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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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arts kragen und die Stnartshaube nothwendig dazu gehören, wenn man sich ihre
historische Figur versinnlichen soll. Dabei ist der Kragen so kleidsam, daß man
nicht recht begreift, warum er dem modernen ausgeschnittenen Ballkleid geopfert
werden soll, noch dazu in einem Gefängniß.

Bei der Charakteristik der Maria Stuart darf ferner nicht übersehen werden,
daß sie im ersten Act noch eine andere ist, als im letzten. Sie hat die Hoffnung
der Befreiung noch keineswegs ausgegeben, sie ist noch immer geneigt, durch In¬
triguen dieselbe zu beschleunigen, und wenn sich auch der Gedanke an ihre frü¬
heren Uebelthaten wie ein schwarzer Schatten über ihre Seele breitet, so tritt
dieser Schatten doch nur dann hervor, wenn sie mit ihrer Vertrauten allein ist.
Es ist eine Sache, die sie nach ihrer Ueberzeugung allein mit' sich und mit Gott abzu¬
machen hat. Den Richterstuhl, der ihr aufgedrängt werden soll, erkennt sie nicht
Mi. Ihren Verfolgern gegenüber entwickelt sie nicht jene Resignation, zu der
sie später kommt, sondern eine kalte Verachtung, die nur darum nicht in jene
heftigen Vorwürfe übergeht, zu denen ihr Gemüth sie drängt, weil sie unter
ihrer Würde sind. Das muß im Spiel ausgedrückt werden, weniger in Einzel¬
heiten, als in der gesammten Haltung. - Allerdings finden wir sie im letzten
Act in einer ganz andern Stimmung. Diese Veränderung ist durch den Dichter
sehr weise am Schlüsse des dritten Acts vorbereitet. Das Gespräch mit der
Königin Elisabeth hat sie keineswegs niedergedrückt, es hat vielmehr ihrem Zorn
und ihrem Stolz Gelegenheit gegeben, sich endlich einem ebenbürtigen Gegner gegen¬
über mit Freiheit und Leidenschaft auszudrücken, und sie, die äußerlich Unter¬
drückte, fühlt sich als die moralische Siegerin in diesem Wettkampf. Die Demü¬
thigung erfolgt in der folgenden Scene durch Mortimer. Maria muß erkennen,
daß sie in den Augen ihres leidenschaftlichen Verehrers eigentlich noch tiefer
^steht, als in den Angen ihrer erbitterten Feindin. Die letztere entlehnt die
Vorwürfe gegen das frühere Leben der Maria nur ihrem Haß, und Maria ist
daher im Stande, sich mit dem vollen Stolz einer Königin dagegen zu erheben;
gegen den feurigen Liebhaber dagegen, der in ihr nur das Weib sieht, fruchtet
dieser Stolz nichts, und sie bricht in sich selbst zusammen durch das demüthigende
Gefühl, daß ihre Sünde auch ihre äußerliche Würde befleckt hat; ein Gefühl,
^le es nothwendig ist, um die spätere, durch die Gewißheit ihres Todes und
die kirchlichen Formen weiter entwickelte Wiedergeburt zu vermitteln. Die Dar¬
stellerin wird daher die Aufgabe haben, den Contrast zwischen diesen beiden
Stinunungeu zu versinnlichen'. Das Entsetzen, in das sie Mortimer's Frechheit
Ersetzt, kaun nicht stark genug ausgedrückt werden.

Wer übrigens in unsren Tagen noch daran zweifeln sollte, daß Schiller ein
dramatischer Dichter, und zwar ein großer dramatischer Dichter war, darf nur ein-
"nit mit unbefangener Aufmerksamkeit sich diesen dritten Act ansehen. Ich glaube
"icht zu viel zu thun, wenn ich ihn den besten Scenen Shakspeare's an die Seite


arts kragen und die Stnartshaube nothwendig dazu gehören, wenn man sich ihre
historische Figur versinnlichen soll. Dabei ist der Kragen so kleidsam, daß man
nicht recht begreift, warum er dem modernen ausgeschnittenen Ballkleid geopfert
werden soll, noch dazu in einem Gefängniß.

Bei der Charakteristik der Maria Stuart darf ferner nicht übersehen werden,
daß sie im ersten Act noch eine andere ist, als im letzten. Sie hat die Hoffnung
der Befreiung noch keineswegs ausgegeben, sie ist noch immer geneigt, durch In¬
triguen dieselbe zu beschleunigen, und wenn sich auch der Gedanke an ihre frü¬
heren Uebelthaten wie ein schwarzer Schatten über ihre Seele breitet, so tritt
dieser Schatten doch nur dann hervor, wenn sie mit ihrer Vertrauten allein ist.
Es ist eine Sache, die sie nach ihrer Ueberzeugung allein mit' sich und mit Gott abzu¬
machen hat. Den Richterstuhl, der ihr aufgedrängt werden soll, erkennt sie nicht
Mi. Ihren Verfolgern gegenüber entwickelt sie nicht jene Resignation, zu der
sie später kommt, sondern eine kalte Verachtung, die nur darum nicht in jene
heftigen Vorwürfe übergeht, zu denen ihr Gemüth sie drängt, weil sie unter
ihrer Würde sind. Das muß im Spiel ausgedrückt werden, weniger in Einzel¬
heiten, als in der gesammten Haltung. - Allerdings finden wir sie im letzten
Act in einer ganz andern Stimmung. Diese Veränderung ist durch den Dichter
sehr weise am Schlüsse des dritten Acts vorbereitet. Das Gespräch mit der
Königin Elisabeth hat sie keineswegs niedergedrückt, es hat vielmehr ihrem Zorn
und ihrem Stolz Gelegenheit gegeben, sich endlich einem ebenbürtigen Gegner gegen¬
über mit Freiheit und Leidenschaft auszudrücken, und sie, die äußerlich Unter¬
drückte, fühlt sich als die moralische Siegerin in diesem Wettkampf. Die Demü¬
thigung erfolgt in der folgenden Scene durch Mortimer. Maria muß erkennen,
daß sie in den Augen ihres leidenschaftlichen Verehrers eigentlich noch tiefer
^steht, als in den Angen ihrer erbitterten Feindin. Die letztere entlehnt die
Vorwürfe gegen das frühere Leben der Maria nur ihrem Haß, und Maria ist
daher im Stande, sich mit dem vollen Stolz einer Königin dagegen zu erheben;
gegen den feurigen Liebhaber dagegen, der in ihr nur das Weib sieht, fruchtet
dieser Stolz nichts, und sie bricht in sich selbst zusammen durch das demüthigende
Gefühl, daß ihre Sünde auch ihre äußerliche Würde befleckt hat; ein Gefühl,
^le es nothwendig ist, um die spätere, durch die Gewißheit ihres Todes und
die kirchlichen Formen weiter entwickelte Wiedergeburt zu vermitteln. Die Dar¬
stellerin wird daher die Aufgabe haben, den Contrast zwischen diesen beiden
Stinunungeu zu versinnlichen'. Das Entsetzen, in das sie Mortimer's Frechheit
Ersetzt, kaun nicht stark genug ausgedrückt werden.

Wer übrigens in unsren Tagen noch daran zweifeln sollte, daß Schiller ein
dramatischer Dichter, und zwar ein großer dramatischer Dichter war, darf nur ein-
"nit mit unbefangener Aufmerksamkeit sich diesen dritten Act ansehen. Ich glaube
"icht zu viel zu thun, wenn ich ihn den besten Scenen Shakspeare's an die Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/345>, abgerufen am 07.05.2024.