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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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stücke. Da jetzt eine Zeit ist, wo wir in Deutschland weder am Alten noch am
Neuen besondere Frende haben, ist nicht anzunehmen, daß irgend eine Art des
Lustspiels gerade jetzt große Fortschritte machen würde.

Und doch, wer sich für das deutsche Theater interessirt, oder selbst dafür
arbeitet, mag unsere Dialektstückc nicht ans dem Auge verlieren. Denn in den
Dialekten sowohl, als in den charakteristischen Eigentümlichkeiten der deutschen
Stämme liegt ein Schatz von prächtigem Material für eine neue höhere Form
des deutscheu Lustspiels, von welchem wir wohl noch einige Zeit hoffnungsvoll
träumen werden. Was unser Holtei mit so vieler Wirkung in kleinem Kreise
versucht hat, (Wiener in Berlin, Berliner in Wien, Wiener in Paris,
dreiunddreißig Minuten inGrünberg) verschiedene Provinzialismen
einander gegenüber zu stellen, dasselbe müßte sich noch in weit größeren Maßstabe
bei anderer Beschaffenheit der Handlung thun lassen, denn die größte komische
Wirkung erhalten die Dialekte erst, wenn sie einander gegenüber gesetzt werden.
Durch unsere humoristischen Blätter, die Münchner, Düsseldorfer u. s. w. sind
die Hanptdialekte allgemeiner bekannt und die Freude an localen komischen Figu¬
ren gesteigert worden. Es kommt darauf an, daß frischer Muth versucht, Etwas
daraus zu machen. Die Hauptschwierigkeit liegt für den, welcher das Charakteristische
der Hauptdialekre selbst inne hat, nicht darin, daß die Schauspieler so etwas
nicht spielen könnten, -- es ging ja mit dem schwäbisch von "Dorf und Stadt"
in Norddeutschland so gut, als für die Wirkung nöthig war; -- sondern sie liegt
darin, daß bei unsern Verhältnissen eine Handlung zu erfinden ist, welche frei
von verstimmenden Parteihaß bleibt.




stücke. Da jetzt eine Zeit ist, wo wir in Deutschland weder am Alten noch am
Neuen besondere Frende haben, ist nicht anzunehmen, daß irgend eine Art des
Lustspiels gerade jetzt große Fortschritte machen würde.

Und doch, wer sich für das deutsche Theater interessirt, oder selbst dafür
arbeitet, mag unsere Dialektstückc nicht ans dem Auge verlieren. Denn in den
Dialekten sowohl, als in den charakteristischen Eigentümlichkeiten der deutschen
Stämme liegt ein Schatz von prächtigem Material für eine neue höhere Form
des deutscheu Lustspiels, von welchem wir wohl noch einige Zeit hoffnungsvoll
träumen werden. Was unser Holtei mit so vieler Wirkung in kleinem Kreise
versucht hat, (Wiener in Berlin, Berliner in Wien, Wiener in Paris,
dreiunddreißig Minuten inGrünberg) verschiedene Provinzialismen
einander gegenüber zu stellen, dasselbe müßte sich noch in weit größeren Maßstabe
bei anderer Beschaffenheit der Handlung thun lassen, denn die größte komische
Wirkung erhalten die Dialekte erst, wenn sie einander gegenüber gesetzt werden.
Durch unsere humoristischen Blätter, die Münchner, Düsseldorfer u. s. w. sind
die Hanptdialekte allgemeiner bekannt und die Freude an localen komischen Figu¬
ren gesteigert worden. Es kommt darauf an, daß frischer Muth versucht, Etwas
daraus zu machen. Die Hauptschwierigkeit liegt für den, welcher das Charakteristische
der Hauptdialekre selbst inne hat, nicht darin, daß die Schauspieler so etwas
nicht spielen könnten, — es ging ja mit dem schwäbisch von „Dorf und Stadt"
in Norddeutschland so gut, als für die Wirkung nöthig war; — sondern sie liegt
darin, daß bei unsern Verhältnissen eine Handlung zu erfinden ist, welche frei
von verstimmenden Parteihaß bleibt.




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[0054] stücke. Da jetzt eine Zeit ist, wo wir in Deutschland weder am Alten noch am Neuen besondere Frende haben, ist nicht anzunehmen, daß irgend eine Art des Lustspiels gerade jetzt große Fortschritte machen würde. Und doch, wer sich für das deutsche Theater interessirt, oder selbst dafür arbeitet, mag unsere Dialektstückc nicht ans dem Auge verlieren. Denn in den Dialekten sowohl, als in den charakteristischen Eigentümlichkeiten der deutschen Stämme liegt ein Schatz von prächtigem Material für eine neue höhere Form des deutscheu Lustspiels, von welchem wir wohl noch einige Zeit hoffnungsvoll träumen werden. Was unser Holtei mit so vieler Wirkung in kleinem Kreise versucht hat, (Wiener in Berlin, Berliner in Wien, Wiener in Paris, dreiunddreißig Minuten inGrünberg) verschiedene Provinzialismen einander gegenüber zu stellen, dasselbe müßte sich noch in weit größeren Maßstabe bei anderer Beschaffenheit der Handlung thun lassen, denn die größte komische Wirkung erhalten die Dialekte erst, wenn sie einander gegenüber gesetzt werden. Durch unsere humoristischen Blätter, die Münchner, Düsseldorfer u. s. w. sind die Hanptdialekte allgemeiner bekannt und die Freude an localen komischen Figu¬ ren gesteigert worden. Es kommt darauf an, daß frischer Muth versucht, Etwas daraus zu machen. Die Hauptschwierigkeit liegt für den, welcher das Charakteristische der Hauptdialekre selbst inne hat, nicht darin, daß die Schauspieler so etwas nicht spielen könnten, — es ging ja mit dem schwäbisch von „Dorf und Stadt" in Norddeutschland so gut, als für die Wirkung nöthig war; — sondern sie liegt darin, daß bei unsern Verhältnissen eine Handlung zu erfinden ist, welche frei von verstimmenden Parteihaß bleibt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/54>, abgerufen am 19.05.2024.