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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Die Gefühle persönlicher Treue und Hingebung sucht zwar der Preußeuvcrein
sehr eifrig zu repräsentiren, und die milde und liebenswürdige Persönlichkeit des
Monarchen ist bemüht, dieselben durch offenes Hingeben an diese Coterie zu stär¬
ken -- man denke an jene Rede, in der der König sich über Verleumdungen be¬
klagte -- und durch Belohnungen und Decorationen -- man lese das Statut
des Ordens vom Fels zum Meere -- an sich zu fesseln. Und doch sind sie
in der größten Gefahr, in dem Volke dafür zu schwinden. Es ist kein feind¬
seliges Gefühl, kein starker Gegensatz, der sie verzehrt, sondern die bare Erschlaf¬
fung, der kleinliche nackte Egoismus, wie er in mißmuthige, gedrückte Gemüther sich
einfrißt. Und wären die Freunde der Krone, welche diese Stimmung verursacht
haben und unterhalten, wenigstens selbst sicher, scharf blickend und berechtigte Ver¬
treter großer Interessen, aber leider sind sie das nicht. Denn die Menschen,
welche sich an den Rodomontaden der Neuen Preußischen erfreuen und in den
übermüthigen Ausfällen derselben eine Stärkung ihrer politischen Empfindungen
erhalten, werden bei nächster Gelegenheit, wo es gilt, der Person des Königs An¬
hänglichkeit und Treue zu beweise", in eiuer Krisis, die sie selbst herbeigeführt haben,
eben so rathlos oder unbesonnen sein, wie sie im Frühjahr 1848 waren. Wem
deshalb an dem Gedeihen Preußens gelegen ist" wer das Königshaus der Ho-
henzollern liebt, der soll jetzt rede", und jede andere Rücksicht bei Seite setzen.
Die Gefahr, welche Preußen droht, ist nicht mehr durch Barricaden und einen
Volksaufstand außer Fassung gesetzt zu werden, sondern der preußische Staat ist
gegenwärtig auf dem Wege, ein viel schlimmeres Resultat zu erreichen, unnütz zu
werden für seine Bürger, unnütz für die übrigen deutschen Staaten und uniM
für die riesenhafte Entwickelung der Welrcultur. Wir, die wir Preußen sind und
an unsrem Vaterland mit heißer Liebe hängen, sehen mit Ingrimm, wie klein der
Staat Friedrich's zu werden droht. Noch liegt ein sehr großer Theil seiner pro-
ductiven Kraft und seiner Capitalien in den Händen der egoistischen Partei, welche
die gegenwärtige Regierung durch ihren Rath und ihren Beifall erhält; aber
mit jedem Jahre ändert sich das, immer enger werden die Peripherien, in de¬
nen der Kaufmann, der Industrielle, der Maun der Wissenschaft sich bewegt, und
geringer die Wichtigkeit, welche die Politik und Regierungsweise des Staates
Preußen auf den Wohlstand und .das private Selbstgefühl seiner Bürger hat. -
Sachsen, Hamburg, England, Amerika treten dem Einzelnen immer näher, und
es bildet sich bei dem lebhaften Verkehr der Völker unter einander ein kosmopo¬
litisches Selbstgefühl des Einzelnen, bei welchem die Gefühle für das engere Va¬
terland immer mehr zu verkümmern drohen. So wird, was das Jahr '>8i>8
nicht durchsetzte, allmählich auf praktischem Wege erreicht werden, vollständige In¬
differenz und Gleichgültigkeit gegen das heimische Staatsleben, dadurch ein all¬
mähliches Hinsiechen der Lebenskraft des Staates und bei Gelegenheit eine Auf¬
lösung des alten Staatskörpers trotz Treubund und Kreuzzeitung. Dagegen giebt


Die Gefühle persönlicher Treue und Hingebung sucht zwar der Preußeuvcrein
sehr eifrig zu repräsentiren, und die milde und liebenswürdige Persönlichkeit des
Monarchen ist bemüht, dieselben durch offenes Hingeben an diese Coterie zu stär¬
ken — man denke an jene Rede, in der der König sich über Verleumdungen be¬
klagte — und durch Belohnungen und Decorationen — man lese das Statut
des Ordens vom Fels zum Meere — an sich zu fesseln. Und doch sind sie
in der größten Gefahr, in dem Volke dafür zu schwinden. Es ist kein feind¬
seliges Gefühl, kein starker Gegensatz, der sie verzehrt, sondern die bare Erschlaf¬
fung, der kleinliche nackte Egoismus, wie er in mißmuthige, gedrückte Gemüther sich
einfrißt. Und wären die Freunde der Krone, welche diese Stimmung verursacht
haben und unterhalten, wenigstens selbst sicher, scharf blickend und berechtigte Ver¬
treter großer Interessen, aber leider sind sie das nicht. Denn die Menschen,
welche sich an den Rodomontaden der Neuen Preußischen erfreuen und in den
übermüthigen Ausfällen derselben eine Stärkung ihrer politischen Empfindungen
erhalten, werden bei nächster Gelegenheit, wo es gilt, der Person des Königs An¬
hänglichkeit und Treue zu beweise», in eiuer Krisis, die sie selbst herbeigeführt haben,
eben so rathlos oder unbesonnen sein, wie sie im Frühjahr 1848 waren. Wem
deshalb an dem Gedeihen Preußens gelegen ist„ wer das Königshaus der Ho-
henzollern liebt, der soll jetzt rede», und jede andere Rücksicht bei Seite setzen.
