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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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templation seit mehreren hundert Jahren auf einer Stelle, sitzt und in entzückten
Visionen die Vergangenheit des Menschengeschlechts erfährt. Lamartine ist der
Auserwählte, dein er diese Visionen offenbart, um sie der Welt mitzutheilen. --
Also in alten Zeiten sieht ein Engel, Namens Cedar,. ein schönes Mädchen in
Gefahr, von Niesen geraubt zu werden; um sie zu retten, wird er Mensch, ob¬
gleich er sich dadurch Verdammniß auf mehrere Millionen von Jahren zuzieht.
Als Mensch stürzt er auf die Räuber an, rennt ihnen wie ein Stier mit dem
Kopf gegen die Brust, und tödtet sie dadurch - beiläufig ein Experiment, das
er in allen seinen zahlreichen Kämpfen anwendet. Leider findet es sich nun, daß
er weder sprechen, noch die Sprache der Menschen verstehn kann; denn die Men¬
schen sind durch ihre willkürliche Bezeichnung der Dinge in Worten von der Na¬
tur abgefallen; weder die Pflanzen und Thiere noch die höhern Wesen verstehn
sich darauf. Da er sich also nicht verständlich machen kann, so hält ihn der Stamm
seiner Geliebten für einen Blödsinnigen oder Feind, macht ihn zum Sclaven,
beugt ihn unter ein schweres Joch, sperrt ihn zu den Schweinen, aus deren Trog
er essen muß, und unterwirft ihn den gräßlichsten Mißhandlungen. Das soll näm¬
lich der Naturzustand des Menschengeschlechts sein. Er restgnirt, weil er doch
Gelegenheit hat, der Liebe zu pflegen. Als das entdeckt wird, begräbt man ihn
mit seiner Geliebten lebendig unter einen Felsen; er wird zornig, reißt die Felsen
aus, zertrümmert denn'it das ganze Volk; was übrig bleibt, beißt er todt, und
entflieht dann mit seiner Geliebten zu einem Einsiedler, dem Propheten der wah¬
ren Gottheit, der ein köstlich eingebundenes Buch, vielleicht die Bibel, als Hei-
ligthum aufbewahrt und ihm zuweilen daraus vorliest, z. B.:


-- I^" e>'^>lion, kurv" inliiue Kie",
I^'i", ni coelum-nevmvnl, ni tri'me, ni milieu;
(>e H"e An"" !>um">on" Is denn", n'p"t ^ne jiAiii'p,
'
O Pli n" point as sin n'a rien Pli Jo mesui'"!.

Aber eines Morgens kommt aus der Stadt der Götter ein geflügeltes Schiff
durch die Luft mit Trabanten, welche den Gottesleugner martervoll hinrichten und
die beiden Liebenden als Sclaven mit sich fortnehmen. Jene sogenannten Götter
sind nämlich schreckliche Menschen, die ihre Brüder zu Boden getreten haben und
sich von ihnen göttlich verehren lassen. -- Sie leben sehr wollüstig, kleiden sich nur in
Gewänder, die aus frischabgeschnittenen Haaren sechszehnjähriger Mädchen gewebt
sind; bei ihren Trinkgelagen aus Polstern zu liegen, ist ihnen nicht gut genug, es
müssen sich eine Masse nackter Jungfrauen in verschiedenen Stellungen auf den
Boden legen, und theils als Sophas, theils als Tische und Stühle dienen.
Der Boden wird nicht mit Besen gekehrt, die Sklaven müssen ihn mit ihren
Haaren ausfegen. Als Würze ihrer Gelage lassen sie sich Greuel vormachen.
Z. B. einem Menschen wird erst ein Glied nach dem andern abgerissen, er wird
allenthalben angebrannt, zuletzt wird in seine Hmchcult. ein Netz eingeschnitten,


templation seit mehreren hundert Jahren auf einer Stelle, sitzt und in entzückten
Visionen die Vergangenheit des Menschengeschlechts erfährt. Lamartine ist der
Auserwählte, dein er diese Visionen offenbart, um sie der Welt mitzutheilen. —
Also in alten Zeiten sieht ein Engel, Namens Cedar,. ein schönes Mädchen in
Gefahr, von Niesen geraubt zu werden; um sie zu retten, wird er Mensch, ob¬
gleich er sich dadurch Verdammniß auf mehrere Millionen von Jahren zuzieht.
Als Mensch stürzt er auf die Räuber an, rennt ihnen wie ein Stier mit dem
Kopf gegen die Brust, und tödtet sie dadurch - beiläufig ein Experiment, das
er in allen seinen zahlreichen Kämpfen anwendet. Leider findet es sich nun, daß
er weder sprechen, noch die Sprache der Menschen verstehn kann; denn die Men¬
schen sind durch ihre willkürliche Bezeichnung der Dinge in Worten von der Na¬
tur abgefallen; weder die Pflanzen und Thiere noch die höhern Wesen verstehn
sich darauf. Da er sich also nicht verständlich machen kann, so hält ihn der Stamm
seiner Geliebten für einen Blödsinnigen oder Feind, macht ihn zum Sclaven,
beugt ihn unter ein schweres Joch, sperrt ihn zu den Schweinen, aus deren Trog
er essen muß, und unterwirft ihn den gräßlichsten Mißhandlungen. Das soll näm¬
lich der Naturzustand des Menschengeschlechts sein. Er restgnirt, weil er doch
Gelegenheit hat, der Liebe zu pflegen. Als das entdeckt wird, begräbt man ihn
mit seiner Geliebten lebendig unter einen Felsen; er wird zornig, reißt die Felsen
aus, zertrümmert denn'it das ganze Volk; was übrig bleibt, beißt er todt, und
entflieht dann mit seiner Geliebten zu einem Einsiedler, dem Propheten der wah¬
ren Gottheit, der ein köstlich eingebundenes Buch, vielleicht die Bibel, als Hei-
ligthum aufbewahrt und ihm zuweilen daraus vorliest, z. B.:


— I^» e>'^>lion, kurv« inliiue Kie«,
I^'i«, ni coelum-nevmvnl, ni tri'me, ni milieu;
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'
O Pli n» point as sin n'a rien Pli Jo mesui'«!.

