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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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gemäßigten Republikanern (es scheint, daß mich Lamartine sich nicht ausge¬
schlossen hat), haben die persönlichen Gegner Bonaparte's, welche in der Revision
nur den einen Punkt sehen: die Aufhebung der Bestimmung, daß der Präsident
für die nächsten vier Jahre nicht wieder wählbar ist: Thiers, Changarnier und
ihre Freunde, von den Legitimisten der Marqis von Laroche Jacquelein dagegen
gestimmt. Was die Redner betrifft, so ist durch sie über die Sachlage uicht viel
neues Material herbei gefördert; vou den Gegnern der Revision hat am Ver¬
ständigsten und Geistreichsten Dnsanre gesprochen; vou den Vertheidigern hat am
Vollständigsten Odilon Barrot die Gründe entwickelt, obgleich seine Rede nicht
eben glänzend war. Die Legitimisten haben sich gemäßigter gehalten, als man
erwartete; sie sind zwar sehr lebhast für das Königthum im Allgemeinen in die
Schranken getreten, namentlich Berryer und Falloux, aber sie haben ohne Ausnahme
das "göttliche Recht" mit großer Leichtfertigkeit behandelt, und im Ganzen sich
ziemlich unklar über die Art und Weise ausgesprochen, wie sie sich die Wiederher¬
stellung ihres Königthums eigentlich denken. Herr v. Laroche Jacqueleiu, mit
Recht das putant, turriblv der Partei genannt, hat offen erklärt, viele seiner
Freunde stimmten nur darum für die Revision, weil sie wüßten, daß sie dennoch
verworfen würde. -- Die Hauptsache, auf die man bei der Debatte rechnete,
da das Resultat selbst außer Frage stand, der Skandal, ist nicht ausgeblieben.
Abgesehen von den nachträglich legalisirten Emcutiers Raspail und de Flotte,
die doch einmal ein Lebenszeichen von sich geben wollten, war es wieder Victor
Hugo, der die Debatte von den Principien auf die Personen leitete. Dieser
Mann ist als Redner gerade wie als Dichter: der Glanz der Phrasen, Poin¬
ten und Antithesen ersetzt bei ihm den Zusammenhang der Gedanken und
die Wärme der Ueberzeugung. Um den großen und den kleinen Napoleon, den
Augustus und den Augustulus in seine Poesie des Contrastes zu verweben, kommt es
ihm ans Schicklichtcitsrücksichteu eben so wenig an als in der Dichtung. Er
lernt seine Improvisationen über Christus und Lucifer auswendig, er studirt seine
Rede auf Unterbrechungen ein; er verletzt nicht absichtlich, er ist so eitel, daß er
gar nicht mehr das Gefühl hat, Andere zu verletzen. Darum beleidigen seine
kalten, herzlosen, gemachten Sätze viel mehr, als die stürmischen Ausbrüche eines
leidenschaftlich bewegten Sprechers. Außerdem hat er sich durch den vollständigen
Mangel an einem innern bleibenden Gehalt in Versen wie in Prosa zu viel Blößen
gegeben, um den Gegnern jene Scheu abzunöthigen, ohne die man nicht das Recht
hat, impertinent zu sein. Er ist uicht .schlagfertig, er reißt uicht hin, er hat
uicht einmal ein gutes Org.an; mau sieht in ihm nur die hämische Impotenz.--
Aber wenn man ihm persönlich auch einige Züchtigung wol gönnen mag, so muß
man auf der andern Seite doch gestehn, daß seine Gegner, und namentlich der
Präsident, das Rechts- und Schicklichkeitsgefühl in den Angriffen gegen ihn ans
eine Weise aus den Augen setzten, wie man es in Deutschland nnr bei Wilhelm Jordan


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gemäßigten Republikanern (es scheint, daß mich Lamartine sich nicht ausge¬
schlossen hat), haben die persönlichen Gegner Bonaparte's, welche in der Revision
nur den einen Punkt sehen: die Aufhebung der Bestimmung, daß der Präsident
für die nächsten vier Jahre nicht wieder wählbar ist: Thiers, Changarnier und
ihre Freunde, von den Legitimisten der Marqis von Laroche Jacquelein dagegen
gestimmt. Was die Redner betrifft, so ist durch sie über die Sachlage uicht viel
neues Material herbei gefördert; vou den Gegnern der Revision hat am Ver¬
ständigsten und Geistreichsten Dnsanre gesprochen; vou den Vertheidigern hat am
Vollständigsten Odilon Barrot die Gründe entwickelt, obgleich seine Rede nicht
eben glänzend war. Die Legitimisten haben sich gemäßigter gehalten, als man
erwartete; sie sind zwar sehr lebhast für das Königthum im Allgemeinen in die
Schranken getreten, namentlich Berryer und Falloux, aber sie haben ohne Ausnahme
das „göttliche Recht" mit großer Leichtfertigkeit behandelt, und im Ganzen sich
ziemlich unklar über die Art und Weise ausgesprochen, wie sie sich die Wiederher¬
stellung ihres Königthums eigentlich denken. Herr v. Laroche Jacqueleiu, mit
Recht das putant, turriblv der Partei genannt, hat offen erklärt, viele seiner
Freunde stimmten nur darum für die Revision, weil sie wüßten, daß sie dennoch
verworfen würde. — Die Hauptsache, auf die man bei der Debatte rechnete,
da das Resultat selbst außer Frage stand, der Skandal, ist nicht ausgeblieben.
