Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Soldaten in wagrechter Richtung getragenen Gewehres, dessen Bayonuett ans seine
Brust gerichtet war, und das ihn sofort durchbohren mußte, wenn er hätte schneller
gehen wollen, als seine Vormänncr, und der SchmerzenSweg begann. Der Ba¬
taillonsarzt nahte sich ihm und reichte ihm einMschchen mit stärkenden Tropfen;
doch er wies sie zurück und rief: "Trinkt mein Blut, unser Blut; ich will und
brauche Eure Stärkung nicht."

"Vorwärts!" schrie jetzt der General; Sicrocinski erhob die Hände zum
Himmel und betrat mit lautem Nisvrm o moi vrus 8öeunäum wi^'nun ,in8>!vie.<"'-
nom wenn die Bahn. "Kräftiger hauen, kräftiger! brüllte Gatafiejew; die
Soldaten gehorchten dem Befehl, schlugen unbarmherzig, und der Prior stürzte
nach 1000 Hieben am Ende der Gasse ohnmächtig nieder. Man richtete ihn auf,
doch er vermochte uicht mehr zu stehe". Da band man ihn in kniender Stellung
auf einen Schlitten und schleifte ihn so noch sechsmal durch die Reihen. An¬
fangs horte man wol noch einen Schrei; doch er wurde schwächer und schwächer
und verstummte endlich ganz. "Stärker, stärker!" schrie der General, wenn er
glaubte, man lasse nach; die Soldaten thaten als willenlose Werkzeuge ihre Schul¬
digkeit, und führten die letzten 3000 Streiche ans einen Leichnam, der am Ende
der Strafe einem unförmlichen Klumpen Fleisch mit hervorstehenden Knochen¬
splittern glich.

Diejenigen der zweiten Abtheilung, welche nach der Execution noch athmeten,
wurden ius Lazareth gebracht, die Todte" wurden in einem Grabe verscharrt.
Den Polen erlaubte man, ans der Ruhestätte ihrer Brüder ein Krenz aufzn-
uchten, und so breitet denn bis heute noch das Zeichen der Erlösung mitten in
der Steppe seine großen schwarzen Arme über den Hügel aus, der die Gebeine
der Getödteten birgt. Szokalski, der, wie erwähnt, ans Ansuchen des Arztes mehr
^schont worden war, lag mehrere Monate an den empfangenen Wunden darnieder,
"""de nach Wiederherstellung nach Nertschinsk geschickt, verfiel dort in schwarze
Melancholie, und machte seinem Leben durch eine Kugel ein Ende.

Und wie ging es denen, die Schuld an so namenlosem Unglück waren?
Man hatte ihnen den Abschied und die Erlaubniß zur Rückkehr ius Vaterland
""geboten, doch Keinem sollte diese Vergünstigung Früchte tragen. Der Eine er¬
trank in Sibirien, der Andere endete jämmerlich ans dem Wege nach der Heimath.
Knak, von Gewissensbissen gefoltert, und die Verachtung fürchtend, die ihn in
Polen gewiß getroffen hätte, wenn er zurückgekehrt wäre, blieb an Ort und Stelle,
"ud hat es bis zum Unterlieutenant gebracht. Er gleicht einem Schatten, traut
A) nicht, Jemandem offen ins Ange zu schauen, und wird von Einheimischen
sowol, als Fremden, verachtet und gemieden.




Hrcnzbotm, IV. -I8Ü1.17

Soldaten in wagrechter Richtung getragenen Gewehres, dessen Bayonuett ans seine
Brust gerichtet war, und das ihn sofort durchbohren mußte, wenn er hätte schneller
gehen wollen, als seine Vormänncr, und der SchmerzenSweg begann. Der Ba¬
taillonsarzt nahte sich ihm und reichte ihm einMschchen mit stärkenden Tropfen;
doch er wies sie zurück und rief: „Trinkt mein Blut, unser Blut; ich will und
brauche Eure Stärkung nicht."

„Vorwärts!" schrie jetzt der General; Sicrocinski erhob die Hände zum
Himmel und betrat mit lautem Nisvrm o moi vrus 8öeunäum wi^'nun ,in8>!vie.<»'-
nom wenn die Bahn. „Kräftiger hauen, kräftiger! brüllte Gatafiejew; die
Soldaten gehorchten dem Befehl, schlugen unbarmherzig, und der Prior stürzte
nach 1000 Hieben am Ende der Gasse ohnmächtig nieder. Man richtete ihn auf,
doch er vermochte uicht mehr zu stehe». Da band man ihn in kniender Stellung
auf einen Schlitten und schleifte ihn so noch sechsmal durch die Reihen. An¬
fangs horte man wol noch einen Schrei; doch er wurde schwächer und schwächer
und verstummte endlich ganz. „Stärker, stärker!" schrie der General, wenn er
glaubte, man lasse nach; die Soldaten thaten als willenlose Werkzeuge ihre Schul¬
digkeit, und führten die letzten 3000 Streiche ans einen Leichnam, der am Ende
der Strafe einem unförmlichen Klumpen Fleisch mit hervorstehenden Knochen¬
splittern glich.

