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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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etwa dem einen Gesims, das die Dachtraufe zu tragen bestimmt war, allerge-
wöhnlichste Uniform der Thüren und Fenster, die eben nur viereckige Lücken in
der Mauer bildeten. So erhielt die Physiognomie der Stadt eine unbeschreib¬
liche Langweiligkeit. Von den Palästen, ihrem Prachtschmuck an Säulen n. f. w.
sehe ich hier natürlich gänzlich ab.

Erst in den letzten Jahrzehenden regte sich ein Bedürfniß für Bekleidung der
traurigen, dem Ange mißfallenden Nacktheit, nud man suchte demselben zunächst
uicht durch Formen, sondern durch buntere Farben, durch malerischen Auftrag
rother, grüner und blauer Verzierungen zu entsprechen. Daneben entwickelte sich
dann eine verschiedenartige Gruppirung der Fenster in geraden und geschwunge¬
nen Linien, zum Theil mit oberem rnndbogigem Abschluß. Unzweifelhaft mußte
die Anwendung des Bogens neben der starren Geradlinigtcit schon vermehrtes
Leben in die architektonische Gestaltung bringen; doch wurde die Verbindung oft
geschmacklos betrieben. Noch ging fast Alles schabloneuartig und über einen
Leisten, und die flache bunte Bemalung vermehrte in ihrer Uebertreibung die Ge¬
schmacklosigkeit der Fanden. Das Ange suchte vergebens nach dem Reiz der Be¬
wegung in den architektonischen Formen. Die todte Masse zeigte nirgends her¬
vortretende Theile, man sah das ununterbrochene Einerlei der langen Straßen
hinab und mußte ans Mangel an realen Eindrücken nothwendig der idealen Spe-
culation verfallen. Vielleicht machte sich das polizeiliche Interesse gegen etwaige
Unebenheiten der Häuserschnüre geltend, zwischen deren nackten Linien sich besser
vigiliren ließ, aber im zweiten und dritten Stocke blieb doch immer noch Gele¬
genheit zu einigen Wellenlinien der Oberfläche. Im untern Geschoß hätte man
überdies, da man über die Polizeischnnr uicht hinaus durfte, vou seinem eigenen
Grund und Boden opfern müssen, und der ist in großen Städten theuer. Daß
dann etwa ein Gärtchen vor dem Hause die Anmuth des Bildes vermehrt haben
würde, konnte eben so wenig ein entscheidendes Gewicht in die Schale der Ent¬
schließung werfen, da immer die Kostspieligkeit der Bauplätze als letzter Grund
für die Erzielung möglichst hoher Hausmiethcn zur strengsten praktischen Be¬
nutzung jedes Raumes trieb. Aber es war zugleich der innere Gegensatz des
modernen Bewußtseins gegen die frühere vielbewegte, doch auch winklige n"d
finstere Banart, welcher in das Extrem der glatten Flachheit, in das Verzichten
der Aufklärung auf alles Spiel der Formen führte. Wozu bedürfte die Stadt
der philosophischen Intelligenz einer anmuthigen und geschmackvollen Physi¬
ognomie ?

Neben dieser Alltäglichkeit that sich, wie es eben auch in den geistigen Ge¬
gensätzen der Hauptstadt lebte, eine Richtung auf das Barocke und Seltsame
hervor, welche namentlich in dem Stier'schen Winkclbau auf dem Karlsbade ihren
Ausdruck fand. Es war ein phantastisches Aufwärmen und Nachahmen mittel¬
alterlich romantischer Formen. Je mehr in allen Zweigen der Kunst die ge-


etwa dem einen Gesims, das die Dachtraufe zu tragen bestimmt war, allerge-
wöhnlichste Uniform der Thüren und Fenster, die eben nur viereckige Lücken in
der Mauer bildeten. So erhielt die Physiognomie der Stadt eine unbeschreib¬
liche Langweiligkeit. Von den Palästen, ihrem Prachtschmuck an Säulen n. f. w.
sehe ich hier natürlich gänzlich ab.

Erst in den letzten Jahrzehenden regte sich ein Bedürfniß für Bekleidung der
traurigen, dem Ange mißfallenden Nacktheit, nud man suchte demselben zunächst
uicht durch Formen, sondern durch buntere Farben, durch malerischen Auftrag
rother, grüner und blauer Verzierungen zu entsprechen. Daneben entwickelte sich
dann eine verschiedenartige Gruppirung der Fenster in geraden und geschwunge¬
nen Linien, zum Theil mit oberem rnndbogigem Abschluß. Unzweifelhaft mußte
die Anwendung des Bogens neben der starren Geradlinigtcit schon vermehrtes
Leben in die architektonische Gestaltung bringen; doch wurde die Verbindung oft
geschmacklos betrieben. Noch ging fast Alles schabloneuartig und über einen
Leisten, und die flache bunte Bemalung vermehrte in ihrer Uebertreibung die Ge¬
schmacklosigkeit der Fanden. Das Ange suchte vergebens nach dem Reiz der Be¬
wegung in den architektonischen Formen. Die todte Masse zeigte nirgends her¬
vortretende Theile, man sah das ununterbrochene Einerlei der langen Straßen
hinab und mußte ans Mangel an realen Eindrücken nothwendig der idealen Spe-
culation verfallen. Vielleicht machte sich das polizeiliche Interesse gegen etwaige
Unebenheiten der Häuserschnüre geltend, zwischen deren nackten Linien sich besser
vigiliren ließ, aber im zweiten und dritten Stocke blieb doch immer noch Gele¬
genheit zu einigen Wellenlinien der Oberfläche. Im untern Geschoß hätte man
überdies, da man über die Polizeischnnr uicht hinaus durfte, vou seinem eigenen
Grund und Boden opfern müssen, und der ist in großen Städten theuer. Daß
dann etwa ein Gärtchen vor dem Hause die Anmuth des Bildes vermehrt haben
würde, konnte eben so wenig ein entscheidendes Gewicht in die Schale der Ent¬
schließung werfen, da immer die Kostspieligkeit der Bauplätze als letzter Grund
für die Erzielung möglichst hoher Hausmiethcn zur strengsten praktischen Be¬
nutzung jedes Raumes trieb. Aber es war zugleich der innere Gegensatz des
modernen Bewußtseins gegen die frühere vielbewegte, doch auch winklige n»d
finstere Banart, welcher in das Extrem der glatten Flachheit, in das Verzichten
der Aufklärung auf alles Spiel der Formen führte. Wozu bedürfte die Stadt
der philosophischen Intelligenz einer anmuthigen und geschmackvollen Physi¬
ognomie ?

Neben dieser Alltäglichkeit that sich, wie es eben auch in den geistigen Ge¬
gensätzen der Hauptstadt lebte, eine Richtung auf das Barocke und Seltsame
hervor, welche namentlich in dem Stier'schen Winkclbau auf dem Karlsbade ihren
Ausdruck fand. Es war ein phantastisches Aufwärmen und Nachahmen mittel¬
alterlich romantischer Formen. Je mehr in allen Zweigen der Kunst die ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/468>, abgerufen am 03.05.2024.