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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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nachzuhelfen, und so hofft man, die Erinnerung an das Jahr 1848 dem Volke
radical wcgzuknriren. -- Dennoch aber hofft man vergebens!

Vor einiger Zeit wurde in halbofflciellcn Journalen die Kunde ausgetrom¬
petet, die Belagerungszustände würden demnächst aufgehoben, eine allgemeine
Amnestie würde an des Kaisers Geburtstag ausgesprochen werden; alberne Leute
hofften und vertrauten, das belagerte Prag gab sich der Idee hin, es werde in
wenigen Tagen frische Nahrung genießen, es werde sich nicht mehr auf gepvckelteö
Pferdefleisch angewiesen sehen; all das alberne Hoffen zerrann in Nebel, man ist
durchaus uicht gemüthlich in Wien und zieht es vor, hohe Geburtstage durch
Kanonenlärm, nicht aber durch Freudenthränen der verhaßten, weil freiheits¬
begehrlichen, sogenannten Unterthanen, feierlich begehen zu lassen.

Statt eines Belagerers thronen ihrer zwei auf dem Hradschin, ein weltlicher
und ein geistlicher, womit man uns den Zuständen der glücklichen Japanesen all-
mälig näher bringt.

Kanone und Baunstrahl bedrohen die politisch-religiöse Häresiö da unten in
der verpesteten Praga, ganz wie vor 230 Jahren; vielleicht erleben wir anch die
Hinrichtung einiger Teilnehmer des perfid fingirten MaiputscheS, damit das
Plagiat ein vollständiges werde. An Lust und Liebe fehlte es wohl den Mäch¬
tigen des Hradschius uicht, fiele ihnen uicht der Weltgeist in den frevelnden Arm.

Das entsetzliche Vergehen an der gesunden Vernunft, für welches der ultra¬
montane Minister Leo Thun uns verantwortlich bleibt, jene Emancipation der
Hicrarchcu, trägt bereits seine giftigen Früchte. Lignorianische Missionäre durch¬
ziehen das Land, wüthen aus den Kanzeln wie Aberwitzige, belehren alte Weiber
und mannestolle alte Jungfern, erbittern aber das mannhafte Volk, das mit dem
Unsinn jener blasphemirenden Zeloten den Glauben selber über Bord wirst;
wunderthätige Jungfrauen tauchen ans aus den, geheimen Laboratorien zelotischer
Pfarrer, um entlarvt zu werden -- in den Gebährhänsern; so macht man Religion
in Oestreich unter dein glanbcnöwüthigen Kultusminister Leo Thun.

Es haben die Grenzboten im vorigen Jahrgange eine Charakteristik dieses
Mannes gebracht, doch ließ diese gerade die entsetzlichste Schattenseite dieses Cha¬
rakters unbesprochen, welche sich hente in seinem öffentlichen Wirken so beklagens¬
wert!) geltend macht und ihn wohl für einen Lignorianerconvent, nimmermehr
aber für ein Ministerium Oestreichs eignet. Leider hat dies der unglückselige
Mann vor wenig Tagen in seiner Vaterstadt Prag cclatant bewiesen.

Am 15. Angust feierte die emancipirte katholische Kirche, eigentlich nur die
Hierarchie, ihre Siegestriumphc, indem der Erzbischof Schwarzenberg seinen
triumphatorischcn Einzug hielt, um oben aus dem Hradschin seine Inthronisation
mit gregorianischem Pompe zu begehen.

Die protestantische Kirche liegt in den alten Fesseln, die katholische aber läßt


nachzuhelfen, und so hofft man, die Erinnerung an das Jahr 1848 dem Volke
radical wcgzuknriren. — Dennoch aber hofft man vergebens!

Vor einiger Zeit wurde in halbofflciellcn Journalen die Kunde ausgetrom¬
petet, die Belagerungszustände würden demnächst aufgehoben, eine allgemeine
Amnestie würde an des Kaisers Geburtstag ausgesprochen werden; alberne Leute
hofften und vertrauten, das belagerte Prag gab sich der Idee hin, es werde in
wenigen Tagen frische Nahrung genießen, es werde sich nicht mehr auf gepvckelteö
Pferdefleisch angewiesen sehen; all das alberne Hoffen zerrann in Nebel, man ist
durchaus uicht gemüthlich in Wien und zieht es vor, hohe Geburtstage durch
Kanonenlärm, nicht aber durch Freudenthränen der verhaßten, weil freiheits¬
begehrlichen, sogenannten Unterthanen, feierlich begehen zu lassen.

Statt eines Belagerers thronen ihrer zwei auf dem Hradschin, ein weltlicher
und ein geistlicher, womit man uns den Zuständen der glücklichen Japanesen all-
mälig näher bringt.

Kanone und Baunstrahl bedrohen die politisch-religiöse Häresiö da unten in
der verpesteten Praga, ganz wie vor 230 Jahren; vielleicht erleben wir anch die
Hinrichtung einiger Teilnehmer des perfid fingirten MaiputscheS, damit das
Plagiat ein vollständiges werde. An Lust und Liebe fehlte es wohl den Mäch¬
tigen des Hradschius uicht, fiele ihnen uicht der Weltgeist in den frevelnden Arm.

