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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Menschen-, Masken- und Bubcnmcngc die noch zahlreicheren Wagen umschwärmte und
umlärmtc, und, unter den einförmigen Carrosscn eine angenehm überraschende Abwechs¬
lung darbietend, aus Rädern daher und vorüber gefahren kamen: ein Divan, ans wel¬
chem mit gekreuzten Beinen Türken saßen und schmauchten, ferner ein Haus, aus dessen
Fenstern Narren grüßten, und endlich auch, ein ziemlich stattliches Boot, aus welchem
elegant gekleidete Matrosen Konfetti und Bomboui mittelst Schaufeln warfen. Mit ein¬
brechender Dunkelheit kehrt und fährt Jedermann nach Hause, um sich für die letzten
Bälle zu schmücken, und die ecntncrweis verstreuten Zuckerkügelchcu, welche, unter den
Füßen knirschend, der Straße ein Aussehen geben, wie wenn es gehagelt hätte, find
Alles, was von den Corsvfahrtcn übrig bleibt, bis es entweder zertreten, oder von den
Händen der Armen aufgesammelt, oder von der den Gassenkehrern zuvorkommender
Bor" weggefegt worden. Der National-Oekonom in mir sträubte sich über solche Ver¬
schwendung, denn ich erwog, daß ich schon Jahr und Tag keinen Silbcrzwanziger ge¬
sehen hatte, der eingeführte Rohzucker aber doch jedenfalls in Silber gezahlt werden muß.
Ich äußerte diesen Scrupel einem mir nahestehenden Herrn, der mir aber sagte, daß größten-
theils Krastmchl und nur ein ganz Weniges von Zucker die Bestandtheile jener Cvufetti
ausmache, das dafür ausgegebene Geld also nicht eigentlich weggeworfen sei, sondern
dem Gewerbe und Kleinhandel zu Statten kommen. Waren nun auch meine national-
ökonomischen Bedenken hiermit beschwichtigt, so waren doch meine mitgebrachten Erwar¬
tungen von den Corsofahrten keinesweges befriedigt worden. Ich fand zwar den Spruch:
"Was sich liebt, neckt sich auch" selbst vou der sonst mir Zahlen liebenden und Schuldner
neckenden Bevölkerung Triests öffentlich anerkannt und bewahrheitet; aber die geistreiche
Narrheit fand ich fast gar uicht. Wenn einige geniale Schalksnarren mit einigen Crösussen
sich bei Zeiten vereinbarten, und die jährlichen Corsofahrten nach einem humoristischen Plane
veranstaltete", wie ergötzliche, auch den Geschmack des Pöbels läuternde Darstellungen
und Auszüge ließen bei den Mitteln, die zu Gebote stehen, so wie bei den reichlich vorhan¬
denen Vorwürfen für Satyre und Caricatur, zu Triests und des Gottes der schwanke
größerem Ruhme sich in Scene setzen! Sei es nun, daß die heurigen Corsofahrten, wie
ich sie mit angesehen, etwa in Folge polizeilicher Beschränkungen nur die "Ueberbleibsel
früher interessanterer Aufzüge waren, oder daß sie, wie sie eben sich gaben, dem Ver-
gmigungssinn und Witze der Triestiner genügen: ich für mein Theil nahm mir, wenn
ich der Pferde gedachte, wie sie, von einer Handvoll Zuckerwerk getroffen, kopfschüttelnd
sich bäumten, während die zartesten Damengesichter dem lebhaftesten Kartätschenfeuer
ruhig Stich hielte", ich sür mein Theil uneben mir die Moral mit nach Hause, daß wirklich
unser Sprichwort nicht lügt, wenn es sagt, der Mensch vertrage mehr, als ein Roß.

