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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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und einen Theil der Tagespreise einen auffallenden Mangel von Entschiedenheit
zeigte, nicht bei den Blättern, welche gewohnt sind, sich über jeden Gebrauch der
cxecutiveu Gewalt um so mehr zu freuen, je kräftiger er ist, sondern bei unab¬
hängigen Zeitungen, welche sogar zum kleinen Theil geneigt schienen, das gut zu
heißen, was für uus nützlich werden konnte.

Selten hat es eine politische That gegeben, welche dreister gegen das Gesetz
ausgeübt wurde, selten einen Thäter, welcher so sehr durch nackte Selbstsucht
geleitet wurde. Diese traurige Wahrheit kann von keiner Partei geläugnet
werden, auch von Denen nicht, welche es loben, so oft in einem Theile der Erde
ein der Regierung unbequemes Gesetz durch Gewaltmaßregeln beseitigt wird.
Denn Nichts, was seit deu letzten Jahren irgendwo in Europa geschehen ist,
läßt sich mit dieser That vergleichen. Auch bei den größten Willkürmaßregeln
anderer Regierungen waren die Motive der Thaten andere, und war die Stellung
der souveraine, welche solche Maßregeln sanctionwen, eine andere. Diese hielten
dem geschriebenen Gesetz ein anderes, nach ihrer Ueberzeugung höheres und älteres,
die Legitimität ihrer eigenen Gewalt entgegen; sie fußten aus dem, was ihnen ihr
eigenes historisches Recht erschien, auf ihrer Majestät, welcher der Staat und
das Volk seit der Väter Zeit als Domaine angehört. Und wenn die Opposition
dieses Recht der Regierungen in den Kammern und durch die Presse bestritt, so
kämpften zwar überall zwei scharf entgegenstehende Absichten von der Stellung
der Völker zu ihren Fürsten gegen einander, aber auch die leidenschaftlichste
Opposition war immer noch in der Lage, in den gewaltthätigen Handlungen der
Regierungspartei eine, wenn auch getrübte, sittliche Anschauung zu achten. Der
unglückliche Mann Louis Bnonapartc jedoch hat sich zum Usurpator Frankreichs
gemacht, hat die Verfassung gebrochen, die Nationalversammlung mit Bayonnetten
auseinandergetrieben, gegen zweihundert Volksvertreter, darunter die größten
Talente Frankreichs, ins Gefängniß gesetzt, und die erste Veranlassung zu
erbittertem Straßenkampfe und einer Niedermetzelung von vielen hundert
Menschen gegeben. Mit welchem Recht? und zu welchem Zweck? Welche Tradition
von legitimem souverainen Herrscherrecht kann ihn entschuldigen? Er ist eine
Creatur des Volkes, durch Wahlzettel zur Präsidentschaft gelangt, durch Wahl¬
zettel und durch dasselbe von ihm beschworen" Gesetz, das er jetzt mit Blut und
Kartätschen vernichtet hat. Er hat seine Macht ans Grund eines Contractes
erhalten, und hat diesen Contract gebrochen. Er ist nach' dem Wortlaut des
Gesetzes ein einfacher Hochverräther und Verbrecher an Frankreich.

Aber das Gesetz, gegen welches er sich aufgelehnt hat, soll ein schlechtes
Gesetz gewesen sein; die Fractionen der Nationalversammlung gebrauchten dieses
Gesetz ihm gegenüber nur als einen Schild für ihre egoistischen Interessen und für
Gelüste, welche eben so ungesetzlich und wol noch abenteuerlicher waren, als die
seinen, und eine große Anzahl verständiger und patriotischer Franzosen hielt dieses


und einen Theil der Tagespreise einen auffallenden Mangel von Entschiedenheit
zeigte, nicht bei den Blättern, welche gewohnt sind, sich über jeden Gebrauch der
cxecutiveu Gewalt um so mehr zu freuen, je kräftiger er ist, sondern bei unab¬
hängigen Zeitungen, welche sogar zum kleinen Theil geneigt schienen, das gut zu
heißen, was für uus nützlich werden konnte.

Selten hat es eine politische That gegeben, welche dreister gegen das Gesetz
ausgeübt wurde, selten einen Thäter, welcher so sehr durch nackte Selbstsucht
geleitet wurde. Diese traurige Wahrheit kann von keiner Partei geläugnet
werden, auch von Denen nicht, welche es loben, so oft in einem Theile der Erde
ein der Regierung unbequemes Gesetz durch Gewaltmaßregeln beseitigt wird.
Denn Nichts, was seit deu letzten Jahren irgendwo in Europa geschehen ist,
läßt sich mit dieser That vergleichen. Auch bei den größten Willkürmaßregeln
anderer Regierungen waren die Motive der Thaten andere, und war die Stellung
der souveraine, welche solche Maßregeln sanctionwen, eine andere. Diese hielten
dem geschriebenen Gesetz ein anderes, nach ihrer Ueberzeugung höheres und älteres,
die Legitimität ihrer eigenen Gewalt entgegen; sie fußten aus dem, was ihnen ihr
eigenes historisches Recht erschien, auf ihrer Majestät, welcher der Staat und
das Volk seit der Väter Zeit als Domaine angehört. Und wenn die Opposition
dieses Recht der Regierungen in den Kammern und durch die Presse bestritt, so
kämpften zwar überall zwei scharf entgegenstehende Absichten von der Stellung
der Völker zu ihren Fürsten gegen einander, aber auch die leidenschaftlichste
Opposition war immer noch in der Lage, in den gewaltthätigen Handlungen der
Regierungspartei eine, wenn auch getrübte, sittliche Anschauung zu achten. Der
unglückliche Mann Louis Bnonapartc jedoch hat sich zum Usurpator Frankreichs
gemacht, hat die Verfassung gebrochen, die Nationalversammlung mit Bayonnetten
auseinandergetrieben, gegen zweihundert Volksvertreter, darunter die größten
Talente Frankreichs, ins Gefängniß gesetzt, und die erste Veranlassung zu
erbittertem Straßenkampfe und einer Niedermetzelung von vielen hundert
Menschen gegeben. Mit welchem Recht? und zu welchem Zweck? Welche Tradition
von legitimem souverainen Herrscherrecht kann ihn entschuldigen? Er ist eine
Creatur des Volkes, durch Wahlzettel zur Präsidentschaft gelangt, durch Wahl¬
zettel und durch dasselbe von ihm beschworen« Gesetz, das er jetzt mit Blut und
Kartätschen vernichtet hat. Er hat seine Macht ans Grund eines Contractes
erhalten, und hat diesen Contract gebrochen. Er ist nach' dem Wortlaut des
Gesetzes ein einfacher Hochverräther und Verbrecher an Frankreich.

Aber das Gesetz, gegen welches er sich aufgelehnt hat, soll ein schlechtes
Gesetz gewesen sein; die Fractionen der Nationalversammlung gebrauchten dieses
Gesetz ihm gegenüber nur als einen Schild für ihre egoistischen Interessen und für
Gelüste, welche eben so ungesetzlich und wol noch abenteuerlicher waren, als die
seinen, und eine große Anzahl verständiger und patriotischer Franzosen hielt dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/432>, abgerufen am 27.04.2024.