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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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umstanden erwarten und wünschen könnte. Der Dichter tritt diesmal nicht als
Harlekin, sonder" als Pierrot ans; er sucht durch die grotesken Verzerrungen eines
entstellten Lcichengesichts das Publicum zu belustigen. Er spricht theils im Motto,
theils auch in den Liedern selbst von dem süß verbindenden Gemüth, von dem
für die Menschheit brechenden Herzen, von dem ausgehenden Licht seiner Seele
n. s. w., gleich darauf kommen wieder Zoten, mitunter sehr schmuzige, und dann
wieder pathetischer Knallcffect. sein eigenes altes Lied: "Dn bist gestorben und
weißt es nicht", wird mehrfach variirt, wie sich überhaupt manche. Reminiscenzen
an die früheren Lieder vorfinden, z. B. die Frage ans dem Atta Troll: Wo
habe ich doch etwas Aehnliches gerochen? Das Gedicht von der Waldeinsamkeit,
wo alle möglichen Kobolde und Alraunen sich herumtreiben, und dem Dichter
eigenthümliche Fragen vorlegen, z, B. ob seine Seele von steifer Leinwand oder
von Leder ist, erinnert theils an die "Meerfahrt" in den Reisebildern, theils auch
geradezu an die Arnim-Brentano'sche Poesie. Der Eindruck, den man von
allen diesen Phantasien mitnimmt, ist nicht erhebend, nud der Dichter schildert ihn
selber ganz richtig, wenn er sagt: "Es glotzen mich an unheimlich blöde die
Larven der Welt! Der Himmel ist öde, ein blaner Kirchhof, entgöttert und
stumm" u. f. w.

Die hebräischen Melodien sind das Beste in der Sammlung, obgleich sie
gewiß den größten Anstoß erregen werden. Die ersten Phantasien über den
großen Dichter Jehudah Ben Halevy, so wie die Untersuchungen über den Ur¬
sprung des Namens Schlemihl, sind zwar von einem Hautgout, der nnr s>^
Wenige genießbar sein wird, dagegen ist der' Wettkampf zwischen dem
Rabbi und dem Mönch, ganz abgesehen von dem Inhalt, in Beziehung
auf die Vi" ouinie,u, ein Meisterstück. Wir entdecken übrigens bei dieser
Gelegenheit in dem Dichter einige Spuren von Pietät, die uns wohlthun. M
Stillen schwärmt er eigentlich für das Judenthum, nud hat an ihm seine roman¬
tische Vorzeit, wie unsre Deutschthümler an den Hohenstaufen, wenn er sich diese
Erinnerung auch sehr bald durch Witz und Humor vom Halse zu schaffen weiß-
Der erste Theil der Rede seines jüdischen Fanatikers mit den Lobreden auf
hovcch, den concreten Gott der Rache/ ist höchst poetisch, und man wird nicht
wenig überrascht und belustigt, als der gute Rabbiner plötzlich auch toll wird.

Der große Erfolg der Gedichte war vorauszusehen, und er hat auch bis
zu einem gewissen Punkt seine Berechtigung, denn jene Poesie, die uns durch
Ideale erhebt, ist in eiuer Zeit, wo alle Gemüther verkümmert nud niederge¬
drückt sind, nicht unter einem großen Unglück, denn das stählt eine starke Seele,
sondern unter einer Masse kleiner, elender, erbärmlicher Widerwärtigkeiten, kaum
zu erwarten. Wo soll in diesem Augenblick sür den Dichter der Muth und die
Freudigkeit des Schaffens herkommen, wenn seine ganze Stimmung von jenem
Ekel inficirt ist, der sein eigenes Wesen trifft, wie das seiner Zeit, denn er. P


umstanden erwarten und wünschen könnte. Der Dichter tritt diesmal nicht als
Harlekin, sonder» als Pierrot ans; er sucht durch die grotesken Verzerrungen eines
entstellten Lcichengesichts das Publicum zu belustigen. Er spricht theils im Motto,
theils auch in den Liedern selbst von dem süß verbindenden Gemüth, von dem
für die Menschheit brechenden Herzen, von dem ausgehenden Licht seiner Seele
n. s. w., gleich darauf kommen wieder Zoten, mitunter sehr schmuzige, und dann
wieder pathetischer Knallcffect. sein eigenes altes Lied: „Dn bist gestorben und
weißt es nicht", wird mehrfach variirt, wie sich überhaupt manche. Reminiscenzen
an die früheren Lieder vorfinden, z. B. die Frage ans dem Atta Troll: Wo
habe ich doch etwas Aehnliches gerochen? Das Gedicht von der Waldeinsamkeit,
wo alle möglichen Kobolde und Alraunen sich herumtreiben, und dem Dichter
eigenthümliche Fragen vorlegen, z, B. ob seine Seele von steifer Leinwand oder
von Leder ist, erinnert theils an die „Meerfahrt" in den Reisebildern, theils auch
geradezu an die Arnim-Brentano'sche Poesie. Der Eindruck, den man von
allen diesen Phantasien mitnimmt, ist nicht erhebend, nud der Dichter schildert ihn
selber ganz richtig, wenn er sagt: „Es glotzen mich an unheimlich blöde die
Larven der Welt! Der Himmel ist öde, ein blaner Kirchhof, entgöttert und
stumm" u. f. w.

Die hebräischen Melodien sind das Beste in der Sammlung, obgleich sie
gewiß den größten Anstoß erregen werden. Die ersten Phantasien über den
großen Dichter Jehudah Ben Halevy, so wie die Untersuchungen über den Ur¬
sprung des Namens Schlemihl, sind zwar von einem Hautgout, der nnr s>^
Wenige genießbar sein wird, dagegen ist der' Wettkampf zwischen dem
Rabbi und dem Mönch, ganz abgesehen von dem Inhalt, in Beziehung
auf die Vi« ouinie,u, ein Meisterstück. Wir entdecken übrigens bei dieser
Gelegenheit in dem Dichter einige Spuren von Pietät, die uns wohlthun. M
Stillen schwärmt er eigentlich für das Judenthum, nud hat an ihm seine roman¬
tische Vorzeit, wie unsre Deutschthümler an den Hohenstaufen, wenn er sich diese
Erinnerung auch sehr bald durch Witz und Humor vom Halse zu schaffen weiß-
Der erste Theil der Rede seines jüdischen Fanatikers mit den Lobreden auf
hovcch, den concreten Gott der Rache/ ist höchst poetisch, und man wird nicht
wenig überrascht und belustigt, als der gute Rabbiner plötzlich auch toll wird.

Der große Erfolg der Gedichte war vorauszusehen, und er hat auch bis
zu einem gewissen Punkt seine Berechtigung, denn jene Poesie, die uns durch
Ideale erhebt, ist in eiuer Zeit, wo alle Gemüther verkümmert nud niederge¬
drückt sind, nicht unter einem großen Unglück, denn das stählt eine starke Seele,
sondern unter einer Masse kleiner, elender, erbärmlicher Widerwärtigkeiten, kaum
zu erwarten. Wo soll in diesem Augenblick sür den Dichter der Muth und die
Freudigkeit des Schaffens herkommen, wenn seine ganze Stimmung von jenem
Ekel inficirt ist, der sein eigenes Wesen trifft, wie das seiner Zeit, denn er. P


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/250>, abgerufen am 27.04.2024.