Weit besser, als die Corsosahrtc", hat mir das Leben und Weben in den Kaffee¬
häusern während der Carnavalszcit gefallen: da sah man Leute in den drolligsten Ver-
kleidungen aus- und eingehen, und die ernsthaftesten, gesetztesten Männer in einer Narren-
tracht mit einer Ungenirthcit, oft mit einer Würde sich bewegen, als ob kein Faden an
ihnen etwas Auffallendes, etwas Abweichendes von der in der civilistrtcn Welt ange¬
nommenen Art und Weise, sich zu kleiden, darböte. Türke und Chinese handhabten
den Billardstccken trotz einem Pariser Lion; die lächerlichsten Gruppen saßen mW den
Karte" in der Hand an Spieltischen beisammen, und die unvermeidlichen Harfenistinnen
machten die Stadt aller Ecke" und Enden vou ihrem Geklimper wiederhalten. Wo
zuwider das Letztere Einem mit der Zeit auch werden mnsite, so erinnere ich mich doch
mit Wehmuth und Wohlgesallc" a" ein Deutsches Vaterlandslied, das, von einer jungen
Harfenistin mit wahrer Innigkeit vorgetragen, uns Deutsche Zuhörer unter den Anders-
"edeuden dieser viclzüngigen Stadt-gemüthlich anheimelte, und dessen sich einschmeicheln¬
der Refrain: "es ist mein liebes, theures Vaterland", ja, dessen ganze rührend melodische
Weise jetzt nach Monaten mir noch immer in den Ohren klingt.




Herausgegeben vou Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlich: F. W. Gruuow. - Druck von C. K. Elbert.

Menschen-, Masken- und Bubcnmcngc die noch zahlreicheren Wagen umschwärmte und
umlärmtc, und, unter den einförmigen Carrosscn eine angenehm überraschende Abwechs¬
lung darbietend, aus Rädern daher und vorüber gefahren kamen: ein Divan, ans wel¬
chem mit gekreuzten Beinen Türken saßen und schmauchten, ferner ein Haus, aus dessen
Fenstern Narren grüßten, und endlich auch, ein ziemlich stattliches Boot, aus welchem
elegant gekleidete Matrosen Konfetti und Bomboui mittelst Schaufeln warfen. Mit ein¬
brechender Dunkelheit kehrt und fährt Jedermann nach Hause, um sich für die letzten
Bälle zu schmücken, und die ecntncrweis verstreuten Zuckerkügelchcu, welche, unter den
Füßen knirschend, der Straße ein Aussehen geben, wie wenn es gehagelt hätte, find
Alles, was von den Corsvfahrtcn übrig bleibt, bis es entweder zertreten, oder von den
Händen der Armen aufgesammelt, oder von der den Gassenkehrern zuvorkommender
Bor« weggefegt worden. Der National-Oekonom in mir sträubte sich über solche Ver¬
schwendung, denn ich erwog, daß ich schon Jahr und Tag keinen Silbcrzwanziger ge¬
sehen hatte, der eingeführte Rohzucker aber doch jedenfalls in Silber gezahlt werden muß.
Ich äußerte diesen Scrupel einem mir nahestehenden Herrn, der mir aber sagte, daß größten-
theils Krastmchl und nur ein ganz Weniges von Zucker die Bestandtheile jener Cvufetti
ausmache, das dafür ausgegebene Geld also nicht eigentlich weggeworfen sei, sondern
dem Gewerbe und Kleinhandel zu Statten kommen. Waren nun auch meine national-
ökonomischen Bedenken hiermit beschwichtigt, so waren doch meine mitgebrachten Erwar¬
tungen von den Corsofahrten keinesweges befriedigt worden. Ich fand zwar den Spruch:
„Was sich liebt, neckt sich auch" selbst vou der sonst mir Zahlen liebenden und Schuldner
neckenden Bevölkerung Triests öffentlich anerkannt und bewahrheitet; aber die geistreiche
Narrheit fand ich fast gar uicht. Wenn einige geniale Schalksnarren mit einigen Crösussen
sich bei Zeiten vereinbarten, und die jährlichen Corsofahrten nach einem humoristischen Plane
veranstaltete», wie ergötzliche, auch den Geschmack des Pöbels läuternde Darstellungen
und Auszüge ließen bei den Mitteln, die zu Gebote stehen, so wie bei den reichlich vorhan¬
denen Vorwürfen für Satyre und Caricatur, zu Triests und des Gottes der schwanke
größerem Ruhme sich in Scene setzen! Sei es nun, daß die heurigen Corsofahrten, wie
ich sie mit angesehen, etwa in Folge polizeilicher Beschränkungen nur die »Ueberbleibsel
früher interessanterer Aufzüge waren, oder daß sie, wie sie eben sich gaben, dem Ver-
gmigungssinn und Witze der Triestiner genügen: ich für mein Theil nahm mir, wenn
ich der Pferde gedachte, wie sie, von einer Handvoll Zuckerwerk getroffen, kopfschüttelnd
sich bäumten, während die zartesten Damengesichter dem lebhaftesten Kartätschenfeuer
ruhig Stich hielte», ich sür mein Theil uneben mir die Moral mit nach Hause, daß wirklich
unser Sprichwort nicht lügt, wenn es sagt, der Mensch vertrage mehr, als ein Roß.

