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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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hinüberleiten. Ich wende mich null zu einer speciellen Betrachtung deö neu
Entstandenen, und zwar zunächst des neu vollendeten Hauptgemäldeö.

Wenn Kaulbach in der Zerstörung des Thurms zu Babel den sagenhaften
Aufang der Geschichte, das Auseinandertreten der Stamme zu gesonderten Völker-
familien, aus dem Phantasiebilde des Mythus in ein sinnliches Bild von charak¬
tervoller Schönheit verwandelte; wenn er mit liebevoller Begeisterung daran
geht, im singenden Homer die schöne Bildung des Griechenthums in viel-
leitigcr Entfaltung darzustellen, so giebt er in der Zerstörung von Jerusalem deu
Zusammenstoß zweier mächtigen weltgeschichtlichen Principe, der im Kaiserglanzc
strahlenden römischen Weltherrschaft mit dem sittlich gebrochenen Judenthum, dessen
W>ze geschichtliche Gewalt doch nur eine ethische gewesen war. Die furchtbare
historische Tragödie istawn dem Künstler in einer Größe und Mächtigkeit ergriffen,
die alle Gcschichtsmalerei der Gegenwart überragt. Leider muß ich vou diesem Ur¬
theil in historischer Beziehung die Himmelsgruppe der Propheten und Engel, so
Wie die symbolischen Sciteugruppen des Vorgrundes, den Ahasver und die
Ehristeusamilie, sondern. Denn es herrscht auch hier, wie in der Conception der
sämmtlichen Hauptgemälde, jeuer im Gedanken geeinigte, äußerlich geschiedene
Dualismus von Idealität und Realität, den die philosophische Auffassung des
Künstlers in die Darstellung der Kulturgeschichte bringt. Und doch zeigt sich
Kaulbach wieder als einen eminenten Geschichtsmaler, indem er neben jenen
Jdcalbildnngen menschlicher Phantasie, welche er mit dem speculativen Ge¬
danken aufgenommen hat, in die volle sinnliche Gewalt der Geschichte eine ide¬
ale Tiefe und Großartigkeit zu hauchen wußte, die innig Eins ist mit dem
Leben selber und den mächtigen Wirkungen einer weltgeschichtlichen Katastrophe.

Ein eigenthümlich poetisches Verhängnis) war es, daß gerade der gütige
Titus ^ den israelitische Geschichtschreiber freilich Titus den Bösewicht nennen --
daß gerade Titus der Gütige berufen war, die letzte Kraft Israels zu zertrüm¬
mern und der jüdischen Nation sür alle Zukunft den Todesstoß zu geben. Das
thematische Princip des jüdischen Staates hatte sich überlebt, der Kampf des
Sterbens war nur noch eine fieberhafte Anspannung. Roms Weltherrschaft sollte
^Uer neuen Idee die Wege bereiten, obwol diese vou dem Heidenthum wie von
^in Judenthum verfolgt wurde. Die göttlichen Offenbarungen, jene dnrch ihre
Etliche Konsequenz erhabenen Grundsätze eines einfachen Glaubens, hatten die
Stärke des kleinen Staates gebildet. Der Abfall deö Volkes von ihnen erzeugte
Verderbnis; der Sitte" und eine Selbstsucht, welche nicht mehr dem Volksganzen, son¬
dern ausschließlich der sinnlichen Befriedigung und Bereicherung des Individuums galt,
und die Unvermeidlichkeit einer Katastrophe ahnen ließ. So hatten die Propheten den
Untergang Jerusalems im Namen Jehovah's verkündigt, so nahm später das gesche¬
hene Ereigniß im Glauben der vertriebenen und als Nation vernichteten Juden das
Gepräge eines unmittelbaren göttlichen Strafgerichtes an. Diese Auffassung muß


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hinüberleiten. Ich wende mich null zu einer speciellen Betrachtung deö neu
Entstandenen, und zwar zunächst des neu vollendeten Hauptgemäldeö.

Wenn Kaulbach in der Zerstörung des Thurms zu Babel den sagenhaften
Aufang der Geschichte, das Auseinandertreten der Stamme zu gesonderten Völker-
familien, aus dem Phantasiebilde des Mythus in ein sinnliches Bild von charak¬
tervoller Schönheit verwandelte; wenn er mit liebevoller Begeisterung daran
geht, im singenden Homer die schöne Bildung des Griechenthums in viel-
leitigcr Entfaltung darzustellen, so giebt er in der Zerstörung von Jerusalem deu
Zusammenstoß zweier mächtigen weltgeschichtlichen Principe, der im Kaiserglanzc
strahlenden römischen Weltherrschaft mit dem sittlich gebrochenen Judenthum, dessen
W>ze geschichtliche Gewalt doch nur eine ethische gewesen war. Die furchtbare
historische Tragödie istawn dem Künstler in einer Größe und Mächtigkeit ergriffen,
die alle Gcschichtsmalerei der Gegenwart überragt. Leider muß ich vou diesem Ur¬
theil in historischer Beziehung die Himmelsgruppe der Propheten und Engel, so
Wie die symbolischen Sciteugruppen des Vorgrundes, den Ahasver und die
Ehristeusamilie, sondern. Denn es herrscht auch hier, wie in der Conception der
sämmtlichen Hauptgemälde, jeuer im Gedanken geeinigte, äußerlich geschiedene
Dualismus von Idealität und Realität, den die philosophische Auffassung des
Künstlers in die Darstellung der Kulturgeschichte bringt. Und doch zeigt sich
Kaulbach wieder als einen eminenten Geschichtsmaler, indem er neben jenen
Jdcalbildnngen menschlicher Phantasie, welche er mit dem speculativen Ge¬
danken aufgenommen hat, in die volle sinnliche Gewalt der Geschichte eine ide¬
ale Tiefe und Großartigkeit zu hauchen wußte, die innig Eins ist mit dem
Leben selber und den mächtigen Wirkungen einer weltgeschichtlichen Katastrophe.

