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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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der französischen Republik und des Kaisetreiches, so wie früher französische Emi-
grantencorps sich den preußischen und östreichischen Jnvasions-Armeen gegen
Frankreich angeschlossen hatten.

Nach der großen Restauration im Jahre 18-Il waren es wieder die Mächte,
welche Polen getheilt hatten, die sich am entschiedensten der demokratischen Bewe¬
gung entgegenstellten, und die Solidarität der Interessen zwischen dem polnischen
Adel und der europäischen Demokratie dauerte demnach fort. Die französische
Julirevolution rief daher auch den polnischen Aufstand vom Jahre 1830 hervor,
der wieder jener eine sehr gelegene Diversion machte, und vielleicht eine russische
Intervention zu Gunsten der älteren Bourbonen verhinderte. "

Diese Mesalliance des polnischen Adels mit der Demokratie und der Revolu¬
tion hat zwischen ihm und seinen gewöhnlich sehr conservativen Standesgenossen in
anderen Ländern eine gewisse Kälte hervorgerufen. Dagegen verdankt er ihr
aber ein Capital an liberalen Sympathien.

Aber der polnische Adel ist auch außerdem seiner großen Mehrheit nach wirklich
demokratisch. Von Tiberius Gracchus bis aus Philipp Egalitv herab fehlt es,
wo immer gegen Adelsvorrechte gekämpft wurde, nie an Ueberläufern aus dem
patricischen ins plebejische Lager. Aber in Polen giebt es uicht blos adelige
Demokraten, sondern einen demokratischen Adel, oder vielmehr die Demokratie
selbst ist adelig, und ihre Grundsätze gehören beinahe zu den Standesvorurtheilen.

Denn die Worte Aristokratie und Demokratie haben hier einen ganz
andern Sinn als in Westeuropa. Dort handelt es sich um einen Kampf zwi¬
schen dem Erbadel und den anderen Ständen; dort kämpft die Demokratie, die
vorzüglich im Bürge.rstande ihre Wurzeln hat, zumeist gegen die politischen und
socialen Prärogative. Der- deutsche Bürgerstand steht in natürlicher Opposi¬
tion zu dem Adel, der ihm gegenüber noch immer eine Ueberlegenheit behaup¬
ten will, die dem veränderten gegenseitigen Verhältnisse nicht mehr ent¬
spricht, und eine bevorzugte Stellung factisch festzuhalten strebt, die er rechtlich
bereits verloren hat. Diese bürgerliche Opposition richtet sich aber zunächst gegen
die dem Volke am nächsten stehenden Schichten der Aristokratie, den niedern Adel.
Gerade dieser hat am wenigsten Etwas vor dem Bürger voraus, seine Ansprüche
erscheinen daher auch am wenigsten gerechtfertigt, und darum sein Stolz um so
verletzender. Dazu kommt noch, daß eben diesen Adel seine Standesvornrtheile
hindern, sich vielen nützliche" Beschäftigungen hinzugebe", so daß die zahlreichen
Verarmten und Herab gekommenen nnter ihnen alle das Staatsbrod suchen müssen.
Diese erscheinen dann dem fleißigen Bürger als eine wahre Last, und die wahre
oder vermeintliche Bevorzugung derselben im Staatsdienste wird ein> stets neues
Motiv des Hasses und der Erbitterung.

Der hohe Adel dagegen ist im Westen im Allgemeinen weit weniger unpo¬
pulär. Der Reichthum dieser Geschlechter, wie die historische" Namen, die sie


der französischen Republik und des Kaisetreiches, so wie früher französische Emi-
grantencorps sich den preußischen und östreichischen Jnvasions-Armeen gegen
Frankreich angeschlossen hatten.

Nach der großen Restauration im Jahre 18-Il waren es wieder die Mächte,
welche Polen getheilt hatten, die sich am entschiedensten der demokratischen Bewe¬
gung entgegenstellten, und die Solidarität der Interessen zwischen dem polnischen
Adel und der europäischen Demokratie dauerte demnach fort. Die französische
Julirevolution rief daher auch den polnischen Aufstand vom Jahre 1830 hervor,
der wieder jener eine sehr gelegene Diversion machte, und vielleicht eine russische
Intervention zu Gunsten der älteren Bourbonen verhinderte. "

Diese Mesalliance des polnischen Adels mit der Demokratie und der Revolu¬
tion hat zwischen ihm und seinen gewöhnlich sehr conservativen Standesgenossen in
anderen Ländern eine gewisse Kälte hervorgerufen. Dagegen verdankt er ihr
aber ein Capital an liberalen Sympathien.

Aber der polnische Adel ist auch außerdem seiner großen Mehrheit nach wirklich
demokratisch. Von Tiberius Gracchus bis aus Philipp Egalitv herab fehlt es,
wo immer gegen Adelsvorrechte gekämpft wurde, nie an Ueberläufern aus dem
patricischen ins plebejische Lager. Aber in Polen giebt es uicht blos adelige
Demokraten, sondern einen demokratischen Adel, oder vielmehr die Demokratie
selbst ist adelig, und ihre Grundsätze gehören beinahe zu den Standesvorurtheilen.