Weit besser, als die Corsosahrtc», hat mir das Leben und Weben in den Kaffee¬
häusern während der Carnavalszcit gefallen: da sah man Leute in den drolligsten Ver-
kleidungen aus- und eingehen, und die ernsthaftesten, gesetztesten Männer in einer Narren-
tracht mit einer Ungenirthcit, oft mit einer Würde sich bewegen, als ob kein Faden an
ihnen etwas Auffallendes, etwas Abweichendes von der in der civilistrtcn Welt ange¬
nommenen Art und Weise, sich zu kleiden, darböte. Türke und Chinese handhabten
den Billardstccken trotz einem Pariser Lion; die lächerlichsten Gruppen saßen mW den
Karte» in der Hand an Spieltischen beisammen, und die unvermeidlichen Harfenistinnen
machten die Stadt aller Ecke» und Enden vou ihrem Geklimper wiederhalten. Wo
zuwider das Letztere Einem mit der Zeit auch werden mnsite, so erinnere ich mich doch
mit Wehmuth und Wohlgesallc» a» ein Deutsches Vaterlandslied, das, von einer jungen
Harfenistin mit wahrer Innigkeit vorgetragen, uns Deutsche Zuhörer unter den Anders-
»edeuden dieser viclzüngigen Stadt-gemüthlich anheimelte, und dessen sich einschmeicheln¬
der Refrain: „es ist mein liebes, theures Vaterland", ja, dessen ganze rührend melodische
Weise jetzt nach Monaten mir noch immer in den Ohren klingt.




Herausgegeben vou Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlich: F. W. Gruuow. - Druck von C. K. Elbert.
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[0368] Menschen-, Masken- und Bubcnmcngc die noch zahlreicheren Wagen umschwärmte und umlärmtc, und, unter den einförmigen Carrosscn eine angenehm überraschende Abwechs¬ lung darbietend, aus Rädern daher und vorüber gefahren kamen: ein Divan, ans wel¬ chem mit gekreuzten Beinen Türken saßen und schmauchten, ferner ein Haus, aus dessen Fenstern Narren grüßten, und endlich auch, ein ziemlich stattliches Boot, aus welchem elegant gekleidete Matrosen Konfetti und Bomboui mittelst Schaufeln warfen. Mit ein¬ brechender Dunkelheit kehrt und fährt Jedermann nach Hause, um sich für die letzten Bälle zu schmücken, und die ecntncrweis verstreuten Zuckerkügelchcu, welche, unter den Füßen knirschend, der Straße ein Aussehen geben, wie wenn es gehagelt hätte, find Alles, was von den Corsvfahrtcn übrig bleibt, bis es entweder zertreten, oder von den Händen der Armen aufgesammelt, oder von der den Gassenkehrern zuvorkommender Bor« weggefegt worden. Der National-Oekonom in mir sträubte sich über solche Ver¬ schwendung, denn ich erwog, daß ich schon Jahr und Tag keinen Silbcrzwanziger ge¬ sehen hatte, der eingeführte Rohzucker aber doch jedenfalls in Silber gezahlt werden muß. Ich äußerte diesen Scrupel einem mir nahestehenden Herrn, der mir aber sagte, daß größten- theils Krastmchl und nur ein ganz Weniges von Zucker die Bestandtheile jener Cvufetti ausmache, das dafür ausgegebene Geld also nicht eigentlich weggeworfen sei, sondern dem Gewerbe und Kleinhandel zu Statten kommen. Waren nun auch meine