Diejenigen der zweiten Abtheilung, welche nach der Execution noch athmeten,
wurden ius Lazareth gebracht, die Todte» wurden in einem Grabe verscharrt.
Den Polen erlaubte man, ans der Ruhestätte ihrer Brüder ein Krenz aufzn-
uchten, und so breitet denn bis heute noch das Zeichen der Erlösung mitten in
der Steppe seine großen schwarzen Arme über den Hügel aus, der die Gebeine
der Getödteten birgt. Szokalski, der, wie erwähnt, ans Ansuchen des Arztes mehr
^schont worden war, lag mehrere Monate an den empfangenen Wunden darnieder,
"""de nach Wiederherstellung nach Nertschinsk geschickt, verfiel dort in schwarze
Melancholie, und machte seinem Leben durch eine Kugel ein Ende.

Und wie ging es denen, die Schuld an so namenlosem Unglück waren?
Man hatte ihnen den Abschied und die Erlaubniß zur Rückkehr ius Vaterland
""geboten, doch Keinem sollte diese Vergünstigung Früchte tragen. Der Eine er¬
trank in Sibirien, der Andere endete jämmerlich ans dem Wege nach der Heimath.
Knak, von Gewissensbissen gefoltert, und die Verachtung fürchtend, die ihn in
Polen gewiß getroffen hätte, wenn er zurückgekehrt wäre, blieb an Ort und Stelle,
"ud hat es bis zum Unterlieutenant gebracht. Er gleicht einem Schatten, traut
A) nicht, Jemandem offen ins Ange zu schauen, und wird von Einheimischen
sowol, als Fremden, verachtet und gemieden.




