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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Geld erscheint. Trotzdem wir auf einem bevölkerteren Terrain uns befinden, als
selbst jenes von Malta, fühlt sich doch Jeder, der nicht Habitus der Pariser Welt ist,
ungefähr so wie Nobinso" an jenem Donnerstag, ehe er seinen Freitag gefunden.
Nicht einmal eine Prise Tabak kann man mit Anstand wegkapern, und wenn man
1>err toroo ein Gespräch anknüpfen will, bleibt nichts Anderes übrig, als dem Ersten
Besten ans die Hühneraugen zu treten, damit man Gelegenheit erhält, um Ver¬
gebung zu bitten. Hat man aber das seltene Glück oder Unglück, repandirt zu
sein, dann kann mau wie ein Schmetterling oder nach Umständen wie eine Biene
von Blume zu Blume flattern oder summen. Im letztern Falle darf man aber
ans nicht zu viel Honig rechnen, weil wir uns eher in einem diplomatischen Her¬
barium, als in einem lebenden Garten bewegen, oder richtiger, zu bewegen suchen.

Um überall gut anzukommen bei diesen Entdeckungsreisen nach einer bekann¬
ten Seele, nach einem Manne, dessen Unterhaltung der Mühe lohnt, bedarf es
verschiedener Eigenschaften. Man muß einen richtigen Blick haben und genan
den Moment erfassen, wo es irgend einer Celebrität oder Jmportance anfängt
unangenehm zu werden, keinen Huldiger oder Bewunderer neben sich zu haben.
Man muß etwas Interessantes schnell, kurz und ans eine verbindliche Weise zu
sagen wissen. Es ist gut, sich gleich entfernen zu wollen, und sich am Anne oder
durch eine Geberde zurückhalten zu lassen. Um aber überhaupt irgend eine, wenn
auch noch so bescheidene Rolle spielen, muß man eine Specialität besitzen, und
erst dann kann man die eben genannten Eigenschaften mit Erfolg anwenden.

Die Specialiät ist eine rein französische Erfindung, und in der commercielle"
Welt hat sie e^e eben so große Wichtigkeit, obgleich nicht mehr wirklichen Gehalt,
als in der socialen. In letzterer ist es der Hafen, in den sich die Unbedeutend-
heit gegen die Stürme der Alles überfluthenden Jmportance flüchtet. Sie ist
die Festung der Unwissenheit, in die sich die Marktschreicrei vor der neugierigen
Recognoscirung der Gesellschaft versammelt. Es ist ein Schwimmgürtel, der uns
überall obenauf hält. Sie ist ein Paß, der uns alle Hänser öffnet, ohne ein
anderes Verdienst auf-, ohne einen andern Titel vorweisen zu müssen.

Der gründliche Deutsche wird eine gründliche Definition verlangen, und ich
will mich nicht lauge bitten lassen, diese zu geben. Eine Specialität ist die an¬
gebliche Bekanntschaft mit irgend einem Gegenstände deö menschlichen Wissens,
Forschens, Erfahrens, von dem wir überzeugt sind, daß er dem Andern nicht
einmal angeblich bekannt sei. Ein Beispiel mag das näher erläutern. Mr."
war vierzehn Tage in Constantinopel, hat daselbst Hatschis gcranM und die FW
über's Krenz geschlagen, kam nach Paris zurück, las in einigen gelehrten Büchern
nach, was er eigentlich gesehen hat, oder doch hätte sehen sollen, und macht den
Orient zu seiner Specialität. Der Orientalist kann sich ruhig überall präsentiren,
und darf des freundlichsten Empfanges gewärtig sein. Wird nun eine Specialität
der andern vorgestellt, so spricht Jeder, anscheinend ans Höflichkeit über das Fach


Geld erscheint. Trotzdem wir auf einem bevölkerteren Terrain uns befinden, als
selbst jenes von Malta, fühlt sich doch Jeder, der nicht Habitus der Pariser Welt ist,
ungefähr so wie Nobinso» an jenem Donnerstag, ehe er seinen Freitag gefunden.
Nicht einmal eine Prise Tabak kann man mit Anstand wegkapern, und wenn man
1>err toroo ein Gespräch anknüpfen will, bleibt nichts Anderes übrig, als dem Ersten
Besten ans die Hühneraugen zu treten, damit man Gelegenheit erhält, um Ver¬
gebung zu bitten. Hat man aber das seltene Glück oder Unglück, repandirt zu
sein, dann kann mau wie ein Schmetterling oder nach Umständen wie eine Biene
von Blume zu Blume flattern oder summen. Im letztern Falle darf man aber
ans nicht zu viel Honig rechnen, weil wir uns eher in einem diplomatischen Her¬
barium, als in einem lebenden Garten bewegen, oder richtiger, zu bewegen suchen.

Um überall gut anzukommen bei diesen Entdeckungsreisen nach einer bekann¬
ten Seele, nach einem Manne, dessen Unterhaltung der Mühe lohnt, bedarf es
verschiedener Eigenschaften. Man muß einen richtigen Blick haben und genan
den Moment erfassen, wo es irgend einer Celebrität oder Jmportance anfängt
unangenehm zu werden, keinen Huldiger oder Bewunderer neben sich zu haben.
Man muß etwas Interessantes schnell, kurz und ans eine verbindliche Weise zu
sagen wissen. Es ist gut, sich gleich entfernen zu wollen, und sich am Anne oder
durch eine Geberde zurückhalten zu lassen. Um aber überhaupt irgend eine, wenn
auch noch so bescheidene Rolle spielen, muß man eine Specialität besitzen, und
erst dann kann man die eben genannten Eigenschaften mit Erfolg anwenden.

