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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Revolution längst vom Kriegsrecht verdrängt, der reichsregcntschaftliche Wahnsinn
des Rumpfparlaments mit Bayonnetten auseinandergetricben, Ungarn durch Ru߬
land niedergeworfen, Oestreichs Dreiviertel in Belagerungszustand erklärt, ganz
Bayern factisch in einem solchen erhalten war. Eine Proclamation hatte dem
Lande die rechten Wahlen ans Herz gelegt, eine königliche Rundreise durch
Schwaben und Franken die Schüchternheit der "echten Patrioten" verscheucht,
die Preßorgane der Regierung wurden von denen der Ultramontanen aufs Zuvor¬
kommendste unterstützt, als die Wahlen erfolgten. Aus solchen Zuständen erwuchs
der Landtag von 1849. Dadurch war Bayerns zögernde, noch im Mai zwischen
Preußen und Oestreich schwankende Politik entschieden -- man weiß, auf welche
Weise.

Die Adreßdebatte bot Hrn. v. d. Pfordten wieder häufige Gelegenheit zum
Besteigen der Tribune, und fast schien es, als wolle selbst diese Kammer das Prin¬
cip des sieghaften Ministeriums uicht anerkennen, als wolle sie den Bundesstaat
anstatt des Staatenbundes, oder vielmehr anstatt des BnudeöfürsteutagS. Aber
das war sicher, daß die Kammer eigentlich selber in ihrer Mehrheit nicht genau
wußte, welchen geographischen und politischen Begriff sie mit dem Bundesstaate
verband. Dieser negative Charakter ihres politischen Wunsches ward für Hrn.
v. d. Pfordten die willkommene Bresche, um hier mit schönen Redewendungen
von der Zerreißung Deutschlands" entschieden einzudringen, um auf den erdgeschicht-
lichen Mittlerberus Bayerns hinzuweisen, um Bayern als Retter, Oestreich als
Schirm, Preußen als Feind Deutschlands zu verkünden. Schüler hatte in
Parlamentarischer Schärfe und ätzender Zersctznngskunst gegen wohltönende Reden
leinen Schüler hinterlassen; die ganze^ Linke hatte bereits den Einheitsgedanken
aufgegeben, und benutzte ihn uur noch als glänzenden, populairen Schild anderer
Plane; die Mittelpartei stand unter Hrn. v. Lerchenfeld'ö Führung, die extreme
Rechte drohte eben so offen mit der particularistischeu Revolution, wie es vor
Monaten die äußerste Linke mit der social-republikanischen gethan. Und Hr.
Lerchenfeld war Versasser, wie Referent der Adresse; er erklärte dieselbe von
vorn herein als eine bedeutungslose Förmlichkeit. Alle Dein gegenüber war's aller¬
dings so leicht, den Deutschem Bundesstaat wie ein Unding zu behandeln, wie ein
gedankenloses, nichtswürdiges Schlagwort. Das leichte, vergnügliche Lächeln der
Siegesgewißheit spielte nnn fortwährend um den Mund des Ministers, nud eben
so lächelnden Mundes erklärte Derselbe, daß er auf die genauere Präcisirung des
"Bundesstaates" in der Adresse verzichte, daß er Namens der Negierung das
Förmlichkeits-Schriftstück mit jenem Allsdruck, und trotz des Mangels freudiger
Antwort auf den Besriedigungsansdrnck der Thronrede über die Herstellung der
provisorischen Dual-Centralgewalt passiren lassen wolle. Damit war jede Meinungs-
kundgcbnng der Kammer in Dingen, worüber sie uicht absolut zu bestimmen hatte,
M bloßen Phrase ohne Bedeutung und Erfolg herabgedrückt. Darauf folgten


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Revolution längst vom Kriegsrecht verdrängt, der reichsregcntschaftliche Wahnsinn
des Rumpfparlaments mit Bayonnetten auseinandergetricben, Ungarn durch Ru߬
land niedergeworfen, Oestreichs Dreiviertel in Belagerungszustand erklärt, ganz
Bayern factisch in einem solchen erhalten war. Eine Proclamation hatte dem
Lande die rechten Wahlen ans Herz gelegt, eine königliche Rundreise durch
Schwaben und Franken die Schüchternheit der „echten Patrioten" verscheucht,
die Preßorgane der Regierung wurden von denen der Ultramontanen aufs Zuvor¬
kommendste unterstützt, als die Wahlen erfolgten. Aus solchen Zuständen erwuchs
der Landtag von 1849. Dadurch war Bayerns zögernde, noch im Mai zwischen
Preußen und Oestreich schwankende Politik entschieden — man weiß, auf welche
Weise.

