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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Führen" des Abendländcrs, bewirkt hier das Gegentheil, sie schändet die Unglück¬
lichen, denen sie die Augen nnr zur lüsternen Erkenntniß des Schlechten öffnet,
und man muß an jeder Erhebung eines Volkes unwillkürlich verzweifeln, das,
eher verdorben als gebildet, sein sittliches Gefühl nnr bei beengender Geistcs-
rohheit bewahrt, und Treu und Glauben so leicht abstreift, und als lächerlichen Un¬
sinn betrachtet, etwa so, wie der sogenannte aufgeklärte Katholik gewisse Ceremonien
seiner Kirche, um kein öffentliches Aergerniß zu geben, zwar äußerlich mitmacht,
aber innerlich ungläubig belächelt, und sich dadurch über das gemeine Volk erhaben
dünkt.

Die Stufenleiter der Beamten-Hierarchie bezeichnet demnach anch ziemlich
genau die Progression unerlaubter Lasten und verpöuteu Gewinnes, den jeder
Angestellte zu leisten und auszusprechen berufen, und wenn wir der Wahrheit
getreu bleiben wollen, so müssen wir eingestehen, die würdige Stütze der Diebs-
leiter bildet der jeweilige Finanzminister, wie wir dies mittelst einiger dnrch Bro-
chüren und italienisch-französische Blätter übrigens ohnehin weltkundig gewordene
Scandale der letzten Jahre leicht beweisen können. Der vorletzte Finanzmi-
nister z. B. halte zu seinen Banquiers einige griechische Handelshäuser ans
Pera auserkoren, die jedoch als östreichische Unterthanen unter dem Schutze der
k. k. Nnnciatnr, demnach in einem gewissen, gehörig ausgebeuteten Unabhängig-
keitsverhältnisse standen und als Entschädigung sür mannichfache Gegenleistungen,
und zwar den bestehenden abgeschlossenen Verträgen zu Trotz, augenblicklich alle
und jede Lieferung für Regierung, Heer, Flotte n. f. w. bis auf die geringsten
Gegenstände in ihren Händen monopvlisirten, so daß z. B. die ärmsten Lieferan¬
ten, die Bäcker und Fischer von Gallipoli, die von jeher das Brod und die
Fische geliefert hatten, plötzlich bei Seite geschoben und durch diese Aller-Welts-
Lieseranten der Verzweiflung, ja dem Hungertode preisgegeben wurden, und
nur durch förmliche Tribntzahlnugeu an die hohen Wechselherren die Aufrecht¬
erhaltung ihrer ältern in voller Form Rechtens abgeschlossenen Contracte erlangen
konnten.

Die Truppen, gewöhnt an den vortrefflichen, ägyptischen Reis, ihre vorzüg¬
liche, fast einzige Nahrung, beschwerten sich, daß man durch englische Vermittlung
geringe Sorten Reis ans Indien kommen lasse, der schlechten, oft ungenießbaren
Pillau gebe. Die Mvnturstücke aus Tuch und Filz, zu Schleuderpreisen geliefert,
waren in kurzer Zeit zerrissen und nicht fähig, namentlich in den Wintermonaten,
vor der Unbill der Witterung zu schützen, Die Staatsgläubiger wurden ohne Wei¬
teres von alleu Kassen zurückgewiesen, doch gab man ihnen zu verstehen, daß
in diesem und jenem Comptoir stets baares Geld vorräthig sei, und daß man
ihnen ihre legalisirten Forderungen mit einem Escompte von 23-^0 Procent
aus Gefälligkeit abnehmen wolle. Endlich der ganze Handelsstand sah sich nicht
nur in Masse von allen als gewinnreich bekannten Geschäften mit der Regie-


Führen» des Abendländcrs, bewirkt hier das Gegentheil, sie schändet die Unglück¬
lichen, denen sie die Augen nnr zur lüsternen Erkenntniß des Schlechten öffnet,
und man muß an jeder Erhebung eines Volkes unwillkürlich verzweifeln, das,
eher verdorben als gebildet, sein sittliches Gefühl nnr bei beengender Geistcs-
rohheit bewahrt, und Treu und Glauben so leicht abstreift, und als lächerlichen Un¬
sinn betrachtet, etwa so, wie der sogenannte aufgeklärte Katholik gewisse Ceremonien
seiner Kirche, um kein öffentliches Aergerniß zu geben, zwar äußerlich mitmacht,
aber innerlich ungläubig belächelt, und sich dadurch über das gemeine Volk erhaben
dünkt.

Die Stufenleiter der Beamten-Hierarchie bezeichnet demnach anch ziemlich
genau die Progression unerlaubter Lasten und verpöuteu Gewinnes, den jeder
Angestellte zu leisten und auszusprechen berufen, und wenn wir der Wahrheit
getreu bleiben wollen, so müssen wir eingestehen, die würdige Stütze der Diebs-
leiter bildet der jeweilige Finanzminister, wie wir dies mittelst einiger dnrch Bro-
chüren und italienisch-französische Blätter übrigens ohnehin weltkundig gewordene
Scandale der letzten Jahre leicht beweisen können. Der vorletzte Finanzmi-
nister z. B. halte zu seinen Banquiers einige griechische Handelshäuser ans
Pera auserkoren, die jedoch als östreichische Unterthanen unter dem Schutze der
k. k. Nnnciatnr, demnach in einem gewissen, gehörig ausgebeuteten Unabhängig-
keitsverhältnisse standen und als Entschädigung sür mannichfache Gegenleistungen,
und zwar den bestehenden abgeschlossenen Verträgen zu Trotz, augenblicklich alle
und jede Lieferung für Regierung, Heer, Flotte n. f. w. bis auf die geringsten
Gegenstände in ihren Händen monopvlisirten, so daß z. B. die ärmsten Lieferan¬
ten, die Bäcker und Fischer von Gallipoli, die von jeher das Brod und die
Fische geliefert hatten, plötzlich bei Seite geschoben und durch diese Aller-Welts-
Lieseranten der Verzweiflung, ja dem Hungertode preisgegeben wurden, und
nur durch förmliche Tribntzahlnugeu an die hohen Wechselherren die Aufrecht¬
erhaltung ihrer ältern in voller Form Rechtens abgeschlossenen Contracte erlangen
konnten.

