähle schlagen."

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[0352] auch hier oft blinde Greise (Slispei), ihre Gesänge, welche Jahrhunderte lang im Volke leben. So entstand die Lasaricza, so die Cyklen von den spätem Kosovo-Schlachten, so erst kürzlich die zahlreichen epischen Volksdichtungen ans dem großen Befreiungskampf unter Kara Georgje und Miloö Obrenowicz. So wird jetzt schon an einer cnliivirtern Umformung der Lagerlieder über den „weißen Falken" Kniczanin und den „jungen Adler Georgje", Stratimirowicz geformt. Aus serbischen Zeitungen erfährt man, daß im Fürstenthum Serbien ein neuer blinder Volksdichter aufgetaucht ist, dessen Gesänge Furore machen. Derselbe dichtet jetzt diese Lieder aus Kniczaniu's Lager um ; er ist ein Vetter des serbischen Gelehrten Will Stepanovicz Karadzicz und erst im reifen Mannesalter völlig erblindet. Das Gedicht, welches wir hier wortgetreu- nach dem uus mitgetheilten Text in dem Versmaaß des Originals, fünffüßigen Trochäen, mittheilen, ist eines von den einfachen Anfängen epischer Dichtung im Jahre 1848, welche im Lager der Serben gedichtet und frischweg gesungen worden sind. So wenig Ansprüche auf Kunstwerth dasselbe auch zu macheu berechtigt ist, so wird es doch seiner Seltsam¬ keit wegen sür die Leser von Interesse sein; von uoch großen» aber deshalb, weil gerade aus seiner Einfachheit, Armuth und Rohheit zu erkenn en ist, in welcher Weise das Volk allmälig seine epischen Stoffe sich zubereitet. Das Schlachtlied von Bilovo. Einen Brief schreibt Genral Moritz Persei Aus des Dorfs Samt Ivan schwarzen Trümmern, sendet ihn zum Feldherrn Kniczanin: „Höre Stefan Kniezanin, du Feldherr! „Morgen ward' ich suchen dich und schlagen; „Einen Angriff mach' ich auf dein Lager „An dem Tag der heiligen Erlösung, „Morgen, wenn ihr Liturgien singt. „Will 5as Dorf vor deinen Augen nehmen, „Deine Truppen Dir zu Staub zerreiben, „Und die Kirche von Mosorin schänden. „Einen Stall mach' ich ans eurer Kirche, „Füttre vor dem Altar meinen Schimmel. „Aber die Rebellen aus der Baczka, „Die ich fange, laß ich alle hängen , „Rings um's ruß'ge Dorf in langer Reih'. „Ihre Capitaine, die ich fange, „Will gebunden ich durch Ungarn führen, „Damit Groß und Klein nach ihnen spucke. „Taufen laß ich sie zum zweitenmale „Durch den Speichel unsrer Frau'n und Kinder, „Dann ein's Kreuz, an spitze Pfähle schlagen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/352>, abgerufen am 19.05.2024.