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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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studentischen Leben blieb er fern, weil er das väterliche Haus nicht verließ. Er
studirte Jura, trat aber nach dem dritten Jahre aus, in Folge eines Konflikts
mit dem Vater des jetzigen Unterstaatssecretärs Heisere, der sich damals als Pro¬
fessor des Kirchenrechts durch seine Barschheit verhaßt machte. In seinem 21. Jahr
trat er in Wien in die Medicin ein, und trieb mit besonderem Fleiß die physio¬
logischen Studien. Erst jetzt nahm er an dem gesellschaftlichen Leben Theil. Ein
tiefer melancholischer Zug hatte ihn von Jngend auf beherrscht, seine erste Liebe
zu einer jungen Gräfin gab den Grundton dazu. In Wien fesselte ihn jahrelang
die unerwiederte Leidenschaft für die jetzige Gattin eines Exministers von 48.
Er kehrte zu dem Studium der praktischen Medicin nach Prag zurück, unter dem
berühmten Krombholz, dem er enthusiastisch anhing. Damals entstand eine Reihe
von Gedichten, Mährchen, Novellen; die meisten bezogen sich aus die seit 1830
coulauten Freiheitsideen. Seiner Gesinnung nach war er ein Deutscher, für das
alte Kaiserthum iund Friedrich Barbarossa begeistert: eine Begeisterung, die sich
vorzugsweise aus Raumer's Hohenstaufen herschrieb. -- Nach dem Tode seines
Vaters (1836) trat er die Erbschaft des Gutes an, beschäftigte sich gezwungen
mit Oekonomie, und frischte im Verkehr mit seinen Bauern die Kenntniß der
czechischeu Sprache auf, die er schon als Kind gelernt. -- Der Liebesgram um
seine Wiener Schöne trieb ihn nach einem Jahr nach Italien. Er wurde Doctor
der Medicin in Padua, lebte dann in Florenz, Rom und Neapel, sah den Ausbruch
des Vesuv im Jahre 1839 -- 40, und schöpfte in Streifereien auf der Küste von
Salerno seine Anschauungen für ein Hohenstaufenlied. Im Umgang mit einer gehn--
deten Bvjarenfamilie lernte er die Zustände des ehemaligen Daciens kennen, und
nahm daraus den Stoff für ein später vollendetes Trauerspiel: Bojar und Zi¬
geuner. Nach einem Jahr zog ihn eine erst in Italien übermächtig gewordene
Erinnerung an ein Mädchen, das er in Wien flüchtig kennen gelernt, zurück, und
sie wurde seine Gattin (1840). Er hatte sie durch ihren Oheim Dessauer, den
Liedercomponisten, kennen gelernt, mit dem er schon lange befreundet war. Er
machte mit seiner jungen Frau eine Reise durch Oberitalien, Frankreich und
Süddeutschland. Der Winter 1840 sah ihn in Wien als praktischen Arzt, dann in
der Anstellung eines Spitalsekuudars, eines Protomedicatspractikauten und endlich
eines unbesoldeten Armenarztes in der Vorstadt Rossau, der ärmsten und schmutzig¬
sten von allen. Die alten Zopfverhältnisse der medicinischen Facultät trieben ihn
mit mehreren andern, eine Reform dieser Genossenschaft auf der mittelalterliche
Basis gegen die Pedanterie ihres damaligen Tyrannen, Leibarzt Raimann, durch-
zufechten. Nach Jahren wurde der Sieg endlich erkämpft, das Vorbild einer par¬
lamentarischen Thätigkeit. Es waren Debatten und Memoires nicht gespart wor¬
den , und Sedluitzki hatte gezürnt. -- Eine ernstliche Brustkrankheit zwang Löhner,
einen Sommer hindurch Erholung im Gasteiner Gebirg zu suchen.

