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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Kaiserstaat erscheint als eirl altes sestgeschloffenes Ganze, als ein großem Dach, wel-
ches durch Jahrhunderte feine vielen Völker vereinigt hat. Und grade bei diesen
Böllern ist umgekehrt die leidenschaftliche Sehnsucht steh abzulösen von dem Ganzen,
die partikularen Interessen und ihre lokalen Eigenthümlichkeiten über deu ganzen
großen Ban zu erheben und sich feindlich eines von dem andern zu isoliren. Im
Burlbesstaat ist es der Drang dex Böller, welcher gegen die Interessen der ^ou-
veräne zur Einheit zwingt, in Oestreich der Sanverän, welcher die feindlichen
Völker mit gepanzerter Faust zusammenhält; im Bundesstaat steht kein Thronsessel,
von dem Farbe und Namen ausgeht süx die neue Bereinigung. in Oestreich ist es
der Adler der Habsburgischen Familie, welcher die Warenzeichen der einzelnen
Stämme mit seinen Fängen zerbrochen hat. Im Bundesstaat lebt die Einheit der
Sprache und Natianalität, welche je^t einen demakratischen Staat durch das Band
einer freien Genossenschaft zusammenfügt, im Kaiserstaat e.eiftiren wenigstens acht ver-
schiedene Sprachen, deren Völker einander nicht verstehen und durch ein achtzürrgi-
ges Gehe^duch zu einer absoluten Monarchie verbunden werden^ im Bundesstaat find
vier verschiedene Stromgebiete und zwei Meere und viele Eiienbahusystelue mit fehx
verschiedenen Knotenpunkten für die materiellen Interessen ^ in Oestreich uur ein ivei-
tes Stromgebiet, das dex Donau, ein Meerbusen, der des mittelländischen Meeres,
und ein Eiseubahnshstenl , das von dem Knotenpunkt Wien aus in drei Linien
airseinanderlänst, von denen wieder zwei, die italienische und die ungarische Bahn,
die Grenzen des Staates nicht erreichen. Im Bundesstaat überall offene Grenzen,
uach allen Seiten Verbindung mit der Ferne und ein Streben ins Weite hinaus,
im Kaiserstaat außer zwei stiefmütterlich behandelten Vorländern, Galizien und
Italien, das Uebrige fest in sich zusammengeballt und durch Gebirge oder militä-
risch befehle Ströme von den Rachbarn geschieden. Der Bundesstaat endlich seiner
Bildung nach entschieden protestantisch, der Kaiserstaat eben so sireng katholisch,
im ersteren freie Verwerthung des vielgetheilten Grllnd und Bodens, im letzteren
ein starkes Vorwiegen des befestigten großen Grundbesitzes. Sa groß ist der
Gegensatz zwischen den beiden staatlichen Kristallisationen, welche dem Jahr l^.it..
entweder ihren Ursprung, ader doch ihre Erneuerung verdanken, daß sich ein grö-
ßerer Unterschied kaum denken l.ißt.

Und doch sind beide Staaten durch Geschichte, alte Rechte, ihxe Lage, vor'
Allem durch das deutsche Element, welches auch im Kaiserstaat den historischen
Mittelpunkt bildet, wieder so sehr' ans einander gewiesen, daß ihre beiderseitige
Individualität, ihre Verfassung, Gehe^gebung, ja auch ihre Politik nach Außen
durch den Nachbar vielfach bestimmt wird, uur mit dem Unterschied, daß die Abhän-
gigkeit Oestreichs von den dentschen Staaten bei weitem die größere ist. Wäre
Oestreich auf seiner Rordrvesigrerrze von einem Volk umgeben, welches nicht deutsch
spräche, so würde es eine starre Despotie werden müssen, in welcher constitu-
tionelle Formen vorläufig unnöthig würden. Aber alle politischen Forderungen und


Kaiserstaat erscheint als eirl altes sestgeschloffenes Ganze, als ein großem Dach, wel-
ches durch Jahrhunderte feine vielen Völker vereinigt hat. Und grade bei diesen
Böllern ist umgekehrt die leidenschaftliche Sehnsucht steh abzulösen von dem Ganzen,
die partikularen Interessen und ihre lokalen Eigenthümlichkeiten über deu ganzen
großen Ban zu erheben und sich feindlich eines von dem andern zu isoliren. Im
Burlbesstaat ist es der Drang dex Böller, welcher gegen die Interessen der ^ou-
veräne zur Einheit zwingt, in Oestreich der Sanverän, welcher die feindlichen
Völker mit gepanzerter Faust zusammenhält; im Bundesstaat steht kein Thronsessel,
von dem Farbe und Namen ausgeht süx die neue Bereinigung. in Oestreich ist es
der Adler der Habsburgischen Familie, welcher die Warenzeichen der einzelnen
Stämme mit seinen Fängen zerbrochen hat. Im Bundesstaat lebt die Einheit der
Sprache und Natianalität, welche je^t einen demakratischen Staat durch das Band
einer freien Genossenschaft zusammenfügt, im Kaiserstaat e.eiftiren wenigstens acht ver-
schiedene Sprachen, deren Völker einander nicht verstehen und durch ein achtzürrgi-
ges Gehe^duch zu einer absoluten Monarchie verbunden werden^ im Bundesstaat find
vier verschiedene Stromgebiete und zwei Meere und viele Eiienbahusystelue mit fehx
verschiedenen Knotenpunkten für die materiellen Interessen ^ in Oestreich uur ein ivei-
tes Stromgebiet, das dex Donau, ein Meerbusen, der des mittelländischen Meeres,
und ein Eiseubahnshstenl , das von dem Knotenpunkt Wien aus in drei Linien
airseinanderlänst, von denen wieder zwei, die italienische und die ungarische Bahn,
die Grenzen des Staates nicht erreichen. Im Bundesstaat überall offene Grenzen,
uach allen Seiten Verbindung mit der Ferne und ein Streben ins Weite hinaus,
im Kaiserstaat außer zwei stiefmütterlich behandelten Vorländern, Galizien und
Italien, das Uebrige fest in sich zusammengeballt und durch Gebirge oder militä-
risch befehle Ströme von den Rachbarn geschieden. Der Bundesstaat endlich seiner
Bildung nach entschieden protestantisch, der Kaiserstaat eben so sireng katholisch,
im ersteren freie Verwerthung des vielgetheilten Grllnd und Bodens, im letzteren
ein starkes Vorwiegen des befestigten großen Grundbesitzes. Sa groß ist der
Gegensatz zwischen den beiden staatlichen Kristallisationen, welche dem Jahr l^.it..
entweder ihren Ursprung, ader doch ihre Erneuerung verdanken, daß sich ein grö-
ßerer Unterschied kaum denken l.ißt.

