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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Auge betrachteten Neuerungen bewahrt der Türke jedes Ranges und jedes
Standes noch tief im Herzen jenen instinctmäßigen Autoritätsglauben und eine,,
durch^ Ueberlieferungen genährte, abgöttische Verehrung des Staatsoberhaupts,.
durch welche' allein das Reich und der Thron noch besteht.

Folgen wir dem Zuge, wenn der Padischa geruht, den Bosporus zu passiren,
um sich in die Moschee zur.Andacht zu verfügen. Ein langer Kalk"), reich mit
Gold auf weißem Grunde verziert, bewegt sich langsam vorwärts, unter taktmäßi¬
gen Geräusch zahlreicher Ruderschläge. schimmernd von Perlen und Diaman¬
ten ruht mit untergeschlagenen Beinen der Sultan unbeweglich unter goldbrocatnem
Baldachin. Ihm gegenüber in demüthiger Stellung weht der Premierminister,
Grvßwessir, mit einem ungeheuren Fächer aus Straußenfedern dem Antlitz des
Großherrn Kühlung zu. Andere, minder reiche Kalks folgen, theils mit Groß-
würdenträgcrn, theils mit einer zahlreichen Mnstkbande belastet.^) Seltsame,
europäischem Ohre uicht sonderlich wohlklingende Nativnalweiscn erschallen, die
am Gestade Kopf an Kopf sich drängende Volksmasse, früher nichts weniger als
anständiger Ruhe beflissen, wird plötzlich still, wie vom heiligen Schauer des
Staunens und der Ehrfurcht ergriffen. Aller Augen sind demüthig zu Boden
geschlagen, die obere Körperhälfte weit vorgebeugt, die Hände über die Brust
gekreuzt, Schweigen des Grabes ist über die mischbare, vor Kurzem uoch so lär¬
mende, treibende Menge ausgegossen, -- und warum?! -- - weil die Gondel des,
Großherrn in ziemlich weiter Ferne vorübergleitet. Ein drückend unbehagliches
Gefühl ergreift den Europäer, wenn er diese Huldigung schaut, einem kleinen,
schwächlichen Männchen, von eben nicht sehr glänzenden Geistesgaben, dargebracht;
und doch wird derselbe in den Kreis allgemeiner Bezauberung unwillkürlich "ut
hineingezogen. Vielfach im bewegten Leben herumgetrieben, sieht, und hat
der Wanderer vielleicht noch nichts gesehen, nicht einmal die Ausstellung der
geweihten Gvttesspcise in den strengst katholischen Ländern, was einen so unge-
heuchelten, so gewaltig erschütternden Eindruck auf die rohe Masse hervorzubringen
vermöchte, als hier die von weitem geschaute Erscheinung des Herrn aller Gläubi¬
gen, des rechtmäßigen Nachfolgers des Propheten und Stellvertreters Gottes auf
der Erde.






Schmale türkische Gondel.
") Der Zeit unter der Lcitmia eines italienischen Kapellmeisters Donizetti, Bnidcro
verschütten Maestro.

Auge betrachteten Neuerungen bewahrt der Türke jedes Ranges und jedes
Standes noch tief im Herzen jenen instinctmäßigen Autoritätsglauben und eine,,
durch^ Ueberlieferungen genährte, abgöttische Verehrung des Staatsoberhaupts,.
durch welche' allein das Reich und der Thron noch besteht.

Folgen wir dem Zuge, wenn der Padischa geruht, den Bosporus zu passiren,
um sich in die Moschee zur.Andacht zu verfügen. Ein langer Kalk"), reich mit
Gold auf weißem Grunde verziert, bewegt sich langsam vorwärts, unter taktmäßi¬
gen Geräusch zahlreicher Ruderschläge. schimmernd von Perlen und Diaman¬
ten ruht mit untergeschlagenen Beinen der Sultan unbeweglich unter goldbrocatnem
Baldachin. Ihm gegenüber in demüthiger Stellung weht der Premierminister,
Grvßwessir, mit einem ungeheuren Fächer aus Straußenfedern dem Antlitz des
Großherrn Kühlung zu. Andere, minder reiche Kalks folgen, theils mit Groß-
würdenträgcrn, theils mit einer zahlreichen Mnstkbande belastet.^) Seltsame,
europäischem Ohre uicht sonderlich wohlklingende Nativnalweiscn erschallen, die
am Gestade Kopf an Kopf sich drängende Volksmasse, früher nichts weniger als
anständiger Ruhe beflissen, wird plötzlich still, wie vom heiligen Schauer des
Staunens und der Ehrfurcht ergriffen. Aller Augen sind demüthig zu Boden
geschlagen, die obere Körperhälfte weit vorgebeugt, die Hände über die Brust
gekreuzt, Schweigen des Grabes ist über die mischbare, vor Kurzem uoch so lär¬
mende, treibende Menge ausgegossen, — und warum?! — - weil die Gondel des,
Großherrn in ziemlich weiter Ferne vorübergleitet. Ein drückend unbehagliches
Gefühl ergreift den Europäer, wenn er diese Huldigung schaut, einem kleinen,
schwächlichen Männchen, von eben nicht sehr glänzenden Geistesgaben, dargebracht;
und doch wird derselbe in den Kreis allgemeiner Bezauberung unwillkürlich »ut
hineingezogen. Vielfach im bewegten Leben herumgetrieben, sieht, und hat
der Wanderer vielleicht noch nichts gesehen, nicht einmal die Ausstellung der
geweihten Gvttesspcise in den strengst katholischen Ländern, was einen so unge-
heuchelten, so gewaltig erschütternden Eindruck auf die rohe Masse hervorzubringen
vermöchte, als hier die von weitem geschaute Erscheinung des Herrn aller Gläubi¬
gen, des rechtmäßigen Nachfolgers des Propheten und Stellvertreters Gottes auf
der Erde.






Schmale türkische Gondel.
") Der Zeit unter der Lcitmia eines italienischen Kapellmeisters Donizetti, Bnidcro
verschütten Maestro.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/196>, abgerufen am 08.05.2024.