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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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war von Svnnleithner nach einem französischen Text bearbeitet, der von Gavanx
componirt war, wie auch ein italienischer Text zu der damals sehr beliebten Com-
position von Paer Veranlassung gegeben hatte), war durchaus ungünstig ausge¬
fallen. Der Herausgeber theilt uns eine Recension mit, die uns jetzt sehr komisch
vorkommen muß. So ließ sich Beethoven zu bedeutenden Abkürzungen bewegen,
und so ging Leonore zum zweiten Mal über die Bühne, in der Bearbeitung,
welche uns jetzt vorgelegt wird. Die dritte Bearbeitung, in welcher die Oper
den Namen Fidclio erhielt, ist erst aus dem Jahre -1814.

Es fragt sich, ob aus jener Erkenntniß, daß Beethoven gegen sein eigenes
früheres Werk in manchen Fällen zu hart verfahre" ist, nicht auch ein praktischer
Nutzen gezogen werden kann. Jedenfalls sollten es sich die größeren Concerte
angelegen sein lassen, sowol die ausgelassenen Plöner, als die vollständig umge¬
arbeiteten dem Publicum vorzuführen. Allein anch bei der Aufführung der Oper
dürfte mau bei der allgemeinen Pietät gegen Beethoven jetzt wenigstens den
Versuch wagen, Einzelnes zu restauriren, und wir erlauben nus in dieser Bezie-
hung einige Andeutungen.

Die erste Bearbeitung war in drei Acten; der zweite Act begann mit dein
Marsch und mit Pizarro's Eintritt. Diese Eintheilung jetzt wieder herzustellen,
ist aus dramatischen Gründen unthunlich. Die blos idyllischen Scenen des erste"
Acts geben zu wenig Inhalt. Von der ersten Arie der Marcelinc liegen zwei
abweichende ältere Bearbeitungen vor, von denen die erste gleich zu Anfang in
(5 alni' gehalten ist. Wir geben der drittteu Bearbeitung den Vorzug, obgleich
namentlich in der zweiten die Begleitung einzelne sehr interessante Wendungen
enthält. Das Duett zwischen Marceliue nud Jacqniuo bleibt, dann folgt in der
ältern Ausgabe ein Terzett zwischen Rocco, Marceliue und Jacguiuo, ein sei^
schönes Musikstück, dessen Auslassung wir aber doch billigen müssen, da es -die
Handlung zu sehr aufhält. Das Uebrige bleibt bis zur großen Arie der Leo"ore>
Diese finden wir in der ältern Bearbeitung viel schöner. In der neuen Bew'
heilung hat Leonore das Gespräch zwischen Pizarro und Rocco belauscht, "'^
beginnt mit einer wildeu Leidenschaftlichkeit, die zu einer so lebhaften Abwechselnd
von Bildern und Empftndnngcn führt, daß wir den leitenden Faden vollständig
verlieren. Die Introduction der ältern Aufgabe ist einfacher und entspricht viel
besser dem Grundton der Stimmung. Schon ans dem Text kann man da^
schließen: "Ach, brich noch nicht, dn mattes Herz, du hast in Schreckenstagen
mit jedem Schlag ja neuen Schmerz und bange Angst ertragen." Diese Wi'rde
stimmen viel besser zu den folgenden: "Komm, Hoffnung" u. s. w., als die
heftige" Ausbrüche der neuen Bearbeitung. Um diese Stimmung aber einzuleiten,
muß ein vorhergehendes Duett zwischen Leonore und Marceliue wieder eingeschalte
werden, was es nicht blos seiner musikalischen Schönheit wegen verdient, sondern
auch weil es uns die Empfindungen LeouvreuS klarer zurechtlegt. In der Ar^


war von Svnnleithner nach einem französischen Text bearbeitet, der von Gavanx
componirt war, wie auch ein italienischer Text zu der damals sehr beliebten Com-
position von Paer Veranlassung gegeben hatte), war durchaus ungünstig ausge¬
fallen. Der Herausgeber theilt uns eine Recension mit, die uns jetzt sehr komisch
vorkommen muß. So ließ sich Beethoven zu bedeutenden Abkürzungen bewegen,
und so ging Leonore zum zweiten Mal über die Bühne, in der Bearbeitung,
welche uns jetzt vorgelegt wird. Die dritte Bearbeitung, in welcher die Oper
den Namen Fidclio erhielt, ist erst aus dem Jahre -1814.

Es fragt sich, ob aus jener Erkenntniß, daß Beethoven gegen sein eigenes
früheres Werk in manchen Fällen zu hart verfahre» ist, nicht auch ein praktischer
Nutzen gezogen werden kann. Jedenfalls sollten es sich die größeren Concerte
angelegen sein lassen, sowol die ausgelassenen Plöner, als die vollständig umge¬
arbeiteten dem Publicum vorzuführen. Allein anch bei der Aufführung der Oper
dürfte mau bei der allgemeinen Pietät gegen Beethoven jetzt wenigstens den
Versuch wagen, Einzelnes zu restauriren, und wir erlauben nus in dieser Bezie-
hung einige Andeutungen.