Und doch sind beide Staaten durch Geschichte, alte Rechte, ihxe Lage, vor'
Allem durch das deutsche Element, welches auch im Kaiserstaat den historischen
Mittelpunkt bildet, wieder so sehr' ans einander gewiesen, daß ihre beiderseitige
Individualität, ihre Verfassung, Gehe^gebung, ja auch ihre Politik nach Außen
durch den Nachbar vielfach bestimmt wird, uur mit dem Unterschied, daß die Abhän-
gigkeit Oestreichs von den dentschen Staaten bei weitem die größere ist. Wäre
Oestreich auf seiner Rordrvesigrerrze von einem Volk umgeben, welches nicht deutsch
spräche, so würde es eine starre Despotie werden müssen, in welcher constitu-
tionelle Formen vorläufig unnöthig würden. Aber alle politischen Forderungen und


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[0010] Kaiserstaat erscheint als eirl altes sestgeschloffenes Ganze, als ein großem Dach, wel- ches durch Jahrhunderte feine vielen Völker vereinigt hat. Und grade bei diesen Böllern ist umgekehrt die leidenschaftliche Sehnsucht steh abzulösen von dem Ganzen, die partikularen Interessen und ihre lokalen Eigenthümlichkeiten über deu ganzen großen Ban zu erheben und sich feindlich eines von dem andern zu isoliren. Im Burlbesstaat ist es der Drang dex Böller, welcher gegen die Interessen der ^ou- veräne zur Einheit zwingt, in Oestreich der Sanverän, welcher die feindlichen Völker mit gepanzerter Faust zusammenhält; im Bundesstaat steht kein Thronsessel, von dem Farbe und Namen ausgeht süx die neue Bereinigung. in Oestreich ist es der Adler der Habsburgischen Familie, welcher die Warenzeichen der einzelnen Stämme mit seinen Fängen zerbrochen hat. Im Bundesstaat lebt die Einheit der Sprache und Natianalität, welche je^t einen demakratischen Staat durch das Band einer freien Genossenschaft zusammenfügt, im Kaiserstaat e.eiftiren wenigstens acht ver- schiedene Sprachen, deren Völker einander nicht verstehen und durch ein achtzürrgi- ges Gehe^duch zu einer absoluten Monarchie verbunden werden^ im Bundesstaat find vier verschiedene Stromgebiete und zwei Meere und viele Eiienbahusystelue mit fehx verschiedenen Knotenpunkten für die materiellen Interessen ^ in Oestreich uur ein ivei- tes Stromgebiet, das dex Donau, ein Meerbusen, der des mittelländischen Meeres, und ein Eiseubahnshstenl , das von dem Knotenpunkt Wien aus in drei Linien airseinanderlänst, von denen wieder zwei, die italienische und die ungarische Bahn, die Grenzen des Staates nicht erreichen. Im Bundesstaat überall offene Grenzen, uach allen Seiten Verbindung mit der Ferne und ein Streben ins Weite hinaus, im Kaiserstaat außer zwei stiefmütterlich behandelten Vorländern, Galizien und Italien, das Uebrige fest in sich zusammengeballt und durch Gebirge oder militä- risch befehle Ströme von den Rachbarn geschieden. Der Bundesstaat endlich seiner Bildung nach entschieden protestantisch, der Kaiserstaat eben so sireng katholisch, im ersteren freie Verwerthung des vielgetheilten Grllnd und Bodens, im letzteren ein starkes Vorwiegen des befestigten großen Grundbesitzes. Sa groß ist der Gegensatz zwischen den beiden staatlichen Kristallisationen, welche dem Jahr l^.it.. entweder ihren Ursprung, ader doch ihre Erneuerung verdanken, daß sich ein grö- ßerer Unterschied kaum denken l.ißt. Und doch sind beide Staaten durch Geschichte, alte Rechte, ihxe Lage, vor' Allem durch das deutsche Element, welches auch im Kaiserstaat den historischen Mittelpunkt bildet, wieder so sehr' ans einander gewiesen, daß ihre beiderseitige Individualität, ihre Verfassung, Gehe^gebung, ja auch ihre Politik nach Außen durch den Nachbar vielfach bestimmt wird, uur mit dem Unterschied, daß die Abhän- gigkeit Oestreichs von den dentschen Staaten bei weitem die größere ist. Wäre Oestreich auf seiner Rordrvesigrerrze von einem Volk umgeben, welches nicht deutsch spräche, so würde es eine starre Despotie werden müssen, in welcher constitu- tionelle Formen vorläufig unnöthig würden. Aber alle politischen Forderungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/10>, abgerufen am 22.05.2024.