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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Ich glaube daher nicht zu irren, wenn ich das Gefühl der innern Armuth,
dessen er sich ans die Länge nicht mehr erwehren konnte, für eins der bedeutend¬
sten Motive seiner Umkehr halte. Als er das bekannte Gedicht gegen Georg
Herwegh machte, in dem der ganz richtige Ausspruch vorkam: der Dichter steht
ans einer höhern Warte, als auf den Zinnen der Partei, d. h. mit andern Wor¬
ten, der ästhetische Gesichtspunkt kann nicht vollständig mit dem politischen zu¬
sammenfallen (wobei ich freilich bemerken muß, daß beide in einem dritten, in
dem sittlichen, ihre höhere Vereinigung und Vermittelung finde"), und als Her¬
wegh, dessen melancholische, etwas sentimentale Natur durch den Weihrauch, der
ihm von allen Seiten überschwenglich gestreut wurde, bereits vollständig berauscht
war, ihm in den pöbelhaftesten Schimpfreden antwortete, hatte dieser Angriff
die entgegengesetzte Wirkung, die er sonst bei einer energischen und eigensin¬
nigen Natur zu haben pflegt: Freiligrath wurde bekehrt. Die Macht der all¬
gemeinen Stimmung riß ihn nicht allein fort, sie gab ihm zu gleicher Zeit den
Stoss, nach dem er lange vergebens gesucht hatte, und die Gelegenheit zu einer
autonomen That, die ihn über das Gefühl jenes Mangels emporhob: er brach
mit etwas Ostentation mit dem Königthum, er opferte dem Vaterland jenes
Jahrgehalt des Königs von Preußen, das ihm von Seiten Herwegh's so harte
Vorwürfe zugezogen hatte (1843). Seit der Zeit hat er sich in die neue An¬
schauungsweise so vertieft, daß an eine weitere Fortbildung kaum zu denken ist.

Ich habe mich schon mehrmals dahin ausgesprochen, daß die principielle
Abneigung gegen die politische Poesie, wie sie heut zu Tage von vielen Seiten zur
Schau getragen wird, keineswegs zu rechtfertigen ist. Das historische Leben der
Gegenwart giebt Gelegenheit zu eben so poetischen Bildern, und ist eben so ge¬
eignet, das Herz zu kühnen, muthigen, feurige" Empfindungen zu begeistern,
oder es mit jener reizenden Trauer zu erfülle", wie die Ruinen einer großen
Vergangenheit; aber zweierlei müssen wir von dem politischen Dichter verlange",
wen" wir ihn billige" sollen, einerlei, welcher Partei er angehört: einmal, daß er
sein Gefühl für das Schöne nicht verläugnet, daß er edle und ideale Empfin¬
dungen hervorruft, nud zweitens, daß der politische Fanatismus ihn nicht über
die innere Wahrheit, über das Gefühl für Recht und Sittlichkeit lnnausrückt.
Man kann die Revolution preisen, und man kauu das Königthum preise", deun
Beides bietet nicht allein ästhetische, sondern auch sittlich berechtigte Momente,
die Kraft, den Heroismus, die Aufopferung, die Lust der Freiheit und die Hin¬
gebung der Treue; aber in dem Schmu; zu wühlen, der sich ebenfalls in beiden
Seiten vorfindet, und ihn durch den Zauber der Poesie verklären zu wollen, ist
eines tüchtigen Talents unwürdig, und ein Frevel gegen eine der schönsten Gaben
des Glücks.




Grenzboten, lit. 18Ut.8

Ich glaube daher nicht zu irren, wenn ich das Gefühl der innern Armuth,
dessen er sich ans die Länge nicht mehr erwehren konnte, für eins der bedeutend¬
sten Motive seiner Umkehr halte. Als er das bekannte Gedicht gegen Georg
Herwegh machte, in dem der ganz richtige Ausspruch vorkam: der Dichter steht
ans einer höhern Warte, als auf den Zinnen der Partei, d. h. mit andern Wor¬
ten, der ästhetische Gesichtspunkt kann nicht vollständig mit dem politischen zu¬
sammenfallen (wobei ich freilich bemerken muß, daß beide in einem dritten, in
dem sittlichen, ihre höhere Vereinigung und Vermittelung finde»), und als Her¬
wegh, dessen melancholische, etwas sentimentale Natur durch den Weihrauch, der
ihm von allen Seiten überschwenglich gestreut wurde, bereits vollständig berauscht
war, ihm in den pöbelhaftesten Schimpfreden antwortete, hatte dieser Angriff
die entgegengesetzte Wirkung, die er sonst bei einer energischen und eigensin¬
nigen Natur zu haben pflegt: Freiligrath wurde bekehrt. Die Macht der all¬
gemeinen Stimmung riß ihn nicht allein fort, sie gab ihm zu gleicher Zeit den
Stoss, nach dem er lange vergebens gesucht hatte, und die Gelegenheit zu einer
autonomen That, die ihn über das Gefühl jenes Mangels emporhob: er brach
mit etwas Ostentation mit dem Königthum, er opferte dem Vaterland jenes
Jahrgehalt des Königs von Preußen, das ihm von Seiten Herwegh's so harte
Vorwürfe zugezogen hatte (1843). Seit der Zeit hat er sich in die neue An¬
schauungsweise so vertieft, daß an eine weitere Fortbildung kaum zu denken ist.

Ich habe mich schon mehrmals dahin ausgesprochen, daß die principielle
Abneigung gegen die politische Poesie, wie sie heut zu Tage von vielen Seiten zur
Schau getragen wird, keineswegs zu rechtfertigen ist. Das historische Leben der
Gegenwart giebt Gelegenheit zu eben so poetischen Bildern, und ist eben so ge¬
eignet, das Herz zu kühnen, muthigen, feurige» Empfindungen zu begeistern,
oder es mit jener reizenden Trauer zu erfülle», wie die Ruinen einer großen
Vergangenheit; aber zweierlei müssen wir von dem politischen Dichter verlange»,
wen» wir ihn billige» sollen, einerlei, welcher Partei er angehört: einmal, daß er
sein Gefühl für das Schöne nicht verläugnet, daß er edle und ideale Empfin¬
dungen hervorruft, nud zweitens, daß der politische Fanatismus ihn nicht über
die innere Wahrheit, über das Gefühl für Recht und Sittlichkeit lnnausrückt.
Man kann die Revolution preisen, und man kauu das Königthum preise», deun
Beides bietet nicht allein ästhetische, sondern auch sittlich berechtigte Momente,
die Kraft, den Heroismus, die Aufopferung, die Lust der Freiheit und die Hin¬
gebung der Treue; aber in dem Schmu; zu wühlen, der sich ebenfalls in beiden
Seiten vorfindet, und ihn durch den Zauber der Poesie verklären zu wollen, ist
eines tüchtigen Talents unwürdig, und ein Frevel gegen eine der schönsten Gaben
des Glücks.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/65>, abgerufen am 21.05.2024.