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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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gestempelten Respublika, diese erzählte: "Die Regierung hat in einem großen
Kriegsrathe, an welchem auch Görgey Theil genommen, einen Gesammtkriegsplan
ausarbeiten lassen, der zur Basis aller Kriegsoperationen dienen sollte. Dieser
Plan wurde von Görgey angenommen, er versprach seine Operationen danach
einzurichten."

Worin dieser Plan bestanden habe, sagte der Artikel nicht, da man noch immer
daran fest hing und deshalb das Publikum nicht einweihen konnte; allein mehrere
halboffizielle Andentungen und die Behauptungen von Personen, die dem Mini¬
sterium näher standen, ließen schon damals jene Combination entstehen, welche
der Versasser der Wiaand'schen Broschüre so detaillirt auseinandersetzt; daß näm¬
lich Görgey seine Stellung bei Komorn aufgeben und sich an die Donau zurück¬
ziehen, hier dem Feinde mit einem Theil seines Heeres den Uebergang verwehren,
mit dem Kern desselben aber zu Visoczki stoßen und das russische Heer schlagen
sollte u. s. w.

"Görgey ging darauf zur oberen Armee nach Komorn, machte aber keine An¬
stalten, jenen Plan in Ausführung zu bringe", d. h. sich gegen Pesth zurückzu¬
ziehen. Die Regierung, darüber beunruhigt, schickte zwei Generäle und einen
Minister (die Broschüre nennt die Generäle Unlieb und Kiß und den Minister
Csänyi) zu Görgey in's Lager, auf deren Vorstellungen Görgey Gehorsam ver¬
sprach. Allein nach Abgang dieser Regiernugscommissäre machte der Feldherr nicht
nur keine Anstalten zur Beruhigung der Negierung, sondern sendete einen Kurier
an dieselbe mit dem Bedeuten, die Negierung und Nationalversammlung möge so
bald als möglich die Hauptstadt verlassen, denn er könne die Sicherheit derselben
nicht aus 24 Stunden verbürgen. Die Negierung möge übrigens sehen, wie sie
mit den übrigen Theilen der Armee fortkomme; er werde mit seiner Abtheilung
(etwa 50,000 Mann) seinem eigenen Plane (den Niemand kannte) gemäß operiren.
Uebrigens hat Görgey der Regierung und Nationalversammlung einen Platz zum
Aufenthalt augewiesen, der von keiner Seite gegen den Feind gedeckt war."

So weit der halboffizielle Artikel in der "Respublika."

Das gefürchtet" Gespenst gewann durch diesen Artikel Fleisch und Blut; die
Zahl der Abreisenden nahm mit jeder Stunde so massenhaft zu, daß die ununter¬
brochenen Eisenbahnzüge sie nicht fassen konnten. Die Regierung, die erst am
7. und 8. Juli die Hauptstadt verließ, war gänzlich paralysirr, und da Görgey
gar nichts mehr von sich hören ließ, so war die Hauptstadt der immerwährenden
Angst ausgesetzt, in der nächsten Stunde den Feind in ihre Mauern einziehen
zu sehen.

So standen die Dinge unmittelbar vor dem Abzug der Regierung aus Pesth.
In dem nächsten Briefe gestatten Sie mir, meine Ansichten über Görgey und die
V. im Anfang dieses Artikels erwähnten zwei Dokumente hinzuzufügen.




gestempelten Respublika, diese erzählte: „Die Regierung hat in einem großen
Kriegsrathe, an welchem auch Görgey Theil genommen, einen Gesammtkriegsplan
ausarbeiten lassen, der zur Basis aller Kriegsoperationen dienen sollte. Dieser
Plan wurde von Görgey angenommen, er versprach seine Operationen danach
einzurichten."

Worin dieser Plan bestanden habe, sagte der Artikel nicht, da man noch immer
daran fest hing und deshalb das Publikum nicht einweihen konnte; allein mehrere
halboffizielle Andentungen und die Behauptungen von Personen, die dem Mini¬
sterium näher standen, ließen schon damals jene Combination entstehen, welche
der Versasser der Wiaand'schen Broschüre so detaillirt auseinandersetzt; daß näm¬
lich Görgey seine Stellung bei Komorn aufgeben und sich an die Donau zurück¬
ziehen, hier dem Feinde mit einem Theil seines Heeres den Uebergang verwehren,
mit dem Kern desselben aber zu Visoczki stoßen und das russische Heer schlagen
sollte u. s. w.

„Görgey ging darauf zur oberen Armee nach Komorn, machte aber keine An¬
stalten, jenen Plan in Ausführung zu bringe», d. h. sich gegen Pesth zurückzu¬
ziehen. Die Regierung, darüber beunruhigt, schickte zwei Generäle und einen
Minister (die Broschüre nennt die Generäle Unlieb und Kiß und den Minister
Csänyi) zu Görgey in's Lager, auf deren Vorstellungen Görgey Gehorsam ver¬
sprach. Allein nach Abgang dieser Regiernugscommissäre machte der Feldherr nicht
nur keine Anstalten zur Beruhigung der Negierung, sondern sendete einen Kurier
an dieselbe mit dem Bedeuten, die Negierung und Nationalversammlung möge so
bald als möglich die Hauptstadt verlassen, denn er könne die Sicherheit derselben
nicht aus 24 Stunden verbürgen. Die Negierung möge übrigens sehen, wie sie
mit den übrigen Theilen der Armee fortkomme; er werde mit seiner Abtheilung
(etwa 50,000 Mann) seinem eigenen Plane (den Niemand kannte) gemäß operiren.
Uebrigens hat Görgey der Regierung und Nationalversammlung einen Platz zum
Aufenthalt augewiesen, der von keiner Seite gegen den Feind gedeckt war."

So weit der halboffizielle Artikel in der „Respublika."

Das gefürchtet« Gespenst gewann durch diesen Artikel Fleisch und Blut; die
Zahl der Abreisenden nahm mit jeder Stunde so massenhaft zu, daß die ununter¬
brochenen Eisenbahnzüge sie nicht fassen konnten. Die Regierung, die erst am
7. und 8. Juli die Hauptstadt verließ, war gänzlich paralysirr, und da Görgey
gar nichts mehr von sich hören ließ, so war die Hauptstadt der immerwährenden
Angst ausgesetzt, in der nächsten Stunde den Feind in ihre Mauern einziehen
zu sehen.

So standen die Dinge unmittelbar vor dem Abzug der Regierung aus Pesth.
In dem nächsten Briefe gestatten Sie mir, meine Ansichten über Görgey und die
V. im Anfang dieses Artikels erwähnten zwei Dokumente hinzuzufügen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/111>, abgerufen am 22.05.2024.