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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Arnold Rüge

Rüge verdient in mehrfacher Beziehung eine Charakteristik. Er hat eine
Zeit lang einen wirklichen nicht unbedeutenden Einfluß auf die Entwickelung der
Deutschen Literatur, oder vielmehr aus die Anschaunngs- und Empfindungsweise
der Deutschen Jugend ausgeübt, er kaun als ein Typus des gebildeten Theils
der Demokratie betrachtet werden, und er wird in diesem Augenblick von der
Reaction ausgebeutet, gleichsam als Vogelscheuche gegen die Freiheitsbestrebungen
des Volkes. Bisher ist über ihn nur von leidenschaftlichen Verehrern oder von
erbitterten Gegnern geschrieben worden; eine unbefangene, ruhige Untersuchung
dürfte daher am Orte sein. Zwar bin ich selbst in den aufgeregten Zeiten von
-184-8 in der Reihe seiner Gegner gewesen, nud es sind ziemlich harte Worte
zwischen uns gefallen, allein was seit der Zeit geschehen, ist so ernsthafter Natur,
daß man sich kaum mehr versucht fühlen dürfte, sich noch an kleine persönliche
Reibungen zu erinnern, um so weniger, da durch dieselben das Bild des gemüth¬
lichen bon dmimiö, wie wir ihn im Privatleben gekannt haben, niemals ganz
verwischt ist. Ich glaube daher mit gutem Gewissen die Versicherung geben zu
können, daß ich sine irs, et swüio schreibe.

Mau pflegt sich gern von einer literarischen Persönlichkeit, die uns eiuen
bestimmten Eindruck gemacht hat, in Gedanken ein entsprechendes Bild zu ent¬
werfen. In der Regel täuscht mau sich darin, wenn man auch später im per¬
sönlichen Umgang den Zusammenhang zwischen dem Charakter und den schrift¬
stellerischen Leistungen wohl begreift. Bei Rüge dürfte das den Meisten so gegan¬
gen sein. Er stand wenigstens in den Jahren I84t und 18i3 allgemein im
Ruf eines händelsüchtigen Klopffechters, eines herzlosen Spötters und eines schwarz¬
sichtigen Malcontenten. Schon der erste Anblick war geeignet, diese Vorstellung
aufzuheben. Ein gutmüthiges, joviales Gesicht mit blonden Pommerschen Haaren,
graublauen Augen, ein unerschöpfliches, vergnügtes Gelächter, ein bequemes
Sichgehenlassen, welches eine gewisse Trägheit und wieder die Empfänglichkeit
für jede" beliebigen Eindruck andeutete, das Alles waren Züge, die mit den Vor¬
stellungen von Zerrissenheit und Weltschmerz nicht im Mindesten übereinstimmten.


Grenzboten, III, ->"L-I. 2l
Arnold Rüge

Rüge verdient in mehrfacher Beziehung eine Charakteristik. Er hat eine
Zeit lang einen wirklichen nicht unbedeutenden Einfluß auf die Entwickelung der
Deutschen Literatur, oder vielmehr aus die Anschaunngs- und Empfindungsweise
der Deutschen Jugend ausgeübt, er kaun als ein Typus des gebildeten Theils
der Demokratie betrachtet werden, und er wird in diesem Augenblick von der
Reaction ausgebeutet, gleichsam als Vogelscheuche gegen die Freiheitsbestrebungen
des Volkes. Bisher ist über ihn nur von leidenschaftlichen Verehrern oder von
erbitterten Gegnern geschrieben worden; eine unbefangene, ruhige Untersuchung
dürfte daher am Orte sein. Zwar bin ich selbst in den aufgeregten Zeiten von
-184-8 in der Reihe seiner Gegner gewesen, nud es sind ziemlich harte Worte
zwischen uns gefallen, allein was seit der Zeit geschehen, ist so ernsthafter Natur,
daß man sich kaum mehr versucht fühlen dürfte, sich noch an kleine persönliche
Reibungen zu erinnern, um so weniger, da durch dieselben das Bild des gemüth¬
lichen bon dmimiö, wie wir ihn im Privatleben gekannt haben, niemals ganz
verwischt ist. Ich glaube daher mit gutem Gewissen die Versicherung geben zu
können, daß ich sine irs, et swüio schreibe.