ES kam die Revolution. Löhner hatte am 13. März Abends die Facultäts-


studentischen Leben blieb er fern, weil er das väterliche Haus nicht verließ. Er
studirte Jura, trat aber nach dem dritten Jahre aus, in Folge eines Konflikts
mit dem Vater des jetzigen Unterstaatssecretärs Heisere, der sich damals als Pro¬
fessor des Kirchenrechts durch seine Barschheit verhaßt machte. In seinem 21. Jahr
trat er in Wien in die Medicin ein, und trieb mit besonderem Fleiß die physio¬
logischen Studien. Erst jetzt nahm er an dem gesellschaftlichen Leben Theil. Ein
tiefer melancholischer Zug hatte ihn von Jngend auf beherrscht, seine erste Liebe
zu einer jungen Gräfin gab den Grundton dazu. In Wien fesselte ihn jahrelang
die unerwiederte Leidenschaft für die jetzige Gattin eines Exministers von 48.
Er kehrte zu dem Studium der praktischen Medicin nach Prag zurück, unter dem
berühmten Krombholz, dem er enthusiastisch anhing. Damals entstand eine Reihe
von Gedichten, Mährchen, Novellen; die meisten bezogen sich aus die seit 1830
coulauten Freiheitsideen. Seiner Gesinnung nach war er ein Deutscher, für das
alte Kaiserthum iund Friedrich Barbarossa begeistert: eine Begeisterung, die sich
vorzugsweise aus Raumer's Hohenstaufen herschrieb. — Nach dem Tode seines
Vaters (1836) trat er die Erbschaft des Gutes an, beschäftigte sich gezwungen
mit Oekonomie, und frischte im Verkehr mit seinen Bauern die Kenntniß der
czechischeu Sprache auf, die er schon als Kind gelernt. — Der Liebesgram um
seine Wiener Schöne trieb ihn nach einem Jahr nach Italien. Er wurde Doctor
der Medicin in Padua, lebte dann in Florenz, Rom und Neapel, sah den Ausbruch
des Vesuv im Jahre 1839 — 40, und schöpfte in Streifereien auf der Küste von
Salerno seine Anschauungen für ein Hohenstaufenlied. Im Umgang mit einer gehn--
deten Bvjarenfamilie lernte er die Zustände des ehemaligen Daciens kennen, und
nahm daraus den Stoff für ein später vollendetes Trauerspiel: Bojar und Zi¬
geuner. Nach einem Jahr zog ihn eine erst in Italien übermächtig gewordene
Erinnerung an ein Mädchen, das er in Wien flüchtig kennen gelernt, zurück, und
sie wurde seine Gattin (1840). Er hatte sie durch ihren Oheim Dessauer, den
Liedercomponisten, kennen gelernt, mit dem er schon lange befreundet war. Er
machte mit seiner jungen Frau eine Reise durch Oberitalien, Frankreich und
Süddeutschland. Der Winter 1840 sah ihn in Wien als praktischen Arzt, dann in
der Anstellung eines Spitalsekuudars, eines Protomedicatspractikauten und endlich
eines unbesoldeten Armenarztes in der Vorstadt Rossau, der ärmsten und schmutzig¬
sten von allen. Die alten Zopfverhältnisse der medicinischen Facultät trieben ihn
mit mehreren andern, eine Reform dieser Genossenschaft auf der mittelalterliche
Basis gegen die Pedanterie ihres damaligen Tyrannen, Leibarzt Raimann, durch-
zufechten. Nach Jahren wurde der Sieg endlich erkämpft, das Vorbild einer par¬
lamentarischen Thätigkeit. Es waren Debatten und Memoires nicht gespart wor¬
den , und Sedluitzki hatte gezürnt. — Eine ernstliche Brustkrankheit zwang Löhner,
einen Sommer hindurch Erholung im Gasteiner Gebirg zu suchen.

ES kam die Revolution. Löhner hatte am 13. März Abends die Facultäts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/359>, abgerufen am 24.05.2024.