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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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auch bei einem etwaigen Rücktritt ihre Gewissen, und legt ihnen Pönitenzen auf, um
sie zu prüfen und zur Buße zu führen, bevor sie in den Schooß der christlichen Ge¬
meinschaft wieder ausgenommen werden dürfen. Im Vergleich mit dieser Haltung des
geistlichen Ministeriums erscheint die damals so verrufene Eichbornschc Verwaltung als ultra-
libcral. -- Fast eben so ernsthaft sind die neuen Ergänzungen der Regierung. Bis
jetzt hatte doch nur die alte Bureaukratie sich bemüht, die liberalen Eindringlinge zu
entfernen; jetzt scheint aber die Gesinnung allein maßgebend zu sein; mau schiebt die
heftigsten Klopffechter der Partei, wie unbedeutend auch ihre bisherige Stellung gewesen
sein möge, in die höchsten Posten ein -- die Bismark, die Kleist, die Manteuffel II.
Unsre Freunde, die mit einem "Bruch mit der Reaction" eben so rasch fertig waren, als Herr
v. Manteuffel mit seinem "Bruch mit der Revolution", werden nachgerade einsehen, daß es
nicht gleichgiltig ist, wenn alle wichtigen Stellen der kirchlichen und politischen Verwaltung
deu Ultras in die Hände fallen. Wenn dann die Krisis eintritt, ist Alles demoralisirt.
Am Unerhörtesten ist die projectirte Ernennung des Hr. v. Kleist-Rctzow zum Ober-
präsidenten der Rheinprovinz. Der Pommersche Landrath, der schon im Anfang des
I. 1849 die westlichen Provinzen mit einem Einfall der Pommerschen Bauern bedrohte,
ein eifriger Beschützer jener Zeitung, die den Rheinländern die tröstliche Aussicht stellte,
als Heloten behandelt zu werden, wird das Organ der Regierung in einer Provinz,
die noch erst für das Preußische Interesse gewonnen werden soll! Sind wir denn wirklich
schon so weit, wie die Oestreicher in Ungarn, daß große Landestheile als eroberte Pro¬
vinzen betrachtet werden? Da dürften denn doch die Kräfte des Preußischen Staats
nicht ausreichen! -- Darum scheint man den Anschluß an Oestreich, oder vielmehr die
Abhängigkeit vom Fürsten Schwarzenberg immer weiter zu treiben. Immer neue Slo-
vaken und Lombarden werden nach dem Norden Deutschlands geführt, und im höflichen
Zuvorkommen überbietet das Preußische Cabinet in Frankfurt seinen mächtigen Neben¬
buhler, die Demagogcnricchcrei des I. -1819, die Ueberwachung der Presse und der
ständischen Versammlung zu der alten Blüthe zu bringen. Schritte, wie die des Kur¬
fürsten von Hessen, der mit einer, früher nur dem Papst zugeschriebenen Vollmacht von
Eiden entbindet, eine längst bestehende Verfassung willkürlich aufhebt u. f. w., werden
nicht allein geduldet, sondern sie geschehen unter dem Schutz des Preußischen Bevoll¬
mächtigten.

Das Alles -- und man könnte noch mehr, und eben so Schlimmes aufzähle", ist
unbestreitbar, und doch bestreiten wir noch den Pessimismus? doch sträuben wir uns gegen
ein Aufgehen in die Demokratie! -- Allerdings; mau möge uns gestatten, aus diese
Cardinalfrage unsrer jetzigen Politik noch einmal ausführlicher zurückzukommen.


^


Verantw, Red, F. ,W. Grnnow. -- Mitredact.: G. Freytag und Julian Schmidt.
Druck von C. E. Eliiert.


