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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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schieferbekleideteu Häusern eingefaßten Straßen betreten -- der heitere Eindruck
wird nicht sobald verschwinden, wenigstens so lange wir nicht von den Haupt¬
straßen und Plätzen abhangen, wo zahlreiche Läden und Geschäftslocale, reiche
und schöne Schaufenster, Fabriken und Wohngebäude, die zwar meist nicht schön
sind, doch eine bedeutende Wohlhabenheit zeigen, während ein blauer Himmel
über uns lacht. Das Letztere ist freilich ein seltenes Geschenk, denn der Wup-
pcrthaler erkauft die Reize seiner Natur und die ihm viel wichtigeren Wasser¬
kräfte für seine Industrie mit einer unglaublichen Fülle schlechten Wetters. Nicht
daß das Klima rauh und der Gesundheit im Allgemeinen unzuträglich wäre, aber
selbst der Bewohner des bergischen Landes rechnet keine sechzig Tage heitern
Himmels auf dreihundert und mehr, an welchen Nebel und strömender Regen
den Nichtiudustriellen oft zum Verzagen bringen.

Anders freilich gestaltet sich der Eindruck, wen" wir bei wiederholter Durch¬
musterung auch die Gassen und Gäßchen nicht meiden. Ein Gang über "die
Gale" oder nach "dem Island" hinauf, mit ihre" schlechten Häusern und Hütten,
ihrem Schmuz und ihrer dichten Bevölkerung, wo arbeitsame Noth bis ein¬
schließlich des Lasters ihre Zuflucht suchen, lassen ans den ersten Blick keinen
Zweifel, wo wir uns befinden. Ja es dürfte wenige Orte geben, wo der Gegen¬
satz von Reich und Arm, Herr und Knecht greller und oft peinlicher uns entge¬
genträte. Er ist das stille und laute Ach und Weh der Bewohner dieser Städte;
er ist der berühmte rothe Faden, der durch das innere Leben ihrer Gemeinwesen
hinzieht; er ist der böse Geist, den man nicht den Muth hat zu beschwören, weil
man uicht die Kraft besitzt, ihn zu bannen. Ein Blick auf die Entstehung
der beiden Orte und drd Elemente ihrer Bevölkerung giebt die Erklärung an
die Hand, und offenbart zugleich, wie die Summe des Eigenthümlichen, welche
"das Thal" und seine Bewohner charakterisier, bereits in ihren ersten Anfängen
beschlossen lag.

Die Unduldsamkeit der benachbarten katholischen Fürsten und Gemeinwesen
brachte die ersten betriebsamen Ansiedler in das Thal; die Stille des Thales, der
Schutz klugerer und besserer Fürsten lockte neue Ansiedler, reizte ihren Thätig-
keitstrieb, schuf ihrem Bemühen Gedeihen, und förderte ebenmäßig den mit der
sitzenden Beschäftigung des Webers verknüpften Hang zum beschaulichen Leben -
Quelle ihres Wehes und ihres Wohles. Es scheint in der That ganz natürlich,
daß auf lauge hin gewinnbringende Betriebsamkeit des äußern Lebens und eine
tiefere Religiosität in wohlthätigst einander fördernder Wechselwirkung ihre
Elitwickelung gerade hier habe" finden müssen, und dem aufmerksamen Betrachter
wird nicht entgehen, daß auch jetzt noch die Gnmdzüge dieses Wesens wenigstens
in einzelnen Fällen vorliegen. Aber der stille, beschauliche Sinn des Arbeiters,
der ihm Segen brachte, und der dem Arbeitgeber noch lieb war, weil er selbst
ihn noch gekannt, er wurde dem Fabrikherrn allmählich lediglich ein Mittel z"M


schieferbekleideteu Häusern eingefaßten Straßen betreten — der heitere Eindruck
wird nicht sobald verschwinden, wenigstens so lange wir nicht von den Haupt¬
straßen und Plätzen abhangen, wo zahlreiche Läden und Geschäftslocale, reiche
und schöne Schaufenster, Fabriken und Wohngebäude, die zwar meist nicht schön
sind, doch eine bedeutende Wohlhabenheit zeigen, während ein blauer Himmel
über uns lacht. Das Letztere ist freilich ein seltenes Geschenk, denn der Wup-
pcrthaler erkauft die Reize seiner Natur und die ihm viel wichtigeren Wasser¬
kräfte für seine Industrie mit einer unglaublichen Fülle schlechten Wetters. Nicht
daß das Klima rauh und der Gesundheit im Allgemeinen unzuträglich wäre, aber
selbst der Bewohner des bergischen Landes rechnet keine sechzig Tage heitern
Himmels auf dreihundert und mehr, an welchen Nebel und strömender Regen
den Nichtiudustriellen oft zum Verzagen bringen.

Anders freilich gestaltet sich der Eindruck, wen» wir bei wiederholter Durch¬
musterung auch die Gassen und Gäßchen nicht meiden. Ein Gang über „die
Gale" oder nach „dem Island" hinauf, mit ihre» schlechten Häusern und Hütten,
ihrem Schmuz und ihrer dichten Bevölkerung, wo arbeitsame Noth bis ein¬
schließlich des Lasters ihre Zuflucht suchen, lassen ans den ersten Blick keinen
Zweifel, wo wir uns befinden. Ja es dürfte wenige Orte geben, wo der Gegen¬
satz von Reich und Arm, Herr und Knecht greller und oft peinlicher uns entge¬
genträte. Er ist das stille und laute Ach und Weh der Bewohner dieser Städte;
er ist der berühmte rothe Faden, der durch das innere Leben ihrer Gemeinwesen
hinzieht; er ist der böse Geist, den man nicht den Muth hat zu beschwören, weil
man uicht die Kraft besitzt, ihn zu bannen. Ein Blick auf die Entstehung
der beiden Orte und drd Elemente ihrer Bevölkerung giebt die Erklärung an
die Hand, und offenbart zugleich, wie die Summe des Eigenthümlichen, welche
„das Thal" und seine Bewohner charakterisier, bereits in ihren ersten Anfängen
beschlossen lag.