Aber eines Morgens kommt aus der Stadt der Götter ein geflügeltes Schiff
durch die Luft mit Trabanten, welche den Gottesleugner martervoll hinrichten und
die beiden Liebenden als Sclaven mit sich fortnehmen. Jene sogenannten Götter
sind nämlich schreckliche Menschen, die ihre Brüder zu Boden getreten haben und
sich von ihnen göttlich verehren lassen. — Sie leben sehr wollüstig, kleiden sich nur in
Gewänder, die aus frischabgeschnittenen Haaren sechszehnjähriger Mädchen gewebt
sind; bei ihren Trinkgelagen aus Polstern zu liegen, ist ihnen nicht gut genug, es
müssen sich eine Masse nackter Jungfrauen in verschiedenen Stellungen auf den
Boden legen, und theils als Sophas, theils als Tische und Stühle dienen.
Der Boden wird nicht mit Besen gekehrt, die Sklaven müssen ihn mit ihren
Haaren ausfegen. Als Würze ihrer Gelage lassen sie sich Greuel vormachen.
Z. B. einem Menschen wird erst ein Glied nach dem andern abgerissen, er wird
allenthalben angebrannt, zuletzt wird in seine Hmchcult. ein Netz eingeschnitten,


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[0501] templation seit mehreren hundert Jahren auf einer Stelle, sitzt und in entzückten Visionen die Vergangenheit des Menschengeschlechts erfährt. Lamartine ist der Auserwählte, dein er diese Visionen offenbart, um sie der Welt mitzutheilen. — Also in alten Zeiten sieht ein Engel, Namens Cedar,. ein schönes Mädchen in Gefahr, von Niesen geraubt zu werden; um sie zu retten, wird er Mensch, ob¬ gleich er sich dadurch Verdammniß auf mehrere Millionen von Jahren zuzieht. Als Mensch stürzt er auf die Räuber an, rennt ihnen wie ein Stier mit dem Kopf gegen die Brust, und tödtet sie dadurch - beiläufig ein Experiment, das er in allen seinen zahlreichen Kämpfen anwendet. Leider findet es sich nun, daß er weder sprechen, noch die Sprache der Menschen verstehn kann; denn die Men¬ schen sind durch ihre willkürliche Bezeichnung der Dinge in Worten von der Na¬ tur abgefallen; weder die Pflanzen und Thiere noch die höhern Wesen verstehn sich darauf. Da er sich also nicht verständlich machen kann, so hält ihn der Stamm seiner Geliebten für einen Blödsinnigen oder Feind, macht ihn zum Sclaven, beugt ihn unter ein schweres Joch, sperrt ihn zu den Schweinen, aus deren Trog er essen muß, und unterwirft ihn den gräßlichsten Mißhandlungen. Das soll näm¬ lich der Naturzustand des Menschengeschlechts sein. Er restgnirt, weil er doch Gelegenheit hat, der Liebe zu pflegen. Als das entdeckt wird, begräbt man ihn mit seiner Geliebten lebendig unter einen Felsen; er wird zornig, reißt die Felsen aus, zertrümmert denn'it das ganze Volk; was übrig bleibt, beißt er todt, und entflieht dann mit seiner Geliebten zu einem Einsiedler, dem Propheten der wah¬ ren Gottheit, der ein köstlich eingebundenes Buch, vielleicht die Bibel, als Hei- ligthum aufbewahrt und ihm zuweilen daraus vorliest, z. B.: — I^» e>'^>lion, kurv« inliiue Kie«, I^'i«, ni coelum-nevmvnl, ni tri'me, ni milieu; (>e H»e An»» !>um«>on« Is denn«, n'p«t ^ne jiAiii'p, ' O Pli n» point as sin n'a rien Pli Jo mesui'«!. Aber eines Morgens kommt aus der Stadt der Götter ein geflügeltes Schiff durch die Luft mit Trabanten, welche den Gottesleugner martervoll hinrichten und die beiden Liebenden als Sclaven mit sich fortnehmen. Jene sogenannten Götter sind nämlich schreckliche Menschen, die ihre Brüder zu Boden getreten haben und sich von ihnen göttlich verehren lassen. — Sie leben sehr wollüstig, kleiden sich nur in Gewänder, die aus frischabgeschnittenen Haaren sechszehnjähriger Mädchen gewebt sind; bei ihren Trinkgelagen aus Polstern zu liegen, ist ihnen nicht gut genug, es müssen sich eine Masse nackter Jungfrauen in verschiedenen Stellungen auf den Boden legen, und theils als Sophas, theils als Tische und Stühle dienen. Der Boden wird nicht mit Besen gekehrt, die Sklaven müssen ihn mit ihren Haaren ausfegen. Als Würze ihrer Gelage lassen sie sich Greuel vormachen. Z. B. einem Menschen wird erst ein Glied nach dem andern abgerissen, er wird allenthalben angebrannt, zuletzt wird in seine Hmchcult. ein Netz eingeschnitten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/501>, abgerufen am 16.06.2024.