Hrcnzbotm, IV. -I8Ü1.17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280750"/>
          <p xml:id="ID_406" prev="#ID_405"> Soldaten in wagrechter Richtung getragenen Gewehres, dessen Bayonuett ans seine<lb/>
Brust gerichtet war, und das ihn sofort durchbohren mußte, wenn er hätte schneller<lb/>
gehen wollen, als seine Vormänncr, und der SchmerzenSweg begann. Der Ba¬<lb/>
taillonsarzt nahte sich ihm und reichte ihm einMschchen mit stärkenden Tropfen;<lb/>
doch er wies sie zurück und rief: &#x201E;Trinkt mein Blut, unser Blut; ich will und<lb/>
brauche Eure Stärkung nicht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_407"> &#x201E;Vorwärts!" schrie jetzt der General; Sicrocinski erhob die Hände zum<lb/>
Himmel und betrat mit lautem Nisvrm o moi vrus 8öeunäum wi^'nun ,in8&gt;!vie.&lt;»'-<lb/>
nom wenn die Bahn. &#x201E;Kräftiger hauen, kräftiger! brüllte Gatafiejew; die<lb/>
Soldaten gehorchten dem Befehl, schlugen unbarmherzig, und der Prior stürzte<lb/>
nach 1000 Hieben am Ende der Gasse ohnmächtig nieder. Man richtete ihn auf,<lb/>
doch er vermochte uicht mehr zu stehe». Da band man ihn in kniender Stellung<lb/>
auf einen Schlitten und schleifte ihn so noch sechsmal durch die Reihen. An¬<lb/>
fangs horte man wol noch einen Schrei; doch er wurde schwächer und schwächer<lb/>
und verstummte endlich ganz. &#x201E;Stärker, stärker!" schrie der General, wenn er<lb/>
glaubte, man lasse nach; die Soldaten thaten als willenlose Werkzeuge ihre Schul¬<lb/>
digkeit, und führten die letzten 3000 Streiche ans einen Leichnam, der am Ende<lb/>
der Strafe einem unförmlichen Klumpen Fleisch mit hervorstehenden Knochen¬<lb/>
splittern glich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_408"> Diejenigen der zweiten Abtheilung, welche nach der Execution noch athmeten,<lb/>
wurden ius Lazareth gebracht, die Todte» wurden in einem Grabe verscharrt.<lb/>
Den Polen erlaubte man, ans der Ruhestätte ihrer Brüder ein Krenz aufzn-<lb/>
uchten, und so breitet denn bis heute noch das Zeichen der Erlösung mitten in<lb/>
der Steppe seine großen schwarzen Arme über den Hügel aus, der die Gebeine<lb/>
der Getödteten birgt. Szokalski, der, wie erwähnt, ans Ansuchen des Arztes mehr<lb/>
^schont worden war, lag mehrere Monate an den empfangenen Wunden darnieder,<lb/>
"""de nach Wiederherstellung nach Nertschinsk geschickt, verfiel dort in schwarze<lb/>
Melancholie, und machte seinem Leben durch eine Kugel ein Ende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_409"> Und wie ging es denen, die Schuld an so namenlosem Unglück waren?<lb/>
Man hatte ihnen den Abschied und die Erlaubniß zur Rückkehr ius Vaterland<lb/>
""geboten, doch Keinem sollte diese Vergünstigung Früchte tragen. Der Eine er¬<lb/>
trank in Sibirien, der Andere endete jämmerlich ans dem Wege nach der Heimath.<lb/>
Knak, von Gewissensbissen gefoltert, und die Verachtung fürchtend, die ihn in<lb/>
Polen gewiß getroffen hätte, wenn er zurückgekehrt wäre, blieb an Ort und Stelle,<lb/>
"ud hat es bis zum Unterlieutenant gebracht. Er gleicht einem Schatten, traut<lb/>
A) nicht, Jemandem offen ins Ange zu schauen, und wird von Einheimischen<lb/>
sowol, als Fremden, verachtet und gemieden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Hrcnzbotm, IV. -I8Ü1.17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Soldaten in wagrechter Richtung getragenen Gewehres, dessen Bayonuett ans seine Brust gerichtet war, und das ihn sofort durchbohren mußte, wenn er hätte schneller gehen wollen, als seine Vormänncr, und der SchmerzenSweg begann. Der Ba¬ taillonsarzt nahte sich ihm und reichte ihm einMschchen mit stärkenden Tropfen; doch er wies sie zurück und rief: „Trinkt mein Blut, unser Blut; ich will und brauche Eure Stärkung nicht." „Vorwärts!" schrie jetzt der General; Sicrocinski erhob die Hände zum Himmel und betrat mit lautem Nisvrm o moi vrus 8öeunäum wi^'nun ,in8>!vie.<»'- nom wenn die Bahn. „Kräftiger hauen, kräftiger! brüllte Gatafiejew; die Soldaten gehorchten dem Befehl, schlugen unbarmherzig, und der Prior stürzte nach 1000 Hieben am Ende der Gasse ohnmächtig nieder. Man richtete ihn auf, doch er vermochte uicht mehr zu stehe». Da band man ihn in kniender Stellung auf einen Schlitten und schleifte ihn so noch sechsmal durch die Reihen. An¬ fangs horte man wol noch einen Schrei; doch er wurde schwächer und schwächer und verstummte endlich ganz. „Stärker, stärker!" schrie der General, wenn er glaubte, man lasse nach; die Soldaten thaten als willenlose Werkzeuge ihre Schul¬ digkeit, und führten die letzten 3000 Streiche ans einen Leichnam, der am Ende der Strafe einem unförmlichen Klumpen Fleisch mit hervorstehenden Knochen¬ splittern glich. Diejenigen der zweiten Abtheilung, welche nach der Execution noch athmeten, wurden ius Lazareth gebracht, die Todte» wurden in einem Grabe verscharrt. Den Polen erlaubte man, ans der Ruhestätte ihrer Brüder ein Krenz aufzn- uchten, und so breitet denn bis heute noch das Zeichen der Erlösung mitten in der Steppe seine großen schwarzen Arme über den Hügel aus, der die Gebeine der Getödteten birgt. Szokalski, der, wie erwähnt, ans Ansuchen des Arztes mehr ^schont worden war, lag mehrere Monate an den empfangenen Wunden darnieder, """de nach Wiederherstellung nach Nertschinsk geschickt, verfiel dort in schwarze Melancholie, und machte seinem Leben durch eine Kugel ein Ende. Und wie ging es denen, die Schuld an so namenlosem Unglück waren? Man hatte ihnen den Abschied und die Erlaubniß zur Rückkehr ius Vaterland ""geboten, doch Keinem sollte diese Vergünstigung Früchte tragen. Der Eine er¬ trank in Sibirien, der Andere endete jämmerlich ans dem Wege nach der Heimath. Knak, von Gewissensbissen gefoltert, und die Verachtung fürchtend, die ihn in Polen gewiß getroffen hätte, wenn er zurückgekehrt wäre, blieb an Ort und Stelle, "ud hat es bis zum Unterlieutenant gebracht. Er gleicht einem Schatten, traut A) nicht, Jemandem offen ins Ange zu schauen, und wird von Einheimischen sowol, als Fremden, verachtet und gemieden. Hrcnzbotm, IV. -I8Ü1.17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/133>, abgerufen am 02.05.2024.