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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Kenntnisse haben. Es sei nickt genug, das; er Perspektive, Architektur und'die
Anatomie des Menschen und der Thiere verstehe, er müsse anch einige Einsicht in
die Botanik und die Mineralogie besitzen. Erstere, damit er das Charakteristische
der Bäume nud Pflanzen, und letztere, damit er den Charakter der verschiedenen
Gebirgsarten gehörig auszudrücken wisse. Er braucht deshalb kein Mineralog
von Fach zu sein, indem er es vorzüglich nur mit Kalk-, Thonschiefer- und Sand¬
stein-Gebirgen, zu thu" hat, und nnr damit bekannt sein muß, in welchen For¬
men es liegt, wie es sich bei der Verwitterung spaltet, und welche Baumarten darauf
gedeihen oder verkrüppeln.

Ihr tretet vor ein Bild Calame's, und seid in hohem Grade befriedigt
und entzückt von dieser wunderbaren Wahrheit einer wiedergedichtetcn Natur.
Woher ein solcher Eindruck? Es ist nicht allein der Gefühlszaubcr einer magi¬
schen Beleuchtung, was hier mächtig wird, sondern mehr noch die Correctheit, das
charakteristische Leben, die objective Wahrheit und sinnliche Fülle der körper¬
haften Formen. Wir Laien erkennen die Ursache nicht immer heraus, aber
wir empfinden die Wirkung, und so ist es mit jeder geistig tiefen Künstlerschaft.
Calame's Felsen darf der Mineralog, seinen Pflanzenwuchs der Botaniker
prüfen, es ist Alles, auch der Zusammenhang der Theile, natnrgeselMH wahr,
und in der Luft schwimmt dann über dem charaktervoller Grunde des natürlich
Festen jenes ewig wechselnde, stimmungsvolle Licht, die bewegliche Seele der
Natur, und berührt das Gemüth mit dem Odem der Poesie.

Calame ist in Neufchatel geboren und ein Schüler D'iday's zu Genf, den
man als den Salvator Rosa der Schweiz bezeichnet. Ich sah von Diesem leider
Nichts, doch man sagt von ihm, seine Schilderungen der Hochalpen seien vom
staunenswerther Großartigkeit, überall lebe in ihnen ein anhaltendes, tief einge¬
hendes Studium der Alpennatur. Wie seine Felsen von markiger Festigkeit,
seine Gebirgönebei und um die Gipfel spielenden Wolken von gespenstischem
Duft, so spiele das Licht lebendig in seinen Bäumen, und seine Wasser seien
flüssiger und schäumender Bergkrystall. Mit reicher Eigenthümlichkeit nahm der
geniale Schüler des Meisters Lehre und Vorbild in sich ans, und verbreitete M"
Talent mit der Fülle eines mannichfaltigern Inhalts über die großartige sah""'
heit, wie über die Anmuth und Lieblichkeit seiner heimischen Natur. Von der
Beobachtung und treuen Darstellung des Geschauten ging er aus, aber mehr und
mehr trat die selbstständige Erfindung seines Geistes mit Anschauung und Be¬
obachtung der Natur in- ein künstlerisches Bündniß. Die vollendeten SproMge
dieser Ehe erblicken wir in den vier Jahreszeiten. Eines der vier Gemälde
trägt außerdem eine Spur der Empfängniß aus den Eindrücken einer Reise
in den Süden, denen schon seine Tempelruinen bei Pästum ihr Entstehen
verdankten. Noch sei, um mit allen äußerlichen Umständen abzuschließen,
gleich hier die ^coliz eingeschaltet, daß Calame anch eine Reese geistreich radir-


Kenntnisse haben. Es sei nickt genug, das; er Perspektive, Architektur und'die
Anatomie des Menschen und der Thiere verstehe, er müsse anch einige Einsicht in
die Botanik und die Mineralogie besitzen. Erstere, damit er das Charakteristische
der Bäume nud Pflanzen, und letztere, damit er den Charakter der verschiedenen
Gebirgsarten gehörig auszudrücken wisse. Er braucht deshalb kein Mineralog
von Fach zu sein, indem er es vorzüglich nur mit Kalk-, Thonschiefer- und Sand¬
stein-Gebirgen, zu thu» hat, und nnr damit bekannt sein muß, in welchen For¬
men es liegt, wie es sich bei der Verwitterung spaltet, und welche Baumarten darauf
gedeihen oder verkrüppeln.

Ihr tretet vor ein Bild Calame's, und seid in hohem Grade befriedigt
und entzückt von dieser wunderbaren Wahrheit einer wiedergedichtetcn Natur.
Woher ein solcher Eindruck? Es ist nicht allein der Gefühlszaubcr einer magi¬
schen Beleuchtung, was hier mächtig wird, sondern mehr noch die Correctheit, das
charakteristische Leben, die objective Wahrheit und sinnliche Fülle der körper¬
haften Formen. Wir Laien erkennen die Ursache nicht immer heraus, aber
wir empfinden die Wirkung, und so ist es mit jeder geistig tiefen Künstlerschaft.
Calame's Felsen darf der Mineralog, seinen Pflanzenwuchs der Botaniker
prüfen, es ist Alles, auch der Zusammenhang der Theile, natnrgeselMH wahr,
und in der Luft schwimmt dann über dem charaktervoller Grunde des natürlich
Festen jenes ewig wechselnde, stimmungsvolle Licht, die bewegliche Seele der
Natur, und berührt das Gemüth mit dem Odem der Poesie.

Calame ist in Neufchatel geboren und ein Schüler D'iday's zu Genf, den
man als den Salvator Rosa der Schweiz bezeichnet. Ich sah von Diesem leider
Nichts, doch man sagt von ihm, seine Schilderungen der Hochalpen seien vom
staunenswerther Großartigkeit, überall lebe in ihnen ein anhaltendes, tief einge¬
hendes Studium der Alpennatur. Wie seine Felsen von markiger Festigkeit,
seine Gebirgönebei und um die Gipfel spielenden Wolken von gespenstischem
Duft, so spiele das Licht lebendig in seinen Bäumen, und seine Wasser seien
flüssiger und schäumender Bergkrystall. Mit reicher Eigenthümlichkeit nahm der
geniale Schüler des Meisters Lehre und Vorbild in sich ans, und verbreitete M"
Talent mit der Fülle eines mannichfaltigern Inhalts über die großartige sah""'
heit, wie über die Anmuth und Lieblichkeit seiner heimischen Natur. Von der
Beobachtung und treuen Darstellung des Geschauten ging er aus, aber mehr und
mehr trat die selbstständige Erfindung seines Geistes mit Anschauung und Be¬
obachtung der Natur in- ein künstlerisches Bündniß. Die vollendeten SproMge
dieser Ehe erblicken wir in den vier Jahreszeiten. Eines der vier Gemälde
trägt außerdem eine Spur der Empfängniß aus den Eindrücken einer Reise
in den Süden, denen schon seine Tempelruinen bei Pästum ihr Entstehen
verdankten. Noch sei, um mit allen äußerlichen Umständen abzuschließen,
gleich hier die ^coliz eingeschaltet, daß Calame anch eine Reese geistreich radir-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/6>, abgerufen am 30.04.2024.