Das entsetzliche Vergehen an der gesunden Vernunft, für welches der ultra¬
montane Minister Leo Thun uns verantwortlich bleibt, jene Emancipation der
Hicrarchcu, trägt bereits seine giftigen Früchte. Lignorianische Missionäre durch¬
ziehen das Land, wüthen aus den Kanzeln wie Aberwitzige, belehren alte Weiber
und mannestolle alte Jungfern, erbittern aber das mannhafte Volk, das mit dem
Unsinn jener blasphemirenden Zeloten den Glauben selber über Bord wirst;
wunderthätige Jungfrauen tauchen ans aus den, geheimen Laboratorien zelotischer
Pfarrer, um entlarvt zu werden — in den Gebährhänsern; so macht man Religion
in Oestreich unter dein glanbcnöwüthigen Kultusminister Leo Thun.

Es haben die Grenzboten im vorigen Jahrgange eine Charakteristik dieses
Mannes gebracht, doch ließ diese gerade die entsetzlichste Schattenseite dieses Cha¬
rakters unbesprochen, welche sich hente in seinem öffentlichen Wirken so beklagens¬
wert!) geltend macht und ihn wohl für einen Lignorianerconvent, nimmermehr
aber für ein Ministerium Oestreichs eignet. Leider hat dies der unglückselige
Mann vor wenig Tagen in seiner Vaterstadt Prag cclatant bewiesen.

Am 15. Angust feierte die emancipirte katholische Kirche, eigentlich nur die
Hierarchie, ihre Siegestriumphc, indem der Erzbischof Schwarzenberg seinen
triumphatorischcn Einzug hielt, um oben aus dem Hradschin seine Inthronisation
mit gregorianischem Pompe zu begehen.

Die protestantische Kirche liegt in den alten Fesseln, die katholische aber läßt


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[0394] nachzuhelfen, und so hofft man, die Erinnerung an das Jahr 1848 dem Volke radical wcgzuknriren. — Dennoch aber hofft man vergebens! Vor einiger Zeit wurde in halbofflciellcn Journalen die Kunde ausgetrom¬ petet, die Belagerungszustände würden demnächst aufgehoben, eine allgemeine Amnestie würde an des Kaisers Geburtstag ausgesprochen werden; alberne Leute hofften und vertrauten, das belagerte Prag gab sich der Idee hin, es werde in wenigen Tagen frische Nahrung genießen, es werde sich nicht mehr auf gepvckelteö Pferdefleisch angewiesen sehen; all das alberne Hoffen zerrann in Nebel, man ist durchaus uicht gemüthlich in Wien und zieht es vor, hohe Geburtstage durch Kanonenlärm, nicht aber durch Freudenthränen der verhaßten, weil freiheits¬ begehrlichen, sogenannten Unterthanen, feierlich begehen zu lassen. Statt eines Belagerers thronen ihrer zwei auf dem Hradschin, ein weltlicher und ein geistlicher, womit man uns den Zuständen der glücklichen Japanesen all- mälig näher bringt. Kanone und Baunstrahl bedrohen die politisch-religiöse Häresiö da unten in der verpesteten Praga, ganz wie vor 230 Jahren; vielleicht erleben wir anch die Hinrichtung einiger Teilnehmer des perfid fingirten MaiputscheS, damit das Plagiat ein vollständiges werde. An Lust und Liebe fehlte es wohl den Mäch¬ tigen des Hradschius uicht, fiele ihnen uicht der Weltgeist in den frevelnden Arm. Das entsetzliche Vergehen an der gesunden Vernunft, für welches der ultra¬ montane Minister Leo Thun uns verantwortlich bleibt, jene Emancipation der Hicrarchcu, trägt bereits seine giftigen Früchte. Lignorianische Missionäre durch¬ ziehen das Land, wüthen aus den Kanzeln wie Aberwitzige, belehren alte Weiber und mannestolle alte Jungfern, erbittern aber das mannhafte Volk, das mit dem Unsinn jener blasphemirenden Zeloten den Glauben selber über Bord wirst; wunderthätige Jungfrauen tauchen ans aus den, geheimen Laboratorien zelotischer Pfarrer, um entlarvt zu werden — in den Gebährhänsern; so macht man Religion in Oestreich unter dein glanbcnöwüthigen Kultusminister Leo Thun. Es haben die Grenzboten im vorigen Jahrgange eine Charakteristik dieses Mannes gebracht, doch ließ diese gerade die entsetzlichste Schattenseite dieses Cha¬ rakters unbesprochen, welche sich hente in seinem öffentlichen Wirken so beklagens¬ wert!) geltend macht und ihn wohl für einen Lignorianerconvent, nimmermehr aber für ein Ministerium Oestreichs eignet. Leider hat dies der unglückselige Mann vor wenig Tagen in seiner Vaterstadt Prag cclatant bewiesen. Am 15. Angust feierte die emancipirte katholische Kirche, eigentlich nur die Hierarchie, ihre Siegestriumphc, indem der Erzbischof Schwarzenberg seinen triumphatorischcn Einzug hielt, um oben aus dem Hradschin seine Inthronisation mit gregorianischem Pompe zu begehen. Die protestantische Kirche liegt in den alten Fesseln, die katholische aber läßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/394>, abgerufen am 19.05.2024.