Die Adreßdebatte bot Hrn. v. d. Pfordten wieder häufige Gelegenheit zum
Besteigen der Tribune, und fast schien es, als wolle selbst diese Kammer das Prin¬
cip des sieghaften Ministeriums uicht anerkennen, als wolle sie den Bundesstaat
anstatt des Staatenbundes, oder vielmehr anstatt des BnudeöfürsteutagS. Aber
das war sicher, daß die Kammer eigentlich selber in ihrer Mehrheit nicht genau
wußte, welchen geographischen und politischen Begriff sie mit dem Bundesstaate
verband. Dieser negative Charakter ihres politischen Wunsches ward für Hrn.
v. d. Pfordten die willkommene Bresche, um hier mit schönen Redewendungen
von der Zerreißung Deutschlands" entschieden einzudringen, um auf den erdgeschicht-
lichen Mittlerberus Bayerns hinzuweisen, um Bayern als Retter, Oestreich als
Schirm, Preußen als Feind Deutschlands zu verkünden. Schüler hatte in
Parlamentarischer Schärfe und ätzender Zersctznngskunst gegen wohltönende Reden
leinen Schüler hinterlassen; die ganze^ Linke hatte bereits den Einheitsgedanken
aufgegeben, und benutzte ihn uur noch als glänzenden, populairen Schild anderer
Plane; die Mittelpartei stand unter Hrn. v. Lerchenfeld'ö Führung, die extreme
Rechte drohte eben so offen mit der particularistischeu Revolution, wie es vor
Monaten die äußerste Linke mit der social-republikanischen gethan. Und Hr.
Lerchenfeld war Versasser, wie Referent der Adresse; er erklärte dieselbe von
vorn herein als eine bedeutungslose Förmlichkeit. Alle Dein gegenüber war's aller¬
dings so leicht, den Deutschem Bundesstaat wie ein Unding zu behandeln, wie ein
gedankenloses, nichtswürdiges Schlagwort. Das leichte, vergnügliche Lächeln der
Siegesgewißheit spielte nnn fortwährend um den Mund des Ministers, nud eben
so lächelnden Mundes erklärte Derselbe, daß er auf die genauere Präcisirung des
„Bundesstaates" in der Adresse verzichte, daß er Namens der Negierung das
Förmlichkeits-Schriftstück mit jenem Allsdruck, und trotz des Mangels freudiger
Antwort auf den Besriedigungsansdrnck der Thronrede über die Herstellung der
provisorischen Dual-Centralgewalt passiren lassen wolle. Damit war jede Meinungs-
kundgcbnng der Kammer in Dingen, worüber sie uicht absolut zu bestimmen hatte,
M bloßen Phrase ohne Bedeutung und Erfolg herabgedrückt. Darauf folgten


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[0103] Revolution längst vom Kriegsrecht verdrängt, der reichsregcntschaftliche Wahnsinn des Rumpfparlaments mit Bayonnetten auseinandergetricben, Ungarn durch Ru߬ land niedergeworfen, Oestreichs Dreiviertel in Belagerungszustand erklärt, ganz Bayern factisch in einem solchen erhalten war. Eine Proclamation hatte dem Lande die rechten Wahlen ans Herz gelegt, eine königliche Rundreise durch Schwaben und Franken die Schüchternheit der „echten Patrioten" verscheucht, die Preßorgane der Regierung wurden von denen der Ultramontanen aufs Zuvor¬ kommendste unterstützt, als die Wahlen erfolgten. Aus solchen Zuständen erwuchs der Landtag von 1849. Dadurch war Bayerns zögernde, noch im Mai zwischen Preußen und Oestreich schwankende Politik entschieden — man weiß, auf welche Weise. Die Adreßdebatte bot Hrn. v. d. Pfordten wieder häufige Gelegenheit zum Besteigen der Tribune, und fast schien es, als wolle selbst diese Kammer das Prin¬ cip des sieghaften Ministeriums uicht anerkennen, als wolle sie den Bundesstaat anstatt des Staatenbundes, oder vielmehr anstatt des BnudeöfürsteutagS. Aber das war sicher, daß die Kammer eigentlich selber in ihrer Mehrheit nicht genau wußte, welchen geographischen und politischen Begriff sie mit dem Bundesstaate verband. Dieser negative Charakter ihres politischen Wunsches ward für Hrn. v. d. Pfordten die willkommene Bresche, um hier mit schönen Redewendungen von der Zerreißung Deutschlands" entschieden einzudringen, um auf den erdgeschicht- lichen Mittlerberus Bayerns hinzuweisen, um Bayern als Retter, Oestreich als Schirm, Preußen als Feind Deutschlands zu verkünden. Schüler hatte in Parlamentarischer Schärfe und ätzender Zersctznngskunst gegen wohltönende Reden leinen Schüler hinterlassen; die ganze^ Linke hatte bereits den Einheitsgedanken aufgegeben, und benutzte ihn uur noch als glänzenden, populairen Schild anderer Plane; die Mittelpartei stand unter Hrn. v. Lerchenfeld'ö Führung, die extreme Rechte drohte eben so offen mit der particularistischeu Revolution, wie es vor Monaten die äußerste Linke mit der social-republikanischen gethan. Und Hr. Lerchenfeld war Versasser, wie Referent der Adresse; er erklärte dieselbe von vorn herein als eine bedeutungslose Förmlichkeit. Alle Dein gegenüber war's aller¬ dings so leicht, den Deutschem Bundesstaat wie ein Unding zu behandeln, wie ein gedankenloses, nichtswürdiges Schlagwort. Das leichte, vergnügliche Lächeln der Siegesgewißheit spielte nnn fortwährend um den Mund des Ministers, nud eben so lächelnden Mundes erklärte Derselbe, daß er auf die genauere Präcisirung des „Bundesstaates" in der Adresse verzichte, daß er Namens der Negierung das Förmlichkeits-Schriftstück mit jenem Allsdruck, und trotz des Mangels freudiger Antwort auf den Besriedigungsansdrnck der Thronrede über die Herstellung der provisorischen Dual-Centralgewalt passiren lassen wolle. Damit war jede Meinungs- kundgcbnng der Kammer in Dingen, worüber sie uicht absolut zu bestimmen hatte, M bloßen Phrase ohne Bedeutung und Erfolg herabgedrückt. Darauf folgten -13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/103>, abgerufen am 04.05.2024.