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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Sammlungen Lieder. Am meisten hervorzuheben ans diesen sind op. 35, 36,
39, 42, 45, 49. Auch mit mehrstimmigen Gesang beschäftigt er sich jetzt (op. 33,
Lieder für Männerstimmen, c>p. 55 und 5ö, Lieder für gemischten Chor). -- Im
Gebiete der Kammermusik finden wir op, 4!, drei Streichquartette, op. 44, Cla-
vierquartett, op. 47, Clavierquartett. Diese Werke zählen zu seinen besten, be¬
sonders die letzten beiden. In dieser Zeit erscheinen anch seine ersten Orchester¬
werke: I. Sinfonie in Il ("p. 38), Ouvertüre, Scherzo, Finale (cip. 53) und
Clavierconcert (54). Die Siufouie hat die Rundreise durch ganz Deutschland
gemacht, sie hat nnr wenig große Städte unberührt gelassen, in denen die Herren
Kapellmeister sich mit Händen und Füßen dagegen sträubten. Nur erfrorne und
erstarrte Herzen wissen diese FrühlingSklänge nicht zu würdige". Gräuliche Na¬
turen, die, weil sie selbst als schwindsüchtige uicht mehr laut zu jauchzen vermögen,
Andere ob ihrer lauten Fröhlichkeit tadeln. Es gibt nur eine Sinfonie von gleich
fröhlicher, frischer Lebenskraft, die achte in 17. von Beethoven. Das zweite ange¬
führte Orchestcrwerk (op. 52) hat sich weniger Beifall errungen, obgleich es ein
tüchtiges Werk ist. Die Schuld liegt darau, daß es erst aufgeführt wurde, nachdem
die Sinfonie sich schon aller Herzen bemächtigt hatte. Das Claviercouccrt reiht
sich in seinem Ernste und seiner Gediegenheit würdig an die Erzeugnisse Mozart's,
Beethoven'ö und Mendelssohn's. Obgleich bis jetzt wenig von den Virtuosen
benutzt, wird es doch in der Zukunft immer mehr und mehr an das Tageslicht
gezogen werden. Doch dürfte es nur in den Händen ernster und tüchtiger Künstler
gelinge", da seine Schwierigkeiten der solidesten Art sind und uicht durch bloßes
Studium vou Schulftgureu gelöst werdeu können. Nächst der erwähnten ersten Siu¬
fouie hat noch ein Werk Sympathien in weiteren Kreise für Schumann erweckt:
das Paradies und die Perl, für Solostimmen, Chor und Orchester, eine
Art Oratorium, die Dichtung entlehnt ans Lalla Rook von Thomas Moore.
Es wurde in Leipzig das erstemal aufgeführt im Winter 1843. Wenn schon die
Sinfonie die Zahl seiner Anhänger bedeutend vermehrt hatte, so wuchs deren All¬
zahl durch diese Aufführung in so hohem Grade, daß eine gewisse Partei in Leipzig,
die nur in Einem den Messias erblicken wollte, betroffen wurde. Der Text der
Perl, der indischen Mythologie entlehnt, ist poetisch und sinnig, doch ist er nicht
im Stande, lauge Zeit den Hörer gleichmäßig zu fesseln, da seine Hauptwirkuugen
in dem ersten Theile liegen, und von hier bis an'S Ende des dritten ein unauf¬
hörliches. Sinken in den poetischen und musikalischen Wirkungen deu Hörer nicht
in gleicher Spannung zu halten vermag. Abgesehen von diesen Mängeln bietet
die Perl eine Menge der herrlichsten musikalischen Motive, in den Kriegerchören
und der Schlußsuge deö ersten Theiles erscheint des Componisten Talent für dra¬
matische Musik zum erstenmal, es manifestirt sich hier sogar glänzender,' als die
Oper Genoveva späterhin bestätigt hat. Die Wahl des Textes bleibt trotz der