Mau pflegt sich gern von einer literarischen Persönlichkeit, die uns eiuen
bestimmten Eindruck gemacht hat, in Gedanken ein entsprechendes Bild zu ent¬
werfen. In der Regel täuscht mau sich darin, wenn man auch später im per¬
sönlichen Umgang den Zusammenhang zwischen dem Charakter und den schrift¬
stellerischen Leistungen wohl begreift. Bei Rüge dürfte das den Meisten so gegan¬
gen sein. Er stand wenigstens in den Jahren I84t und 18i3 allgemein im
Ruf eines händelsüchtigen Klopffechters, eines herzlosen Spötters und eines schwarz¬
sichtigen Malcontenten. Schon der erste Anblick war geeignet, diese Vorstellung
aufzuheben. Ein gutmüthiges, joviales Gesicht mit blonden Pommerschen Haaren,
graublauen Augen, ein unerschöpfliches, vergnügtes Gelächter, ein bequemes
Sichgehenlassen, welches eine gewisse Trägheit und wieder die Empfänglichkeit
für jede» beliebigen Eindruck andeutete, das Alles waren Züge, die mit den Vor¬
stellungen von Zerrissenheit und Weltschmerz nicht im Mindesten übereinstimmten.


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[0169] Arnold Rüge Rüge verdient in mehrfacher Beziehung eine Charakteristik. Er hat eine Zeit lang einen wirklichen nicht unbedeutenden Einfluß auf die Entwickelung der Deutschen Literatur, oder vielmehr aus die Anschaunngs- und Empfindungsweise der Deutschen Jugend ausgeübt, er kaun als ein Typus des gebildeten Theils der Demokratie betrachtet werden, und er wird in diesem Augenblick von der Reaction ausgebeutet, gleichsam als Vogelscheuche gegen die Freiheitsbestrebungen des Volkes. Bisher ist über ihn nur von leidenschaftlichen Verehrern oder von erbitterten Gegnern geschrieben worden; eine unbefangene, ruhige Untersuchung dürfte daher am Orte sein. Zwar bin ich selbst in den aufgeregten Zeiten von -184-8 in der Reihe seiner Gegner gewesen, nud es sind ziemlich harte Worte zwischen uns gefallen, allein was seit der Zeit geschehen, ist so ernsthafter Natur, daß man sich kaum mehr versucht fühlen dürfte, sich noch an kleine persönliche Reibungen zu erinnern, um so weniger, da durch dieselben das Bild des gemüth¬ lichen bon dmimiö, wie wir ihn im Privatleben gekannt haben, niemals ganz verwischt ist. Ich glaube daher mit gutem Gewissen die Versicherung geben zu können, daß ich sine irs, et swüio schreibe. Mau pflegt sich gern von einer literarischen Persönlichkeit, die uns eiuen bestimmten Eindruck gemacht hat, in Gedanken ein entsprechendes Bild zu ent¬ werfen. In der Regel täuscht mau sich darin, wenn man auch später im per¬ sönlichen Umgang den Zusammenhang zwischen dem Charakter und den schrift¬ stellerischen Leistungen wohl begreift. Bei Rüge dürfte das den Meisten so gegan¬ gen sein. Er stand wenigstens in den Jahren I84t und 18i3 allgemein im Ruf eines händelsüchtigen Klopffechters, eines herzlosen Spötters und eines schwarz¬ sichtigen Malcontenten. Schon der erste Anblick war geeignet, diese Vorstellung aufzuheben. Ein gutmüthiges, joviales Gesicht mit blonden Pommerschen Haaren, graublauen Augen, ein unerschöpfliches, vergnügtes Gelächter, ein bequemes Sichgehenlassen, welches eine gewisse Trägheit und wieder die Empfänglichkeit für jede» beliebigen Eindruck andeutete, das Alles waren Züge, die mit den Vor¬ stellungen von Zerrissenheit und Weltschmerz nicht im Mindesten übereinstimmten. Grenzboten, III, ->«L-I. 2l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/169>, abgerufen am 21.05.2024.