national- ökonomischen Bedenken hiermit beschwichtigt, so waren doch meine mitgebrachten Erwar¬ tungen von den Corsofahrten keinesweges befriedigt worden. Ich fand zwar den Spruch: „Was sich liebt, neckt sich auch" selbst vou der sonst mir Zahlen liebenden und Schuldner neckenden Bevölkerung Triests öffentlich anerkannt und bewahrheitet; aber die geistreiche Narrheit fand ich fast gar uicht. Wenn einige geniale Schalksnarren mit einigen Crösussen sich bei Zeiten vereinbarten, und die jährlichen Corsofahrten nach einem humoristischen Plane veranstaltete», wie ergötzliche, auch den Geschmack des Pöbels läuternde Darstellungen und Auszüge ließen bei den Mitteln, die zu Gebote stehen, so wie bei den reichlich vorhan¬ denen Vorwürfen für Satyre und Caricatur, zu Triests und des Gottes der schwanke größerem Ruhme sich in Scene setzen! Sei es nun, daß die heurigen Corsofahrten, wie ich sie mit angesehen, etwa in Folge polizeilicher Beschränkungen nur die »Ueberbleibsel früher interessanterer Aufzüge waren, oder daß sie, wie sie eben sich gaben, dem Ver- gmigungssinn und Witze der Triestiner genügen: ich für mein Theil nahm mir, wenn ich der Pferde gedachte, wie sie, von einer Handvoll Zuckerwerk getroffen, kopfschüttelnd sich bäumten, während die zartesten Damengesichter dem lebhaftesten Kartätschenfeuer ruhig Stich hielte», ich sür mein Theil uneben mir die Moral mit nach Hause, daß wirklich unser Sprichwort nicht lügt, wenn es sagt, der Mensch vertrage mehr, als ein Roß. Weit besser, als die Corsosahrtc», hat mir das Leben und Weben in den Kaffee¬ häusern während der Carnavalszcit gefallen: da sah man Leute in den drolligsten Ver- kleidungen aus- und eingehen, und die ernsthaftesten, gesetztesten Männer in einer Narren- tracht mit einer Ungenirthcit, oft mit einer Würde sich bewegen, als ob kein Faden an ihnen etwas Auffallendes, etwas Abweichendes von der in der civilistrtcn Welt ange¬ nommenen Art und Weise, sich zu kleiden, darböte. Türke und Chinese handhabten den Billardstccken trotz einem Pariser Lion; die lächerlichsten Gruppen saßen mW den Karte» in der Hand an Spieltischen beisammen, und die unvermeidlichen Harfenistinnen machten die Stadt aller Ecke» und Enden vou ihrem Geklimper wiederhalten. Wo zuwider das Letztere Einem mit der Zeit auch werden mnsite, so erinnere ich mich doch mit Wehmuth und Wohlgesallc» a» ein Deutsches Vaterlandslied, das, von einer jungen Harfenistin mit wahrer Innigkeit vorgetragen, uns Deutsche Zuhörer unter den Anders- »edeuden dieser viclzüngigen Stadt-gemüthlich anheimelte, und dessen sich einschmeicheln¬ der Refrain: „es ist mein liebes, theures Vaterland", ja, dessen ganze rührend melodische Weise jetzt nach Monaten mir noch immer in den Ohren klingt. Herausgegeben vou Gustav Freytag und Julian Schmidt. Verantwortlich: F. W. Gruuow. - Druck von C. K. Elbert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/368>, abgerufen am 21.05.2024.