Die Truppen, gewöhnt an den vortrefflichen, ägyptischen Reis, ihre vorzüg¬
liche, fast einzige Nahrung, beschwerten sich, daß man durch englische Vermittlung
geringe Sorten Reis ans Indien kommen lasse, der schlechten, oft ungenießbaren
Pillau gebe. Die Mvnturstücke aus Tuch und Filz, zu Schleuderpreisen geliefert,
waren in kurzer Zeit zerrissen und nicht fähig, namentlich in den Wintermonaten,
vor der Unbill der Witterung zu schützen, Die Staatsgläubiger wurden ohne Wei¬
teres von alleu Kassen zurückgewiesen, doch gab man ihnen zu verstehen, daß
in diesem und jenem Comptoir stets baares Geld vorräthig sei, und daß man
ihnen ihre legalisirten Forderungen mit einem Escompte von 23-^0 Procent
aus Gefälligkeit abnehmen wolle. Endlich der ganze Handelsstand sah sich nicht
nur in Masse von allen als gewinnreich bekannten Geschäften mit der Regie-


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[0146] Führen» des Abendländcrs, bewirkt hier das Gegentheil, sie schändet die Unglück¬ lichen, denen sie die Augen nnr zur lüsternen Erkenntniß des Schlechten öffnet, und man muß an jeder Erhebung eines Volkes unwillkürlich verzweifeln, das, eher verdorben als gebildet, sein sittliches Gefühl nnr bei beengender Geistcs- rohheit bewahrt, und Treu und Glauben so leicht abstreift, und als lächerlichen Un¬ sinn betrachtet, etwa so, wie der sogenannte aufgeklärte Katholik gewisse Ceremonien seiner Kirche, um kein öffentliches Aergerniß zu geben, zwar äußerlich mitmacht, aber innerlich ungläubig belächelt, und sich dadurch über das gemeine Volk erhaben dünkt. Die Stufenleiter der Beamten-Hierarchie bezeichnet demnach anch ziemlich genau die Progression unerlaubter Lasten und verpöuteu Gewinnes, den jeder Angestellte zu leisten und auszusprechen berufen, und wenn wir der Wahrheit getreu bleiben wollen, so müssen wir eingestehen, die würdige Stütze der Diebs- leiter bildet der jeweilige Finanzminister, wie wir dies mittelst einiger dnrch Bro- chüren und italienisch-französische Blätter übrigens ohnehin weltkundig gewordene Scandale der letzten Jahre leicht beweisen können. Der vorletzte Finanzmi- nister z. B. halte zu seinen Banquiers einige griechische Handelshäuser ans Pera auserkoren, die jedoch als östreichische Unterthanen unter dem Schutze der k. k. Nnnciatnr, demnach in einem gewissen, gehörig ausgebeuteten Unabhängig- keitsverhältnisse standen und als Entschädigung sür mannichfache Gegenleistungen, und zwar den bestehenden abgeschlossenen Verträgen zu Trotz, augenblicklich alle und jede Lieferung für Regierung, Heer, Flotte n. f. w. bis auf die geringsten Gegenstände in ihren Händen monopvlisirten, so daß z. B. die ärmsten Lieferan¬ ten, die Bäcker und Fischer von Gallipoli, die von jeher das Brod und die Fische geliefert hatten, plötzlich bei Seite geschoben und durch diese Aller-Welts- Lieseranten der Verzweiflung, ja dem Hungertode preisgegeben wurden, und nur durch förmliche Tribntzahlnugeu an die hohen Wechselherren die Aufrecht¬ erhaltung ihrer ältern in voller Form Rechtens abgeschlossenen Contracte erlangen konnten. Die Truppen, gewöhnt an den vortrefflichen, ägyptischen Reis, ihre vorzüg¬ liche, fast einzige Nahrung, beschwerten sich, daß man durch englische Vermittlung geringe Sorten Reis ans Indien kommen lasse, der schlechten, oft ungenießbaren Pillau gebe. Die Mvnturstücke aus Tuch und Filz, zu Schleuderpreisen geliefert, waren in kurzer Zeit zerrissen und nicht fähig, namentlich in den Wintermonaten, vor der Unbill der Witterung zu schützen, Die Staatsgläubiger wurden ohne Wei¬ teres von alleu Kassen zurückgewiesen, doch gab man ihnen zu verstehen, daß in diesem und jenem Comptoir stets baares Geld vorräthig sei, und daß man ihnen ihre legalisirten Forderungen mit einem Escompte von 23-^0 Procent aus Gefälligkeit abnehmen wolle. Endlich der ganze Handelsstand sah sich nicht nur in Masse von allen als gewinnreich bekannten Geschäften mit der Regie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/146>, abgerufen am 30.04.2024.