Die erste Bearbeitung war in drei Acten; der zweite Act begann mit dein
Marsch und mit Pizarro's Eintritt. Diese Eintheilung jetzt wieder herzustellen,
ist aus dramatischen Gründen unthunlich. Die blos idyllischen Scenen des erste»
Acts geben zu wenig Inhalt. Von der ersten Arie der Marcelinc liegen zwei
abweichende ältere Bearbeitungen vor, von denen die erste gleich zu Anfang in
(5 alni' gehalten ist. Wir geben der drittteu Bearbeitung den Vorzug, obgleich
namentlich in der zweiten die Begleitung einzelne sehr interessante Wendungen
enthält. Das Duett zwischen Marceliue nud Jacqniuo bleibt, dann folgt in der
ältern Ausgabe ein Terzett zwischen Rocco, Marceliue und Jacguiuo, ein sei^
schönes Musikstück, dessen Auslassung wir aber doch billigen müssen, da es -die
Handlung zu sehr aufhält. Das Uebrige bleibt bis zur großen Arie der Leo»ore>
Diese finden wir in der ältern Bearbeitung viel schöner. In der neuen Bew'
heilung hat Leonore das Gespräch zwischen Pizarro und Rocco belauscht, "'^
beginnt mit einer wildeu Leidenschaftlichkeit, die zu einer so lebhaften Abwechselnd
von Bildern und Empftndnngcn führt, daß wir den leitenden Faden vollständig
verlieren. Die Introduction der ältern Aufgabe ist einfacher und entspricht viel
besser dem Grundton der Stimmung. Schon ans dem Text kann man da^
schließen: „Ach, brich noch nicht, dn mattes Herz, du hast in Schreckenstagen
mit jedem Schlag ja neuen Schmerz und bange Angst ertragen." Diese Wi'rde
stimmen viel besser zu den folgenden: „Komm, Hoffnung" u. s. w., als die
heftige» Ausbrüche der neuen Bearbeitung. Um diese Stimmung aber einzuleiten,
muß ein vorhergehendes Duett zwischen Leonore und Marceliue wieder eingeschalte
werden, was es nicht blos seiner musikalischen Schönheit wegen verdient, sondern
auch weil es uns die Empfindungen LeouvreuS klarer zurechtlegt. In der Ar^


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[0396] war von Svnnleithner nach einem französischen Text bearbeitet, der von Gavanx componirt war, wie auch ein italienischer Text zu der damals sehr beliebten Com- position von Paer Veranlassung gegeben hatte), war durchaus ungünstig ausge¬ fallen. Der Herausgeber theilt uns eine Recension mit, die uns jetzt sehr komisch vorkommen muß. So ließ sich Beethoven zu bedeutenden Abkürzungen bewegen, und so ging Leonore zum zweiten Mal über die Bühne, in der Bearbeitung, welche uns jetzt vorgelegt wird. Die dritte Bearbeitung, in welcher die Oper den Namen Fidclio erhielt, ist erst aus dem Jahre -1814. Es fragt sich, ob aus jener Erkenntniß, daß Beethoven gegen sein eigenes früheres Werk in manchen Fällen zu hart verfahre» ist, nicht auch ein praktischer Nutzen gezogen werden kann. Jedenfalls sollten es sich die größeren Concerte angelegen sein lassen, sowol die ausgelassenen Plöner, als die vollständig umge¬ arbeiteten dem Publicum vorzuführen. Allein anch bei der Aufführung der Oper dürfte mau bei der allgemeinen Pietät gegen Beethoven jetzt wenigstens den Versuch wagen, Einzelnes zu restauriren, und wir erlauben nus in dieser Bezie- hung einige Andeutungen. Die erste Bearbeitung war in drei Acten; der zweite Act begann mit dein Marsch und mit Pizarro's Eintritt. Diese Eintheilung jetzt wieder herzustellen, ist aus dramatischen Gründen unthunlich. Die blos idyllischen Scenen des erste» Acts geben zu wenig Inhalt. Von der ersten Arie der Marcelinc liegen zwei abweichende ältere Bearbeitungen vor, von denen die erste gleich zu Anfang in (5 alni' gehalten ist. Wir geben der drittteu Bearbeitung den Vorzug, obgleich namentlich in der zweiten die Begleitung einzelne sehr interessante Wendungen enthält. Das Duett zwischen Marceliue nud Jacqniuo bleibt, dann folgt in der ältern Ausgabe ein Terzett zwischen Rocco, Marceliue und Jacguiuo, ein sei^ schönes Musikstück, dessen Auslassung wir aber doch billigen müssen, da es -die Handlung zu sehr aufhält. Das Uebrige bleibt bis zur großen Arie der Leo»ore> Diese finden wir in der ältern Bearbeitung viel schöner. In der neuen Bew' heilung hat Leonore das Gespräch zwischen Pizarro und Rocco belauscht, "'^ beginnt mit einer wildeu Leidenschaftlichkeit, die zu einer so lebhaften Abwechselnd von Bildern und Empftndnngcn führt, daß wir den leitenden Faden vollständig verlieren. Die Introduction der ältern Aufgabe ist einfacher und entspricht viel besser dem Grundton der Stimmung. Schon ans dem Text kann man da^ schließen: „Ach, brich noch nicht, dn mattes Herz, du hast in Schreckenstagen mit jedem Schlag ja neuen Schmerz und bange Angst ertragen." Diese Wi'rde stimmen viel besser zu den folgenden: „Komm, Hoffnung" u. s. w., als die heftige» Ausbrüche der neuen Bearbeitung. Um diese Stimmung aber einzuleiten, muß ein vorhergehendes Duett zwischen Leonore und Marceliue wieder eingeschalte werden, was es nicht blos seiner musikalischen Schönheit wegen verdient, sondern auch weil es uns die Empfindungen LeouvreuS klarer zurechtlegt. In der Ar^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/396>, abgerufen am 05.05.2024.