Die Specialiät ist eine rein französische Erfindung, und in der commercielle»
Welt hat sie e^e eben so große Wichtigkeit, obgleich nicht mehr wirklichen Gehalt,
als in der socialen. In letzterer ist es der Hafen, in den sich die Unbedeutend-
heit gegen die Stürme der Alles überfluthenden Jmportance flüchtet. Sie ist
die Festung der Unwissenheit, in die sich die Marktschreicrei vor der neugierigen
Recognoscirung der Gesellschaft versammelt. Es ist ein Schwimmgürtel, der uns
überall obenauf hält. Sie ist ein Paß, der uns alle Hänser öffnet, ohne ein
anderes Verdienst auf-, ohne einen andern Titel vorweisen zu müssen.

Der gründliche Deutsche wird eine gründliche Definition verlangen, und ich
will mich nicht lauge bitten lassen, diese zu geben. Eine Specialität ist die an¬
gebliche Bekanntschaft mit irgend einem Gegenstände deö menschlichen Wissens,
Forschens, Erfahrens, von dem wir überzeugt sind, daß er dem Andern nicht
einmal angeblich bekannt sei. Ein Beispiel mag das näher erläutern. Mr."
war vierzehn Tage in Constantinopel, hat daselbst Hatschis gcranM und die FW
über's Krenz geschlagen, kam nach Paris zurück, las in einigen gelehrten Büchern
nach, was er eigentlich gesehen hat, oder doch hätte sehen sollen, und macht den
Orient zu seiner Specialität. Der Orientalist kann sich ruhig überall präsentiren,
und darf des freundlichsten Empfanges gewärtig sein. Wird nun eine Specialität
der andern vorgestellt, so spricht Jeder, anscheinend ans Höflichkeit über das Fach


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[0466] Geld erscheint. Trotzdem wir auf einem bevölkerteren Terrain uns befinden, als selbst jenes von Malta, fühlt sich doch Jeder, der nicht Habitus der Pariser Welt ist, ungefähr so wie Nobinso» an jenem Donnerstag, ehe er seinen Freitag gefunden. Nicht einmal eine Prise Tabak kann man mit Anstand wegkapern, und wenn man 1>err toroo ein Gespräch anknüpfen will, bleibt nichts Anderes übrig, als dem Ersten Besten ans die Hühneraugen zu treten, damit man Gelegenheit erhält, um Ver¬ gebung zu bitten. Hat man aber das seltene Glück oder Unglück, repandirt zu sein, dann kann mau wie ein Schmetterling oder nach Umständen wie eine Biene von Blume zu Blume flattern oder summen. Im letztern Falle darf man aber ans nicht zu viel Honig rechnen, weil wir uns eher in einem diplomatischen Her¬ barium, als in einem lebenden Garten bewegen, oder richtiger, zu bewegen suchen. Um überall gut anzukommen bei diesen Entdeckungsreisen nach einer bekann¬ ten Seele, nach einem Manne, dessen Unterhaltung der Mühe lohnt, bedarf es verschiedener Eigenschaften. Man muß einen richtigen Blick haben und genan den Moment erfassen, wo es irgend einer Celebrität oder Jmportance anfängt unangenehm zu werden, keinen Huldiger oder Bewunderer neben sich zu haben. Man muß etwas Interessantes schnell, kurz und ans eine verbindliche Weise zu sagen wissen. Es ist gut, sich gleich entfernen zu wollen, und sich am Anne oder durch eine Geberde zurückhalten zu lassen. Um aber überhaupt irgend eine, wenn auch noch so bescheidene Rolle spielen, muß man eine Specialität besitzen, und erst dann kann man die eben genannten Eigenschaften mit Erfolg anwenden. Die Specialiät ist eine rein französische Erfindung, und in der commercielle» Welt hat sie e^e eben so große Wichtigkeit, obgleich nicht mehr wirklichen Gehalt, als in der socialen. In letzterer ist es der Hafen, in den sich die Unbedeutend- heit gegen die Stürme der Alles überfluthenden Jmportance flüchtet. Sie ist die Festung der Unwissenheit, in die sich die Marktschreicrei vor der neugierigen Recognoscirung der Gesellschaft versammelt. Es ist ein Schwimmgürtel, der uns überall obenauf hält. Sie ist ein Paß, der uns alle Hänser öffnet, ohne ein anderes Verdienst auf-, ohne einen andern Titel vorweisen zu müssen. Der gründliche Deutsche wird eine gründliche Definition verlangen, und ich will mich nicht lauge bitten lassen, diese zu geben. Eine Specialität ist die an¬ gebliche Bekanntschaft mit irgend einem Gegenstände deö menschlichen Wissens, Forschens, Erfahrens, von dem wir überzeugt sind, daß er dem Andern nicht einmal angeblich bekannt sei. Ein Beispiel mag das näher erläutern. Mr." war vierzehn Tage in Constantinopel, hat daselbst Hatschis gcranM und die FW über's Krenz geschlagen, kam nach Paris zurück, las in einigen gelehrten Büchern nach, was er eigentlich gesehen hat, oder doch hätte sehen sollen, und macht den Orient zu seiner Specialität. Der Orientalist kann sich ruhig überall präsentiren, und darf des freundlichsten Empfanges gewärtig sein. Wird nun eine Specialität der andern vorgestellt, so spricht Jeder, anscheinend ans Höflichkeit über das Fach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/466>, abgerufen am 03.05.2024.