Denn die Worte Aristokratie und Demokratie haben hier einen ganz
andern Sinn als in Westeuropa. Dort handelt es sich um einen Kampf zwi¬
schen dem Erbadel und den anderen Ständen; dort kämpft die Demokratie, die
vorzüglich im Bürge.rstande ihre Wurzeln hat, zumeist gegen die politischen und
socialen Prärogative. Der- deutsche Bürgerstand steht in natürlicher Opposi¬
tion zu dem Adel, der ihm gegenüber noch immer eine Ueberlegenheit behaup¬
ten will, die dem veränderten gegenseitigen Verhältnisse nicht mehr ent¬
spricht, und eine bevorzugte Stellung factisch festzuhalten strebt, die er rechtlich
bereits verloren hat. Diese bürgerliche Opposition richtet sich aber zunächst gegen
die dem Volke am nächsten stehenden Schichten der Aristokratie, den niedern Adel.
Gerade dieser hat am wenigsten Etwas vor dem Bürger voraus, seine Ansprüche
erscheinen daher auch am wenigsten gerechtfertigt, und darum sein Stolz um so
verletzender. Dazu kommt noch, daß eben diesen Adel seine Standesvornrtheile
hindern, sich vielen nützliche» Beschäftigungen hinzugebe», so daß die zahlreichen
Verarmten und Herab gekommenen nnter ihnen alle das Staatsbrod suchen müssen.
Diese erscheinen dann dem fleißigen Bürger als eine wahre Last, und die wahre
oder vermeintliche Bevorzugung derselben im Staatsdienste wird ein> stets neues
Motiv des Hasses und der Erbitterung.

Der hohe Adel dagegen ist im Westen im Allgemeinen weit weniger unpo¬
pulär. Der Reichthum dieser Geschlechter, wie die historische« Namen, die sie


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[0230] der französischen Republik und des Kaisetreiches, so wie früher französische Emi- grantencorps sich den preußischen und östreichischen Jnvasions-Armeen gegen Frankreich angeschlossen hatten. Nach der großen Restauration im Jahre 18-Il waren es wieder die Mächte, welche Polen getheilt hatten, die sich am entschiedensten der demokratischen Bewe¬ gung entgegenstellten, und die Solidarität der Interessen zwischen dem polnischen Adel und der europäischen Demokratie dauerte demnach fort. Die französische Julirevolution rief daher auch den polnischen Aufstand vom Jahre 1830 hervor, der wieder jener eine sehr gelegene Diversion machte, und vielleicht eine russische Intervention zu Gunsten der älteren Bourbonen verhinderte. " Diese Mesalliance des polnischen Adels mit der Demokratie und der Revolu¬ tion hat zwischen ihm und seinen gewöhnlich sehr conservativen Standesgenossen in anderen Ländern eine gewisse Kälte hervorgerufen. Dagegen verdankt er ihr aber ein Capital an liberalen Sympathien. Aber der polnische Adel ist auch außerdem seiner großen Mehrheit nach wirklich demokratisch. Von Tiberius Gracchus bis aus Philipp Egalitv herab fehlt es, wo immer gegen Adelsvorrechte gekämpft wurde, nie an Ueberläufern aus dem patricischen ins plebejische Lager. Aber in Polen giebt es uicht blos adelige Demokraten, sondern einen demokratischen Adel, oder vielmehr die Demokratie selbst ist adelig, und ihre Grundsätze gehören beinahe zu den Standesvorurtheilen. Denn die Worte Aristokratie und Demokratie haben hier einen ganz andern Sinn als in Westeuropa. Dort handelt es sich um einen Kampf zwi¬ schen dem Erbadel und den anderen Ständen; dort kämpft die Demokratie, die vorzüglich im Bürge.rstande ihre Wurzeln hat, zumeist gegen die politischen und socialen Prärogative. Der- deutsche Bürgerstand steht in natürlicher Opposi¬ tion zu dem Adel, der ihm gegenüber noch immer eine Ueberlegenheit behaup¬ ten will, die dem veränderten gegenseitigen Verhältnisse nicht mehr ent¬ spricht, und eine bevorzugte Stellung factisch festzuhalten strebt, die er rechtlich bereits verloren hat. Diese bürgerliche Opposition richtet sich aber zunächst gegen die dem Volke am nächsten stehenden Schichten der Aristokratie, den niedern Adel. Gerade dieser hat am wenigsten Etwas vor dem Bürger voraus, seine Ansprüche erscheinen daher auch am wenigsten gerechtfertigt, und darum sein Stolz um so verletzender. Dazu kommt noch, daß eben diesen Adel seine Standesvornrtheile hindern, sich vielen nützliche» Beschäftigungen hinzugebe», so daß die zahlreichen Verarmten und Herab gekommenen nnter ihnen alle das Staatsbrod suchen müssen. Diese erscheinen dann dem fleißigen Bürger als eine wahre Last, und die wahre oder vermeintliche Bevorzugung derselben im Staatsdienste wird ein> stets neues Motiv des Hasses und der Erbitterung. Der hohe Adel dagegen ist im Westen im Allgemeinen weit weniger unpo¬ pulär. Der Reichthum dieser Geschlechter, wie die historische« Namen, die sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/230>, abgerufen am 02.05.2024.