Am t.Juli hat das it. Semester des X. Jahrgangs
der Grenzvoten begonnen, auf das alle Buchhandlungen und '
Postämter Bestellungen annehmen. Die Verlagshandlung.


auch bei einem etwaigen Rücktritt ihre Gewissen, und legt ihnen Pönitenzen auf, um
sie zu prüfen und zur Buße zu führen, bevor sie in den Schooß der christlichen Ge¬
meinschaft wieder ausgenommen werden dürfen. Im Vergleich mit dieser Haltung des
geistlichen Ministeriums erscheint die damals so verrufene Eichbornschc Verwaltung als ultra-
libcral. — Fast eben so ernsthaft sind die neuen Ergänzungen der Regierung. Bis
jetzt hatte doch nur die alte Bureaukratie sich bemüht, die liberalen Eindringlinge zu
entfernen; jetzt scheint aber die Gesinnung allein maßgebend zu sein; mau schiebt die
heftigsten Klopffechter der Partei, wie unbedeutend auch ihre bisherige Stellung gewesen
sein möge, in die höchsten Posten ein — die Bismark, die Kleist, die Manteuffel II.
Unsre Freunde, die mit einem „Bruch mit der Reaction" eben so rasch fertig waren, als Herr
v. Manteuffel mit seinem „Bruch mit der Revolution", werden nachgerade einsehen, daß es
nicht gleichgiltig ist, wenn alle wichtigen Stellen der kirchlichen und politischen Verwaltung
deu Ultras in die Hände fallen. Wenn dann die Krisis eintritt, ist Alles demoralisirt.
Am Unerhörtesten ist die projectirte Ernennung des Hr. v. Kleist-Rctzow zum Ober-
präsidenten der Rheinprovinz. Der Pommersche Landrath, der schon im Anfang des
I. 1849 die westlichen Provinzen mit einem Einfall der Pommerschen Bauern bedrohte,
ein eifriger Beschützer jener Zeitung, die den Rheinländern die tröstliche Aussicht stellte,
als Heloten behandelt zu werden, wird das Organ der Regierung in einer Provinz,
die noch erst für das Preußische Interesse gewonnen werden soll! Sind wir denn wirklich
schon so weit, wie die Oestreicher in Ungarn, daß große Landestheile als eroberte Pro¬
vinzen betrachtet werden? Da dürften denn doch die Kräfte des Preußischen Staats
nicht ausreichen! — Darum scheint man den Anschluß an Oestreich, oder vielmehr die
Abhängigkeit vom Fürsten Schwarzenberg immer weiter zu treiben. Immer neue Slo-
vaken und Lombarden werden nach dem Norden Deutschlands geführt, und im höflichen
Zuvorkommen überbietet das Preußische Cabinet in Frankfurt seinen mächtigen Neben¬
buhler, die Demagogcnricchcrei des I. -1819, die Ueberwachung der Presse und der
ständischen Versammlung zu der alten Blüthe zu bringen. Schritte, wie die des Kur¬
fürsten von Hessen, der mit einer, früher nur dem Papst zugeschriebenen Vollmacht von
Eiden entbindet, eine längst bestehende Verfassung willkürlich aufhebt u. f. w., werden
nicht allein geduldet, sondern sie geschehen unter dem Schutz des Preußischen Bevoll¬
mächtigten.

Das Alles — und man könnte noch mehr, und eben so Schlimmes aufzähle», ist
unbestreitbar, und doch bestreiten wir noch den Pessimismus? doch sträuben wir uns gegen
ein Aufgehen in die Demokratie! — Allerdings; mau möge uns gestatten, aus diese
Cardinalfrage unsrer jetzigen Politik noch einmal ausführlicher zurückzukommen.


^


Verantw, Red, F. ,W. Grnnow. — Mitredact.: G. Freytag und Julian Schmidt.
Druck von C. E. Eliiert.


Am t.Juli hat das it. Semester des X. Jahrgangs
der Grenzvoten begonnen, auf das alle Buchhandlungen und '
Postämter Bestellungen annehmen. Die Verlagshandlung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/88>, abgerufen am 21.05.2024.