Sammlungen Lieder. Am meisten hervorzuheben ans diesen sind op. 35, 36,
39, 42, 45, 49. Auch mit mehrstimmigen Gesang beschäftigt er sich jetzt (op. 33,
Lieder für Männerstimmen, c>p. 55 und 5ö, Lieder für gemischten Chor). — Im
Gebiete der Kammermusik finden wir op, 4!, drei Streichquartette, op. 44, Cla-
vierquartett, op. 47, Clavierquartett. Diese Werke zählen zu seinen besten, be¬
sonders die letzten beiden. In dieser Zeit erscheinen anch seine ersten Orchester¬
werke: I. Sinfonie in Il (»p. 38), Ouvertüre, Scherzo, Finale (cip. 53) und
Clavierconcert (54). Die Siufouie hat die Rundreise durch ganz Deutschland
gemacht, sie hat nnr wenig große Städte unberührt gelassen, in denen die Herren
Kapellmeister sich mit Händen und Füßen dagegen sträubten. Nur erfrorne und
erstarrte Herzen wissen diese FrühlingSklänge nicht zu würdige«. Gräuliche Na¬
turen, die, weil sie selbst als schwindsüchtige uicht mehr laut zu jauchzen vermögen,
Andere ob ihrer lauten Fröhlichkeit tadeln. Es gibt nur eine Sinfonie von gleich
fröhlicher, frischer Lebenskraft, die achte in 17. von Beethoven. Das zweite ange¬
führte Orchestcrwerk (op. 52) hat sich weniger Beifall errungen, obgleich es ein
tüchtiges Werk ist. Die Schuld liegt darau, daß es erst aufgeführt wurde, nachdem
die Sinfonie sich schon aller Herzen bemächtigt hatte. Das Claviercouccrt reiht
sich in seinem Ernste und seiner Gediegenheit würdig an die Erzeugnisse Mozart's,
Beethoven'ö und Mendelssohn's. Obgleich bis jetzt wenig von den Virtuosen
benutzt, wird es doch in der Zukunft immer mehr und mehr an das Tageslicht
gezogen werden. Doch dürfte es nur in den Händen ernster und tüchtiger Künstler
gelinge«, da seine Schwierigkeiten der solidesten Art sind und uicht durch bloßes
Studium vou Schulftgureu gelöst werdeu können. Nächst der erwähnten ersten Siu¬
fouie hat noch ein Werk Sympathien in weiteren Kreise für Schumann erweckt:
das Paradies und die Perl, für Solostimmen, Chor und Orchester, eine
Art Oratorium, die Dichtung entlehnt ans Lalla Rook von Thomas Moore.
Es wurde in Leipzig das erstemal aufgeführt im Winter 1843. Wenn schon die
Sinfonie die Zahl seiner Anhänger bedeutend vermehrt hatte, so wuchs deren All¬
zahl durch diese Aufführung in so hohem Grade, daß eine gewisse Partei in Leipzig,
die nur in Einem den Messias erblicken wollte, betroffen wurde. Der Text der
Perl, der indischen Mythologie entlehnt, ist poetisch und sinnig, doch ist er nicht
im Stande, lauge Zeit den Hörer gleichmäßig zu fesseln, da seine Hauptwirkuugen
in dem ersten Theile liegen, und von hier bis an'S Ende des dritten ein unauf¬
hörliches. Sinken in den poetischen und musikalischen Wirkungen deu Hörer nicht
in gleicher Spannung zu halten vermag. Abgesehen von diesen Mängeln bietet
die Perl eine Menge der herrlichsten musikalischen Motive, in den Kriegerchören
und der Schlußsuge deö ersten Theiles erscheint des Componisten Talent für dra¬
matische Musik zum erstenmal, es manifestirt sich hier sogar glänzender,' als die
Oper Genoveva späterhin bestätigt hat. Die Wahl des Textes bleibt trotz der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/504>, abgerufen am 19.05.2024.