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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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ganzes staatliches Leben hin. Wir brauchen nur an die Jschlcr Conferenz zu erinnern,
welche über die beabsichtigte Rückkehr zum alten Regiment keinen Zweifel übrig läßt.
Diese süßen Ahnungen mochten wohl auch der Beweggrund sein, warum Richard Metternich,
ein gedankenloser Wüstling, eine musikalische Piöcc erscheinen ließ unter dem bedeutungs¬
vollen Titel: Köveris! Dieselbe Idee, nur in anderer Richtung, hat auch den Opern-
sujet-Fabrikanten Otto Prechtler zu einer Tragödie: "Johanna von Neapel" begeistert,
über welches kraft- und saftlose Machwerk das Publicum ein entschiedenes Verdammungs-
urtheil fällte. Ja, die Zeiten sind vorbei, da Parterre und Galerie in holder Eintracht
dem mit schönen Worten aufgeputzten Unsinn gemüthlich Beifall klatschten.




Neue Gemälde.

Wir haben schon früher von Zeit zu Zeit eine Kritik neu erschienener Gemälde versucht,
wie uns gerade der Zufall dieselben in den Weg führte. Wir werden darin fortfahren,
ohne uns aber künftig auf die historische Gattung zu beschränken, da diese aus sehr
begreiflichen Gründen wenigstens für den Augenblick eine sehr geringe Ausbeute gibt.
Wir beginnen mit einigen der jetzt in Del Vecchio's permanenter Kunstausstellung auf¬
gestellten Bilder.

"Noch lebt die alte Kunst!" Dieses Ausrufs konnten wir uns nicht erwehren
beim Anblick des Bildes von Venne manu in Antwerpen: "Das Innere einer
Kneipe." Ein tiefes Studium der alten Niederländer, besonders Tenier's, ist nicht
zu verkennen, und doch bleibt Venncmann genug selbstständige Eigenthümlichkeit und
Originalität. Dazu eine meisterhafte Vollendung bis in die kleinsten Details. Die
Farbenstimmnng ist unübertrefflich; der Effect ungesucht, er gibt sich von selbst. Das
ist der Höhepunkt der Kunst: scheinbar spielend mit so wenigen Mitteln so viel zu
leisten. Dem obengenannten schließt sich 'nach Vorwurf und Behandlung ein kleineres
Bild an: "Ein spielender Musikant von C. Schlcißner in Kopenhagen." Es hat
viel Vortreffliches; die sitzende Figur des Musikanten ist von vieler Wahrheit in Aus¬
druck und Zeichnung, das Halbdunkel der Küche durch die offenstehende Thür ist gut
und die weibliche Figur in derselben tritt zurück, ohne an Lebendigkeit zu verlieren,
aber das bettelnde Kind des Musikanten steht nicht an seinem Platze: es ist so beleuchtet,
daß es dem Beschauer entgcgenspringt und sich, besonders durch das rothe Kopftuch,
weit vor die Mauer des Hauses stellt, in dessen Innerem sie sich eigentlich befinden.
Die Nebensachen sind fleißig gemalt und mit Natürlichkeit dargestellt.

"Ivan der Schreckliche, Czar von Rußland, dem heidnische Zau¬
berer den Tod verkündigen" von Professor Bähr in Dresden; ein historisches
Bild, das schon durch seine Dimensionen Anspruch auf Beachtung macht. Es ist mit
großer technischer Fertigkeit gemalt und exact und gewissenhaft gezeichnet; die Gewandung
ist durchweg vortrefflich und die Nebensachen wie z. B. das Holzwerk an Tisch und
Stühlen, der Ofen u. s. w., obgleich pi-im" gemalt und mit großer Leichtigkeit behan¬
delt, doch täuschend. Und warum läßt uns nach alledem dies Bild doch so gänzlich


ganzes staatliches Leben hin. Wir brauchen nur an die Jschlcr Conferenz zu erinnern,
welche über die beabsichtigte Rückkehr zum alten Regiment keinen Zweifel übrig läßt.
Diese süßen Ahnungen mochten wohl auch der Beweggrund sein, warum Richard Metternich,
ein gedankenloser Wüstling, eine musikalische Piöcc erscheinen ließ unter dem bedeutungs¬
vollen Titel: Köveris! Dieselbe Idee, nur in anderer Richtung, hat auch den Opern-
sujet-Fabrikanten Otto Prechtler zu einer Tragödie: „Johanna von Neapel" begeistert,
über welches kraft- und saftlose Machwerk das Publicum ein entschiedenes Verdammungs-
urtheil fällte. Ja, die Zeiten sind vorbei, da Parterre und Galerie in holder Eintracht
dem mit schönen Worten aufgeputzten Unsinn gemüthlich Beifall klatschten.




Neue Gemälde.

Wir haben schon früher von Zeit zu Zeit eine Kritik neu erschienener Gemälde versucht,
wie uns gerade der Zufall dieselben in den Weg führte. Wir werden darin fortfahren,
ohne uns aber künftig auf die historische Gattung zu beschränken, da diese aus sehr
begreiflichen Gründen wenigstens für den Augenblick eine sehr geringe Ausbeute gibt.
Wir beginnen mit einigen der jetzt in Del Vecchio's permanenter Kunstausstellung auf¬
gestellten Bilder.

„Noch lebt die alte Kunst!" Dieses Ausrufs konnten wir uns nicht erwehren
beim Anblick des Bildes von Venne manu in Antwerpen: „Das Innere einer
Kneipe." Ein tiefes Studium der alten Niederländer, besonders Tenier's, ist nicht
zu verkennen, und doch bleibt Venncmann genug selbstständige Eigenthümlichkeit und
Originalität. Dazu eine meisterhafte Vollendung bis in die kleinsten Details. Die
Farbenstimmnng ist unübertrefflich; der Effect ungesucht, er gibt sich von selbst. Das
ist der Höhepunkt der Kunst: scheinbar spielend mit so wenigen Mitteln so viel zu
leisten. Dem obengenannten schließt sich 'nach Vorwurf und Behandlung ein kleineres
Bild an: „Ein spielender Musikant von C. Schlcißner in Kopenhagen." Es hat
viel Vortreffliches; die sitzende Figur des Musikanten ist von vieler Wahrheit in Aus¬
druck und Zeichnung, das Halbdunkel der Küche durch die offenstehende Thür ist gut
und die weibliche Figur in derselben tritt zurück, ohne an Lebendigkeit zu verlieren,
aber das bettelnde Kind des Musikanten steht nicht an seinem Platze: es ist so beleuchtet,
daß es dem Beschauer entgcgenspringt und sich, besonders durch das rothe Kopftuch,
weit vor die Mauer des Hauses stellt, in dessen Innerem sie sich eigentlich befinden.
Die Nebensachen sind fleißig gemalt und mit Natürlichkeit dargestellt.

„Ivan der Schreckliche, Czar von Rußland, dem heidnische Zau¬
berer den Tod verkündigen" von Professor Bähr in Dresden; ein historisches
Bild, das schon durch seine Dimensionen Anspruch auf Beachtung macht. Es ist mit
großer technischer Fertigkeit gemalt und exact und gewissenhaft gezeichnet; die Gewandung
ist durchweg vortrefflich und die Nebensachen wie z. B. das Holzwerk an Tisch und
Stühlen, der Ofen u. s. w., obgleich pi-im» gemalt und mit großer Leichtigkeit behan¬
delt, doch täuschend. Und warum läßt uns nach alledem dies Bild doch so gänzlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/482>, abgerufen am 19.05.2024.