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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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zu einer ohnmächtigen Opposition, sie hat nicht den Muth der That und nicht
die Resignation der Nothwendigkeit. Der Staatsrath kommt ihr auch nur in so
weit zu Hilft, indem er erklärt, daß Louis Bonaparte in Anklagezustand versetzt
werden könne, wenn er zur Aufhebung des §. 56 (Verbot seiner Wiedererwähl-
barkeit) anspornt, oder diesfällige Kundgebungen beeinflußt. Die politisch-legis¬
lative Akademie wird sich aber gleich beeilen, so viele Clauseln hinzuzufügen, daß diese
Verantwortlichkeit des Präsidenten wieder chimärisch und zur Parteifrage werden muß.

Wer wagte nun zu entscheiden, was daraus werden soll. Die Kammer wird
^ von Tag zu Tage unpopulairer -- das Land ist immer mehr einmal für die
Republik, ohne so entschieden gegen Louis Bonaparte zu sein, als es der Fall
wäre, wenn die Legislative ihrer Pflicht und Mission gemäß als unbedingte Ver¬
theidigerin des Gesetzes aufträte. Durch die uoch immer wahrscheinliche Aushebung
des Gesetzes vom 31. Mai kann die Ncvisivnsfrage in eine neue Phase eintreten,
und wenn die Durchstchtsdebatteu ohne entscheidendes Resultat zu Ende gehen,
wieder eine solche Aufregung über Frankreich kommen, daß die Entscheidung
die unerwartetste werden dürfte. Nur wenn die Minorität gegen die Revision
eine sehr beträchtliche ist, können die unconstitutivnellen Hoffnungen des Elysie
mit einem Male niedergeschlagen werden. So lange blos die constitutionelle
Minorität, also der vierte Theil der Volksvertretung, dagegen ist, braucht Louis
Napoleon nicht abzutreten. Denn da die Konstitution selbst in den Augen
ihrer natürlichen Vertreter blos ein Nothnagel ist, so wird sich das Landvolk und
die anderweitigen Anhänger Louis Napoleon's, vorzüglich wenn der Präsident,
dem Beispiele der Candidatenwahl folgend, wieder wie im Jahre 1848 socialische
Versprechungen thut, gleichfalls uicht viel Wesen mit der Constitution machen,
und die Wiedererwählung des Präsidenten muß zu den Conflicten führen, welche
man eben gern vermieden hätte. Diese beträchtliche Minorität steht aber nicht
zu erwarten, da die royalistischen Parteien, namentlich jetzt, wo ihre Fnsions-Illu-
sionen in Claremont auf eine so empfindliche Weise desavouirt wurden, sich dem
Präsidenten als Vertreter der Reaction näher anschließen werden. Das Elyfte
scheint darauf zu rechnen, so wie es von jeher ans die revolutionaire Gespenster-
seherei der Majorität speculirte. Louis Bonaparte handelt überhaupt wie ein
Mann, der nicht gutwillig von dem einmal eingenommenen Wege weichen will.
Er hat seine Aufmerksamkeit auf Alles gerichtet, was in seinen Kram paßt, und
während er die innigsten Sympathien für die reactionaire Rechte an den Tag
legt, hat er doch seine Absichten auf das allgemeine Stimmrecht nicht aufgegeben,
und sogar die Eventualität eines Staatöstreichs scheint nicht ganz aus den Augen
gelassen worden zu sein. Wie erklärte man sich sonst die Absetzung des Bonapar¬
tistischen Generals Baraguay d'Hilliers von seiner Befehlshaberstelle, und dessen
wahrscheinliche Ersetzung durch den ultra bonapartistischen Kastellane? Die Armee
soll also in noch ergebenere Hände kommen; zu welchem Zwecke? Vernünftiger


Grenzboten, M, ->LU-I, 18

zu einer ohnmächtigen Opposition, sie hat nicht den Muth der That und nicht
die Resignation der Nothwendigkeit. Der Staatsrath kommt ihr auch nur in so
weit zu Hilft, indem er erklärt, daß Louis Bonaparte in Anklagezustand versetzt
werden könne, wenn er zur Aufhebung des §. 56 (Verbot seiner Wiedererwähl-
barkeit) anspornt, oder diesfällige Kundgebungen beeinflußt. Die politisch-legis¬
lative Akademie wird sich aber gleich beeilen, so viele Clauseln hinzuzufügen, daß diese
Verantwortlichkeit des Präsidenten wieder chimärisch und zur Parteifrage werden muß.

Wer wagte nun zu entscheiden, was daraus werden soll. Die Kammer wird
^ von Tag zu Tage unpopulairer — das Land ist immer mehr einmal für die
Republik, ohne so entschieden gegen Louis Bonaparte zu sein, als es der Fall
wäre, wenn die Legislative ihrer Pflicht und Mission gemäß als unbedingte Ver¬
theidigerin des Gesetzes aufträte. Durch die uoch immer wahrscheinliche Aushebung
des Gesetzes vom 31. Mai kann die Ncvisivnsfrage in eine neue Phase eintreten,
und wenn die Durchstchtsdebatteu ohne entscheidendes Resultat zu Ende gehen,
wieder eine solche Aufregung über Frankreich kommen, daß die Entscheidung
die unerwartetste werden dürfte. Nur wenn die Minorität gegen die Revision
eine sehr beträchtliche ist, können die unconstitutivnellen Hoffnungen des Elysie
mit einem Male niedergeschlagen werden. So lange blos die constitutionelle
Minorität, also der vierte Theil der Volksvertretung, dagegen ist, braucht Louis
Napoleon nicht abzutreten. Denn da die Konstitution selbst in den Augen
ihrer natürlichen Vertreter blos ein Nothnagel ist, so wird sich das Landvolk und
die anderweitigen Anhänger Louis Napoleon's, vorzüglich wenn der Präsident,
dem Beispiele der Candidatenwahl folgend, wieder wie im Jahre 1848 socialische
Versprechungen thut, gleichfalls uicht viel Wesen mit der Constitution machen,
und die Wiedererwählung des Präsidenten muß zu den Conflicten führen, welche
man eben gern vermieden hätte. Diese beträchtliche Minorität steht aber nicht
zu erwarten, da die royalistischen Parteien, namentlich jetzt, wo ihre Fnsions-Illu-
sionen in Claremont auf eine so empfindliche Weise desavouirt wurden, sich dem
Präsidenten als Vertreter der Reaction näher anschließen werden. Das Elyfte
scheint darauf zu rechnen, so wie es von jeher ans die revolutionaire Gespenster-
seherei der Majorität speculirte. Louis Bonaparte handelt überhaupt wie ein
Mann, der nicht gutwillig von dem einmal eingenommenen Wege weichen will.
Er hat seine Aufmerksamkeit auf Alles gerichtet, was in seinen Kram paßt, und
während er die innigsten Sympathien für die reactionaire Rechte an den Tag
legt, hat er doch seine Absichten auf das allgemeine Stimmrecht nicht aufgegeben,
und sogar die Eventualität eines Staatöstreichs scheint nicht ganz aus den Augen
gelassen worden zu sein. Wie erklärte man sich sonst die Absetzung des Bonapar¬
tistischen Generals Baraguay d'Hilliers von seiner Befehlshaberstelle, und dessen
wahrscheinliche Ersetzung durch den ultra bonapartistischen Kastellane? Die Armee
soll also in noch ergebenere Hände kommen; zu welchem Zwecke? Vernünftiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/145>, abgerufen am 21.05.2024.