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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Rentiert bis zu dem lustrestrahleudeu Salon des Ministers bestehen, thun nichts
zur Sache; das Wesen ist dasselbe. ES kommt überall auf die Gesellschaft und
die Geselligkeit an, und die Franzosen beweisen dies ans eine unwiderlegbare
Weise dadurch, daß sie in der Regel die Gewohnheit haben, gar Nichts, oder
höchstens Thee und Zuckerwasser zu serviren, auch wenn man bis nach Mitternacht
beisammen bleibt. In der Pariser Gesellschaft findet man nur geistige Nahrung,
und das Spiel ist in die Salons der Bourgeoisie verbannt, oder wird blos alten
Herren nachgesehen. Die Jugend, das Mannesalter und die Frauen, die nie alt
werden, plaudern. Die Causerie ist eine französische Erfindung, so wie es die
französische Kunst pur (Zxl^1I<zae.L ist, und der Cultus dieser Kunst beweist mit
den Einfluß der Frauen auf die französische Gesellschaft, von dem in einem frühern
Capitel die Rede gewesen. Man macht sich einen irrigen Begriff von dem fran¬
zösischen Conversatiomswesen, indem man glaubt,- daß dieses darin bestehe, hier
und da ein witziges Wort, ein sogenanntes mut zu sagen, während dieses blos
eine Specialität ist. Die eigentliche französische Conversation ist die Causerie.
Ein angenehmer Causeur wird hier als Künstler geachtet, und Alexander Dumas
ist fast eben so berühmt durch seine angenehme Plauderei, als durch seine Romane,
Victor Cousin noch berühmter durch' sein Talent der Canserie, als dnrch seine
deutsche Philosophie. Die Causerie ist ein Mittelding zwischen der Erzählung
und der Abhandlung, und es gehört wirklich viel Talent dazu, ein französisches
Auditorium, das die andere Hälfte erräth, noch ehe man die erste zu Ende erzählt
hat, zu fesseln. Mau muß es durch ein Labyrinth interessanter Details vom
Ziele ablenken, um daun später mit der Pointe zu überraschen. Eine noch
größere Schwierigkeit besteht darin, den Anschein zu vermeiden, als spreche man
allein, weil die Causerie dadurch etwas studirtes, Prvductionartigeö erhält, und
die Franzosen lieben in der Gesellschaft wie in der Politik die Improvisation.
Wenn mau eine Republik improvisiren kann, meinen sie, muß mau auch eine Er¬
zählung oder eine Plauscherci zu improvisiren wissen. Der Erzähler muß daher das
Talent haben, seinen Zuhörern Gelegenheit zu Bemerkungen zu-geben; er muß
anscheinende Blößen zeigen, um zum Angriffe einzuladen, und diese wieder siegreich
zurückschlagen. Da entspinnt sich dann jener Wortkampf, in dem Witz und bunte
Laune die spitzen Klingen führen und die Funken des Esprit sprühen, daß Einem
die Angen geblendet werden. Diese geistigen Duelle haben mit dem Degcngc-
fechte noch die Achnlichkeit, daß Ausfälle und Paraden so schnell gemacht werden,
daß man ihnen kaum folgen kann. Die Schnelligkeit der Erwiderung ist ein
Haupterforderniß der französischen Konversation, und darum kommt anch der geist¬
reichste Fremde zu kurz, wenn er der Sprache nicht ganz mächtig oder seine Zunge
nicht mit französischer Behendigkeit schlagfertig ist. Der Wortführeude darf jedoch
die Fäden der Erzählung nicht aus den Händen geben, und muß die erste Pause
seines Gegners benutzen, um wieder fortzufahren.


Rentiert bis zu dem lustrestrahleudeu Salon des Ministers bestehen, thun nichts
zur Sache; das Wesen ist dasselbe. ES kommt überall auf die Gesellschaft und
die Geselligkeit an, und die Franzosen beweisen dies ans eine unwiderlegbare
Weise dadurch, daß sie in der Regel die Gewohnheit haben, gar Nichts, oder
höchstens Thee und Zuckerwasser zu serviren, auch wenn man bis nach Mitternacht
beisammen bleibt. In der Pariser Gesellschaft findet man nur geistige Nahrung,
und das Spiel ist in die Salons der Bourgeoisie verbannt, oder wird blos alten
Herren nachgesehen. Die Jugend, das Mannesalter und die Frauen, die nie alt
werden, plaudern. Die Causerie ist eine französische Erfindung, so wie es die
französische Kunst pur (Zxl^1I<zae.L ist, und der Cultus dieser Kunst beweist mit
den Einfluß der Frauen auf die französische Gesellschaft, von dem in einem frühern
Capitel die Rede gewesen. Man macht sich einen irrigen Begriff von dem fran¬
zösischen Conversatiomswesen, indem man glaubt,- daß dieses darin bestehe, hier
und da ein witziges Wort, ein sogenanntes mut zu sagen, während dieses blos
eine Specialität ist. Die eigentliche französische Conversation ist die Causerie.
Ein angenehmer Causeur wird hier als Künstler geachtet, und Alexander Dumas
ist fast eben so berühmt durch seine angenehme Plauderei, als durch seine Romane,
Victor Cousin noch berühmter durch' sein Talent der Canserie, als dnrch seine
deutsche Philosophie. Die Causerie ist ein Mittelding zwischen der Erzählung
und der Abhandlung, und es gehört wirklich viel Talent dazu, ein französisches
Auditorium, das die andere Hälfte erräth, noch ehe man die erste zu Ende erzählt
hat, zu fesseln. Mau muß es durch ein Labyrinth interessanter Details vom
Ziele ablenken, um daun später mit der Pointe zu überraschen. Eine noch
größere Schwierigkeit besteht darin, den Anschein zu vermeiden, als spreche man
allein, weil die Causerie dadurch etwas studirtes, Prvductionartigeö erhält, und
die Franzosen lieben in der Gesellschaft wie in der Politik die Improvisation.
Wenn mau eine Republik improvisiren kann, meinen sie, muß mau auch eine Er¬
zählung oder eine Plauscherci zu improvisiren wissen. Der Erzähler muß daher das
Talent haben, seinen Zuhörern Gelegenheit zu Bemerkungen zu-geben; er muß
anscheinende Blößen zeigen, um zum Angriffe einzuladen, und diese wieder siegreich
zurückschlagen. Da entspinnt sich dann jener Wortkampf, in dem Witz und bunte
Laune die spitzen Klingen führen und die Funken des Esprit sprühen, daß Einem
die Angen geblendet werden. Diese geistigen Duelle haben mit dem Degcngc-
fechte noch die Achnlichkeit, daß Ausfälle und Paraden so schnell gemacht werden,
daß man ihnen kaum folgen kann. Die Schnelligkeit der Erwiderung ist ein
Haupterforderniß der französischen Konversation, und darum kommt anch der geist¬
reichste Fremde zu kurz, wenn er der Sprache nicht ganz mächtig oder seine Zunge
nicht mit französischer Behendigkeit schlagfertig ist. Der Wortführeude darf jedoch
die Fäden der Erzählung nicht aus den Händen geben, und muß die erste Pause
seines Gegners benutzen, um wieder fortzufahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/462>, abgerufen am 29.04.2024.