Die Gefahr, welche Preußen droht, ist nicht mehr durch Barricaden und einen
Volksaufstand außer Fassung gesetzt zu werden, sondern der preußische Staat ist
gegenwärtig auf dem Wege, ein viel schlimmeres Resultat zu erreichen, unnütz zu
werden für seine Bürger, unnütz für die übrigen deutschen Staaten und uniM
für die riesenhafte Entwickelung der Welrcultur. Wir, die wir Preußen sind und
an unsrem Vaterland mit heißer Liebe hängen, sehen mit Ingrimm, wie klein der
Staat Friedrich's zu werden droht. Noch liegt ein sehr großer Theil seiner pro-
ductiven Kraft und seiner Capitalien in den Händen der egoistischen Partei, welche
die gegenwärtige Regierung durch ihren Rath und ihren Beifall erhält; aber
mit jedem Jahre ändert sich das, immer enger werden die Peripherien, in de¬
nen der Kaufmann, der Industrielle, der Maun der Wissenschaft sich bewegt, und
geringer die Wichtigkeit, welche die Politik und Regierungsweise des Staates
Preußen auf den Wohlstand und .das private Selbstgefühl seiner Bürger hat. -
Sachsen, Hamburg, England, Amerika treten dem Einzelnen immer näher, und
es bildet sich bei dem lebhaften Verkehr der Völker unter einander ein kosmopo¬
litisches Selbstgefühl des Einzelnen, bei welchem die Gefühle für das engere Va¬
terland immer mehr zu verkümmern drohen. So wird, was das Jahr '>8i>8
nicht durchsetzte, allmählich auf praktischem Wege erreicht werden, vollständige In¬
differenz und Gleichgültigkeit gegen das heimische Staatsleben, dadurch ein all¬
mähliches Hinsiechen der Lebenskraft des Staates und bei Gelegenheit eine Auf¬
lösung des alten Staatskörpers trotz Treubund und Kreuzzeitung. Dagegen giebt


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[0228] Die Gefühle persönlicher Treue und Hingebung sucht zwar der Preußeuvcrein sehr eifrig zu repräsentiren, und die milde und liebenswürdige Persönlichkeit des Monarchen ist bemüht, dieselben durch offenes Hingeben an diese Coterie zu stär¬ ken — man denke an jene Rede, in der der König sich über Verleumdungen be¬ klagte — und durch Belohnungen und Decorationen — man lese das Statut des Ordens vom Fels zum Meere — an sich zu fesseln. Und doch sind sie in der größten Gefahr, in dem Volke dafür zu schwinden. Es ist kein feind¬ seliges Gefühl, kein starker Gegensatz, der sie verzehrt, sondern die bare Erschlaf¬ fung, der kleinliche nackte Egoismus, wie er in mißmuthige, gedrückte Gemüther sich einfrißt. Und wären die Freunde der Krone, welche diese Stimmung verursacht haben und unterhalten, wenigstens selbst sicher, scharf blickend und berechtigte Ver¬ treter großer Interessen, aber leider sind sie das nicht. Denn die Menschen, welche sich an den Rodomontaden der Neuen Preußischen erfreuen und in den übermüthigen Ausfällen derselben eine Stärkung ihrer politischen Empfindungen erhalten, werden bei nächster Gelegenheit, wo es gilt, der Person des Königs An¬ hänglichkeit und Treue zu beweise», in eiuer Krisis, die sie selbst herbeigeführt haben, eben so rathlos oder unbesonnen sein, wie sie im Frühjahr 1848 waren. Wem deshalb an dem Gedeihen Preußens gelegen ist„ wer das Königshaus der Ho- henzollern liebt, der soll jetzt rede», und jede andere Rücksicht bei Seite setzen. Die Gefahr, welche Preußen droht, ist nicht mehr durch Barricaden und einen Volksaufstand außer Fassung gesetzt zu werden, sondern der preußische Staat ist gegenwärtig auf dem Wege, ein viel schlimmeres Resultat zu erreichen, unnütz zu werden für seine Bürger, unnütz für die übrigen deutschen Staaten und uniM für die riesenhafte Entwickelung der Welrcultur. Wir, die wir Preußen sind und an unsrem Vaterland mit heißer Liebe hängen, sehen mit Ingrimm, wie klein der Staat Friedrich's zu werden droht. Noch liegt ein sehr großer Theil seiner pro- ductiven Kraft und seiner Capitalien in den Händen der egoistischen Partei, welche die gegenwärtige Regierung durch ihren Rath und ihren Beifall erhält; aber mit jedem Jahre ändert sich das, immer enger werden die Peripherien, in de¬ nen der Kaufmann, der Industrielle, der Maun der Wissenschaft sich bewegt, und geringer die Wichtigkeit, welche die Politik und Regierungsweise des Staates Preußen auf den Wohlstand und .das private Selbstgefühl seiner Bürger hat. - Sachsen, Hamburg, England, Amerika treten dem Einzelnen immer näher, und es bildet sich bei dem lebhaften Verkehr der Völker unter einander ein kosmopo¬ litisches Selbstgefühl des Einzelnen, bei welchem die Gefühle für das engere Va¬ terland immer mehr zu verkümmern drohen. So wird, was das Jahr '>8i>8 nicht durchsetzte, allmählich auf praktischem Wege erreicht werden, vollständige In¬ differenz und Gleichgültigkeit gegen das heimische Staatsleben, dadurch ein all¬ mähliches Hinsiechen der Lebenskraft des Staates und bei Gelegenheit eine Auf¬ lösung des alten Staatskörpers trotz Treubund und Kreuzzeitung. Dagegen giebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/228>, abgerufen am 29.04.2024.