Ein eigenthümlich poetisches Verhängnis) war es, daß gerade der gütige
Titus ^ den israelitische Geschichtschreiber freilich Titus den Bösewicht nennen —
daß gerade Titus der Gütige berufen war, die letzte Kraft Israels zu zertrüm¬
mern und der jüdischen Nation sür alle Zukunft den Todesstoß zu geben. Das
thematische Princip des jüdischen Staates hatte sich überlebt, der Kampf des
Sterbens war nur noch eine fieberhafte Anspannung. Roms Weltherrschaft sollte
^Uer neuen Idee die Wege bereiten, obwol diese vou dem Heidenthum wie von
^in Judenthum verfolgt wurde. Die göttlichen Offenbarungen, jene dnrch ihre
Etliche Konsequenz erhabenen Grundsätze eines einfachen Glaubens, hatten die
Stärke des kleinen Staates gebildet. Der Abfall deö Volkes von ihnen erzeugte
Verderbnis; der Sitte» und eine Selbstsucht, welche nicht mehr dem Volksganzen, son¬
dern ausschließlich der sinnlichen Befriedigung und Bereicherung des Individuums galt,
und die Unvermeidlichkeit einer Katastrophe ahnen ließ. So hatten die Propheten den
Untergang Jerusalems im Namen Jehovah's verkündigt, so nahm später das gesche¬
hene Ereigniß im Glauben der vertriebenen und als Nation vernichteten Juden das
Gepräge eines unmittelbaren göttlichen Strafgerichtes an. Diese Auffassung muß


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[0183] hinüberleiten. Ich wende mich null zu einer speciellen Betrachtung deö neu Entstandenen, und zwar zunächst des neu vollendeten Hauptgemäldeö. Wenn Kaulbach in der Zerstörung des Thurms zu Babel den sagenhaften Aufang der Geschichte, das Auseinandertreten der Stamme zu gesonderten Völker- familien, aus dem Phantasiebilde des Mythus in ein sinnliches Bild von charak¬ tervoller Schönheit verwandelte; wenn er mit liebevoller Begeisterung daran geht, im singenden Homer die schöne Bildung des Griechenthums in viel- leitigcr Entfaltung darzustellen, so giebt er in der Zerstörung von Jerusalem deu Zusammenstoß zweier mächtigen weltgeschichtlichen Principe, der im Kaiserglanzc strahlenden römischen Weltherrschaft mit dem sittlich gebrochenen Judenthum, dessen W>ze geschichtliche Gewalt doch nur eine ethische gewesen war. Die furchtbare historische Tragödie istawn dem Künstler in einer Größe und Mächtigkeit ergriffen, die alle Gcschichtsmalerei der Gegenwart überragt. Leider muß ich vou diesem Ur¬ theil in historischer Beziehung die Himmelsgruppe der Propheten und Engel, so Wie die symbolischen Sciteugruppen des Vorgrundes, den Ahasver und die Ehristeusamilie, sondern. Denn es herrscht auch hier, wie in der Conception der sämmtlichen Hauptgemälde, jeuer im Gedanken geeinigte, äußerlich geschiedene Dualismus von Idealität und Realität, den die philosophische Auffassung des Künstlers in die Darstellung der Kulturgeschichte bringt. Und doch zeigt sich Kaulbach wieder als einen eminenten Geschichtsmaler, indem er neben jenen Jdcalbildnngen menschlicher Phantasie, welche er mit dem speculativen Ge¬ danken aufgenommen hat, in die volle sinnliche Gewalt der Geschichte eine ide¬ ale Tiefe und Großartigkeit zu hauchen wußte, die innig Eins ist mit dem Leben selber und den mächtigen Wirkungen einer weltgeschichtlichen Katastrophe. Ein eigenthümlich poetisches Verhängnis) war es, daß gerade der gütige Titus ^ den israelitische Geschichtschreiber freilich Titus den Bösewicht nennen — daß gerade Titus der Gütige berufen war, die letzte Kraft Israels zu zertrüm¬ mern und der jüdischen Nation sür alle Zukunft den Todesstoß zu geben. Das thematische Princip des jüdischen Staates hatte sich überlebt, der Kampf des Sterbens war nur noch eine fieberhafte Anspannung. Roms Weltherrschaft sollte ^Uer neuen Idee die Wege bereiten, obwol diese vou dem Heidenthum wie von ^in Judenthum verfolgt wurde. Die göttlichen Offenbarungen, jene dnrch ihre Etliche Konsequenz erhabenen Grundsätze eines einfachen Glaubens, hatten die Stärke des kleinen Staates gebildet. Der Abfall deö Volkes von ihnen erzeugte Verderbnis; der Sitte» und eine Selbstsucht, welche nicht mehr dem Volksganzen, son¬ dern ausschließlich der sinnlichen Befriedigung und Bereicherung des Individuums galt, und die Unvermeidlichkeit einer Katastrophe ahnen ließ. So hatten die Propheten den Untergang Jerusalems im Namen Jehovah's verkündigt, so nahm später das gesche¬ hene Ereigniß im Glauben der vertriebenen und als Nation vernichteten Juden das Gepräge eines unmittelbaren göttlichen Strafgerichtes an. Diese Auffassung muß 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/183>, abgerufen am 07.05.2024.