Die Unduldsamkeit der benachbarten katholischen Fürsten und Gemeinwesen
brachte die ersten betriebsamen Ansiedler in das Thal; die Stille des Thales, der
Schutz klugerer und besserer Fürsten lockte neue Ansiedler, reizte ihren Thätig-
keitstrieb, schuf ihrem Bemühen Gedeihen, und förderte ebenmäßig den mit der
sitzenden Beschäftigung des Webers verknüpften Hang zum beschaulichen Leben -
Quelle ihres Wehes und ihres Wohles. Es scheint in der That ganz natürlich,
daß auf lauge hin gewinnbringende Betriebsamkeit des äußern Lebens und eine
tiefere Religiosität in wohlthätigst einander fördernder Wechselwirkung ihre
Elitwickelung gerade hier habe» finden müssen, und dem aufmerksamen Betrachter
wird nicht entgehen, daß auch jetzt noch die Gnmdzüge dieses Wesens wenigstens
in einzelnen Fällen vorliegen. Aber der stille, beschauliche Sinn des Arbeiters,
der ihm Segen brachte, und der dem Arbeitgeber noch lieb war, weil er selbst
ihn noch gekannt, er wurde dem Fabrikherrn allmählich lediglich ein Mittel z»M


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[0366] schieferbekleideteu Häusern eingefaßten Straßen betreten — der heitere Eindruck wird nicht sobald verschwinden, wenigstens so lange wir nicht von den Haupt¬ straßen und Plätzen abhangen, wo zahlreiche Läden und Geschäftslocale, reiche und schöne Schaufenster, Fabriken und Wohngebäude, die zwar meist nicht schön sind, doch eine bedeutende Wohlhabenheit zeigen, während ein blauer Himmel über uns lacht. Das Letztere ist freilich ein seltenes Geschenk, denn der Wup- pcrthaler erkauft die Reize seiner Natur und die ihm viel wichtigeren Wasser¬ kräfte für seine Industrie mit einer unglaublichen Fülle schlechten Wetters. Nicht daß das Klima rauh und der Gesundheit im Allgemeinen unzuträglich wäre, aber selbst der Bewohner des bergischen Landes rechnet keine sechzig Tage heitern Himmels auf dreihundert und mehr, an welchen Nebel und strömender Regen den Nichtiudustriellen oft zum Verzagen bringen. Anders freilich gestaltet sich der Eindruck, wen» wir bei wiederholter Durch¬ musterung auch die Gassen und Gäßchen nicht meiden. Ein Gang über „die Gale" oder nach „dem Island" hinauf, mit ihre» schlechten Häusern und Hütten, ihrem Schmuz und ihrer dichten Bevölkerung, wo arbeitsame Noth bis ein¬ schließlich des Lasters ihre Zuflucht suchen, lassen ans den ersten Blick keinen Zweifel, wo wir uns befinden. Ja es dürfte wenige Orte geben, wo der Gegen¬ satz von Reich und Arm, Herr und Knecht greller und oft peinlicher uns entge¬ genträte. Er ist das stille und laute Ach und Weh der Bewohner dieser Städte; er ist der berühmte rothe Faden, der durch das innere Leben ihrer Gemeinwesen hinzieht; er ist der böse Geist, den man nicht den Muth hat zu beschwören, weil man uicht die Kraft besitzt, ihn zu bannen. Ein Blick auf die Entstehung der beiden Orte und drd Elemente ihrer Bevölkerung giebt die Erklärung an die Hand, und offenbart zugleich, wie die Summe des Eigenthümlichen, welche „das Thal" und seine Bewohner charakterisier, bereits in ihren ersten Anfängen beschlossen lag. Die Unduldsamkeit der benachbarten katholischen Fürsten und Gemeinwesen brachte die ersten betriebsamen Ansiedler in das Thal; die Stille des Thales, der Schutz klugerer und besserer Fürsten lockte neue Ansiedler, reizte ihren Thätig- keitstrieb, schuf ihrem Bemühen Gedeihen, und förderte ebenmäßig den mit der sitzenden Beschäftigung des Webers verknüpften Hang zum beschaulichen Leben - Quelle ihres Wehes und ihres Wohles. Es scheint in der That ganz natürlich, daß auf lauge hin gewinnbringende Betriebsamkeit des äußern Lebens und eine tiefere Religiosität in wohlthätigst einander fördernder Wechselwirkung ihre Elitwickelung gerade hier habe» finden müssen, und dem aufmerksamen Betrachter wird nicht entgehen, daß auch jetzt noch die Gnmdzüge dieses Wesens wenigstens in einzelnen Fällen vorliegen. Aber der stille, beschauliche Sinn des Arbeiters, der ihm Segen brachte, und der dem Arbeitgeber noch lieb war, weil er selbst ihn noch gekannt, er wurde dem Fabrikherrn allmählich lediglich ein Mittel z»M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/366>, abgerufen am 08.05.2024.