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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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sprüche zwischen der natürlichen und offenbarten Wahrheit dadurch ausgeglichen,
daß eine doppelte Weltordnung angenommen wird, eine geistige und eine irdische.
In der ersten hat z. B. das Gebet eine eben so unmittelbare Wirkung, wie in
der physischen Weltordnung z. B. die Elektricität; es hört in ihr alle Zeit auf,
und daher ist das Prvphetenthnm etwas ganz Natürliches. Das alles wird nicht
etwa mit einem mystischen Schwung, sondern mit kalter dialektischer Sophistik
auseinandergesetzt, und wenn zum Schluß sogar behauptet wird, daß alle Wissen¬
schaften mit Mysterien anfangen, und daß der Aberglaube ein kühner Vorposten
der Religion sei, so machen auch diese Blasphemie" uicht den Eindruck des Fana¬
tismus, sondern des klügelnden Raisonnements, das sich in Paradoxen gefällt.

Zuletzt kommt der Vertheidiger der Religion immer auf ihre politische Be¬
deutung zurück. Den Priestern wird nachgesagt, daß sie die besten Staatsmänner
seien, weil sie in ihrer Hierarchie an Disciplin gewöhnt wären, und den Königen
wird anempföhle", ihre Autorität unter den Schirm der höchsten Autorität zu
stellen, des Statthalters Gottes.

In unsren Tagen hat Dono so Co rtes in einer durch ganz Europa verbrei¬
teten Denkschrift ähnliche Grundsätze ausgesprochen, und das Organ der preußi¬
schen Negierung war so gefällig, diese Ansichten allen ihren Anhängern als Richt¬
schnur ihres Denkens und Handelns zu empfehlen. Später wurde sie freilich
über ihre eigene Kühnheit etwas betroffen und meinte, was der ehremverthe
spanische Gesandte vom Katholicismus behauptet hätte, gelte ja vom Christenthum
überhaupt. Dem ist aber nicht so. Die modernen Restauratoren, die zu schwach
sind, auf eigenen Füßen zu stehen, wissen sehr wohl, was sie sagen, wenn sie jenes
System, das sich vom Papst herunter bis zum kleinsten Mönch mit gleich eiser¬
ner Festigkeit ausdehnt, das mit der Allwissenheit und Unfehlbarkeit des Ober¬
haupts der Kirche anfängt und das mit der vollständigen Ertödtung des natür¬
lichen Gewissens und des autonomen Denkens im Laien endigt, wieder in Kraft
zu setzen streben. Freilich ist an einen allgemeinen Sieg des modernen Jesuitismus
nicht zu denken, aber er kann doch viel Unheil stiften. Bei unsrer philosophische"
Nonchalance pflegen wir unsre Stärke gern in der Nichtachtung unsres Gegners
zu suchen. Wenn Einer oder der Andere unter uus uicht mehr an die Trans-
substantiation glaubt, bilden wir uns ein, die katholische Kirche existire überhaupt
nicht mehr, während sie gerade hinter den Bergen eine höchst respectable syste¬
matische Energie entwickelt. Sie ist auch uicht durch einen äußerlichen Kampf
zu überwinde", sonder" nur dadurch, daß mau ihre Handhaben vernichtet, die
Feigheit und Gedankenlosigkeit des Volks.




sprüche zwischen der natürlichen und offenbarten Wahrheit dadurch ausgeglichen,
daß eine doppelte Weltordnung angenommen wird, eine geistige und eine irdische.
In der ersten hat z. B. das Gebet eine eben so unmittelbare Wirkung, wie in
der physischen Weltordnung z. B. die Elektricität; es hört in ihr alle Zeit auf,
und daher ist das Prvphetenthnm etwas ganz Natürliches. Das alles wird nicht
etwa mit einem mystischen Schwung, sondern mit kalter dialektischer Sophistik
auseinandergesetzt, und wenn zum Schluß sogar behauptet wird, daß alle Wissen¬
schaften mit Mysterien anfangen, und daß der Aberglaube ein kühner Vorposten
der Religion sei, so machen auch diese Blasphemie» uicht den Eindruck des Fana¬
tismus, sondern des klügelnden Raisonnements, das sich in Paradoxen gefällt.

Zuletzt kommt der Vertheidiger der Religion immer auf ihre politische Be¬
deutung zurück. Den Priestern wird nachgesagt, daß sie die besten Staatsmänner
seien, weil sie in ihrer Hierarchie an Disciplin gewöhnt wären, und den Königen
wird anempföhle», ihre Autorität unter den Schirm der höchsten Autorität zu
stellen, des Statthalters Gottes.

In unsren Tagen hat Dono so Co rtes in einer durch ganz Europa verbrei¬
teten Denkschrift ähnliche Grundsätze ausgesprochen, und das Organ der preußi¬
schen Negierung war so gefällig, diese Ansichten allen ihren Anhängern als Richt¬
schnur ihres Denkens und Handelns zu empfehlen. Später wurde sie freilich
über ihre eigene Kühnheit etwas betroffen und meinte, was der ehremverthe
spanische Gesandte vom Katholicismus behauptet hätte, gelte ja vom Christenthum
überhaupt. Dem ist aber nicht so. Die modernen Restauratoren, die zu schwach
sind, auf eigenen Füßen zu stehen, wissen sehr wohl, was sie sagen, wenn sie jenes
System, das sich vom Papst herunter bis zum kleinsten Mönch mit gleich eiser¬
ner Festigkeit ausdehnt, das mit der Allwissenheit und Unfehlbarkeit des Ober¬
haupts der Kirche anfängt und das mit der vollständigen Ertödtung des natür¬
lichen Gewissens und des autonomen Denkens im Laien endigt, wieder in Kraft
zu setzen streben. Freilich ist an einen allgemeinen Sieg des modernen Jesuitismus
nicht zu denken, aber er kann doch viel Unheil stiften. Bei unsrer philosophische»
Nonchalance pflegen wir unsre Stärke gern in der Nichtachtung unsres Gegners
zu suchen. Wenn Einer oder der Andere unter uus uicht mehr an die Trans-
substantiation glaubt, bilden wir uns ein, die katholische Kirche existire überhaupt
nicht mehr, während sie gerade hinter den Bergen eine höchst respectable syste¬
matische Energie entwickelt. Sie ist auch uicht durch einen äußerlichen Kampf
zu überwinde», sonder» nur dadurch, daß mau ihre Handhaben vernichtet, die
Feigheit und Gedankenlosigkeit des Volks.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/358>, abgerufen am 06.05.2024.