Abgesehen von den nachträglich legalisirten Emcutiers Raspail und de Flotte,
die doch einmal ein Lebenszeichen von sich geben wollten, war es wieder Victor
Hugo, der die Debatte von den Principien auf die Personen leitete. Dieser
Mann ist als Redner gerade wie als Dichter: der Glanz der Phrasen, Poin¬
ten und Antithesen ersetzt bei ihm den Zusammenhang der Gedanken und
die Wärme der Ueberzeugung. Um den großen und den kleinen Napoleon, den
Augustus und den Augustulus in seine Poesie des Contrastes zu verweben, kommt es
ihm ans Schicklichtcitsrücksichteu eben so wenig an als in der Dichtung. Er
lernt seine Improvisationen über Christus und Lucifer auswendig, er studirt seine
Rede auf Unterbrechungen ein; er verletzt nicht absichtlich, er ist so eitel, daß er
gar nicht mehr das Gefühl hat, Andere zu verletzen. Darum beleidigen seine
kalten, herzlosen, gemachten Sätze viel mehr, als die stürmischen Ausbrüche eines
leidenschaftlich bewegten Sprechers. Außerdem hat er sich durch den vollständigen
Mangel an einem innern bleibenden Gehalt in Versen wie in Prosa zu viel Blößen
gegeben, um den Gegnern jene Scheu abzunöthigen, ohne die man nicht das Recht
hat, impertinent zu sein. Er ist uicht .schlagfertig, er reißt uicht hin, er hat
uicht einmal ein gutes Org.an; mau sieht in ihm nur die hämische Impotenz.—
Aber wenn man ihm persönlich auch einige Züchtigung wol gönnen mag, so muß
man auf der andern Seite doch gestehn, daß seine Gegner, und namentlich der
Präsident, das Rechts- und Schicklichkeitsgefühl in den Angriffen gegen ihn ans
eine Weise aus den Augen setzten, wie man es in Deutschland nnr bei Wilhelm Jordan


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[0147] gemäßigten Republikanern (es scheint, daß mich Lamartine sich nicht ausge¬ schlossen hat), haben die persönlichen Gegner Bonaparte's, welche in der Revision nur den einen Punkt sehen: die Aufhebung der Bestimmung, daß der Präsident für die nächsten vier Jahre nicht wieder wählbar ist: Thiers, Changarnier und ihre Freunde, von den Legitimisten der Marqis von Laroche Jacquelein dagegen gestimmt. Was die Redner betrifft, so ist durch sie über die Sachlage uicht viel neues Material herbei gefördert; vou den Gegnern der Revision hat am Ver¬ ständigsten und Geistreichsten Dnsanre gesprochen; vou den Vertheidigern hat am Vollständigsten Odilon Barrot die Gründe entwickelt, obgleich seine Rede nicht eben glänzend war. Die Legitimisten haben sich gemäßigter gehalten, als man erwartete; sie sind zwar sehr lebhast für das Königthum im Allgemeinen in die Schranken getreten, namentlich Berryer und Falloux, aber sie haben ohne Ausnahme das „göttliche Recht" mit großer Leichtfertigkeit behandelt, und im Ganzen sich ziemlich unklar über die Art und Weise ausgesprochen, wie sie sich die Wiederher¬ stellung ihres Königthums eigentlich denken. Herr v. Laroche Jacqueleiu, mit Recht das putant, turriblv der Partei genannt, hat offen erklärt, viele seiner Freunde stimmten nur darum für die Revision, weil sie wüßten, daß sie dennoch verworfen würde. — Die Hauptsache, auf die man bei der Debatte rechnete, da das Resultat selbst außer Frage stand, der Skandal, ist nicht ausgeblieben. Abgesehen von den nachträglich legalisirten Emcutiers Raspail und de Flotte, die doch einmal ein Lebenszeichen von sich geben wollten, war es wieder Victor Hugo, der die Debatte von den Principien auf die Personen leitete. Dieser Mann ist als Redner gerade wie als Dichter: der Glanz der Phrasen, Poin¬ ten und Antithesen ersetzt bei ihm den Zusammenhang der Gedanken und die Wärme der Ueberzeugung. Um den großen und den kleinen Napoleon, den Augustus und den Augustulus in seine Poesie des Contrastes zu verweben, kommt es ihm ans Schicklichtcitsrücksichteu eben so wenig an als in der Dichtung. Er lernt seine Improvisationen über Christus und Lucifer auswendig, er studirt seine Rede auf Unterbrechungen ein; er verletzt nicht absichtlich, er ist so eitel, daß er gar nicht mehr das Gefühl hat, Andere zu verletzen. Darum beleidigen seine kalten, herzlosen, gemachten Sätze viel mehr, als die stürmischen Ausbrüche eines leidenschaftlich bewegten Sprechers. Außerdem hat er sich durch den vollständigen Mangel an einem innern bleibenden Gehalt in Versen wie in Prosa zu viel Blößen gegeben, um den Gegnern jene Scheu abzunöthigen, ohne die man nicht das Recht hat, impertinent zu sein. Er ist uicht .schlagfertig, er reißt uicht hin, er hat uicht einmal ein gutes Org.an; mau sieht in ihm nur die hämische Impotenz.— Aber wenn man ihm persönlich auch einige Züchtigung wol gönnen mag, so muß man auf der andern Seite doch gestehn, daß seine Gegner, und namentlich der Präsident, das Rechts- und Schicklichkeitsgefühl in den Angriffen gegen ihn ans eine Weise aus den Augen setzten, wie man es in Deutschland nnr bei Wilhelm Jordan '18"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/147>, abgerufen am 22.05.2024.