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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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keit und theilweise völligen Verdunkelung des Nechtöbcwußtseins vergleicht, die sich
in Sachsen gegenüber den Gewaltstreichen des Ministeriums kundgibt, so muß man
die Geschichte beider Länder, besonders ihre Regentengcschichte, berücksichtigen.
Kurhessen hat eine strenge Schule des politischen Lebens durchgemacht unter dem
Scepter von Fürsten, die sich seit einem Jahrhundert in Harte, Despotismus
und Vergeudung der Mittel des Landes überboten, wahrend Sachsen das zwei¬
deutige Glück hatte, nach einigen verschwenderischen und prachtliebenden Fürsten,
welche dnrch den weichlichen Luxus eines üppigen und sittenlosen Hofes demorali-
sircud auf das Volk wirkten, uuter der langjährigen Herrschaft eines Monarchen
zu stehen, der alle passiven Tugenden eines solchen -- Sparsamkeit, strenges Fest¬
halten an dem einmal zu Recht Bestehenden, väterliche Milde, aber keine jener
Eigenschaften besaß, welche ein Volk entweder dnrch verständige Anleitung von
oben, oder durch Anreizung zum Widerstande, zur Selbstständigkeit erziehen. So
kam es, daß, als des gerechten Friedrich August Nachfolger, der gütige Anton,
unter des jetzt regierenden Königs Beirath im Jahre 1830 zur Verleihung einer
Verfassung sich bewegen ließ, man diese Verfassung fast überall mit Vertrauen und
Dankbarkeit aufnahm und nicht daran dachte, nach stärkern Bürgschaften ver¬
fassungsmäßiger Freiheit zu streben, als man darin von freien Stücken gewährt
fand. Dazu wollte es auch noch das Geschick Sachsens, daß die Verwirklichung
der Verfassung dnrch einen Minister (v. Lindenau) geschah, der das unbedingte
Vertrauen des Volks und der Volksvertretung ebenso verdiente, als beanspruchte,
der es seinerseits vollkommen redlich mit der Verfassung meinte, aber nicht vorans-
sichtig genug war, um auch an die zu denken, die nach ihm kommen mochten, und
gegen diese seine eigene Aussaat mit schützenden Schranken zu umgeben.

Wie ganz anders in Kurhessen. Dort führte das Mißtrauen bei den Ver¬
sammlungen über die neue Verfassung im Jahr 1831 allerseits das Wort.

Auch hatte Kurhessen das Glück, einen Mann zu finden, der diesem Mi߬
trauen die geeignete staatsrechtliche Form und Fassung zu geben wußte, der nicht
blos voraus erkannte, wo der Verfassung am leichtesten Gefahr drohen könnte,
sondern auch, wie man dieser Gefahr durch gehörige Bürgschaften und Cautelen
zu begegnen habe. So ward die kurhessische Verfassung vom 3. Januar 1831
das Muster einer wohlverclausulirten Verfassung, wie sie einestheils für ein Land,
wo das Verfassungsleben und der Volksgeist nicht schon in sich ausgebildet und
kräftig genug waren, um sich selbst zu schützen, durchaus nothwendig, andererseits
bei den beschränkenden Bestimmungen der, überall den Absolutismus bevorzugen¬
den Bundesgesetzgebung allein möglich war. Das hessische Volk möge in
den jetzigen schweren Tagen mit verdoppelter Dankbarkeit und
Verehrung Hinblicken ausdem Mann, der nicht nnr diese Verfassung
ihm geschenkt, sondern auch dafür, daß er es that, so hart ge¬
litten hat! (Jordan.)


keit und theilweise völligen Verdunkelung des Nechtöbcwußtseins vergleicht, die sich
in Sachsen gegenüber den Gewaltstreichen des Ministeriums kundgibt, so muß man
die Geschichte beider Länder, besonders ihre Regentengcschichte, berücksichtigen.
Kurhessen hat eine strenge Schule des politischen Lebens durchgemacht unter dem
Scepter von Fürsten, die sich seit einem Jahrhundert in Harte, Despotismus
und Vergeudung der Mittel des Landes überboten, wahrend Sachsen das zwei¬
deutige Glück hatte, nach einigen verschwenderischen und prachtliebenden Fürsten,
welche dnrch den weichlichen Luxus eines üppigen und sittenlosen Hofes demorali-
sircud auf das Volk wirkten, uuter der langjährigen Herrschaft eines Monarchen
zu stehen, der alle passiven Tugenden eines solchen — Sparsamkeit, strenges Fest¬
halten an dem einmal zu Recht Bestehenden, väterliche Milde, aber keine jener
Eigenschaften besaß, welche ein Volk entweder dnrch verständige Anleitung von
oben, oder durch Anreizung zum Widerstande, zur Selbstständigkeit erziehen. So
kam es, daß, als des gerechten Friedrich August Nachfolger, der gütige Anton,
unter des jetzt regierenden Königs Beirath im Jahre 1830 zur Verleihung einer
Verfassung sich bewegen ließ, man diese Verfassung fast überall mit Vertrauen und
Dankbarkeit aufnahm und nicht daran dachte, nach stärkern Bürgschaften ver¬
fassungsmäßiger Freiheit zu streben, als man darin von freien Stücken gewährt
fand. Dazu wollte es auch noch das Geschick Sachsens, daß die Verwirklichung
der Verfassung dnrch einen Minister (v. Lindenau) geschah, der das unbedingte
Vertrauen des Volks und der Volksvertretung ebenso verdiente, als beanspruchte,
der es seinerseits vollkommen redlich mit der Verfassung meinte, aber nicht vorans-
sichtig genug war, um auch an die zu denken, die nach ihm kommen mochten, und
gegen diese seine eigene Aussaat mit schützenden Schranken zu umgeben.

Wie ganz anders in Kurhessen. Dort führte das Mißtrauen bei den Ver¬
sammlungen über die neue Verfassung im Jahr 1831 allerseits das Wort.

Auch hatte Kurhessen das Glück, einen Mann zu finden, der diesem Mi߬
trauen die geeignete staatsrechtliche Form und Fassung zu geben wußte, der nicht
blos voraus erkannte, wo der Verfassung am leichtesten Gefahr drohen könnte,
sondern auch, wie man dieser Gefahr durch gehörige Bürgschaften und Cautelen
zu begegnen habe. So ward die kurhessische Verfassung vom 3. Januar 1831
das Muster einer wohlverclausulirten Verfassung, wie sie einestheils für ein Land,
wo das Verfassungsleben und der Volksgeist nicht schon in sich ausgebildet und
kräftig genug waren, um sich selbst zu schützen, durchaus nothwendig, andererseits
bei den beschränkenden Bestimmungen der, überall den Absolutismus bevorzugen¬
den Bundesgesetzgebung allein möglich war. Das hessische Volk möge in
den jetzigen schweren Tagen mit verdoppelter Dankbarkeit und
Verehrung Hinblicken ausdem Mann, der nicht nnr diese Verfassung
ihm geschenkt, sondern auch dafür, daß er es that, so hart ge¬
litten hat! (Jordan.)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/490>, abgerufen am 19.05.2024.