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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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die Verhaftung des Erzbischofs verursachte damals in Münster eine so große Auf¬
regung, daß ein Stmßcnaufrnhr entstand, dessen Verlauf so-regelrecht war, als
nur irgend einer von 1848, General Wrangel, der Zeit Divisionsgeneral da¬
selbst, schritt etwas zu kräftig dagegen ein und wurde in Folge dessen versetzt.
Die versöhnliche" Schritte des jetzigem Königs wendeten ihm die Sympathie des
Adels wieder zu. In den Staatsdienst zu treten, gehört jedoch noch immer zu
deu Ausnahmen, nur die jüngern Söhne werden eine Zeitlang als Officiere der
Kavallerie untergebracht; sie wenden sich in neuester Zeit häufig dem geistlichen
Staude zu, der seit Aufhebung der Domstifte bisher vernachlässigt worden
war. Ehe sie zu deu hohem Stufen desselben gelangen, begnügen sie sich
mit den bescheidensten Landpfarrer, oder unterziehen sich voll Eifer den Diensten
eines Feldpredigers bei dem katholischen Theil der Armee. Der jetzige Bischof
von Mainz, Freiherr von Ketteler, hat erst ganz kiuzlich diese Schule durchgemacht
und seine Standesgenossen zur Nacheiferung angespornt durch sein Beispiel; er
hatte auch in der Nationalversammlung in Frankfurt sich thätig bewiesen und seine
Rede am Grabe Lichnowski'S erlangte eine politische Bedeutung als erstes ausge¬
sprochenes Manifest der Ultramontanen.

Der Wohlstand des katholischen Adels in Westphalen ist, wenn nicht der
glänzendste, doch gewiß der solideste in Deutschland. Es gibt, mit seltenen Aus¬
nahmen, keine verschuldete" Güter, und wenn einmal eine Familie in mißliche Ver¬
hältnisse geräth, so wird durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen der Standes-
genossen ihr der Grundbesitz erhalten und damit die Möglichkeit dargeboten, sich
wieder empor zu arbeiten. Es ist bis jetzt noch kein Beispiel vorgekommen, daß
zur Wiederbelebung des gesunkenen Glanzes Geldheirathen, sogenannte Mes¬
alliancen, geschlossen worden sind, wie dies der Adel heutzutage überall zu versuchen
gezwungen ist. Nicht einmal Conveuienzehen sind häufig; es heirathen eben nur
reiche junge Erbherren, die unter den schönen Töchtern des Adels sich diejenige
erwählen können, bei der sie Zuneigung erwecken; der Versorgung wegen braucht
keine von ihnen das Jawort zu geben, denn die gebräuchliche Abfindungssumme,
welche jede aus deu väterlichen Gütern erhält, ist, wenn auch meistens mäßig,
doch hinreichend für anständigen Unterhalt. Gewöhnlich bezieht das neuvermählte
Paar eins der kleinen Güter nud lebt ziemlich zurückgezogen, bis der sogenannte
Regierungsantritt uach dem Tode des Familienhauptes erfolgt, dann muß sich die
Wittwe auf irgend ein hübsches stilles Gut oder in eine bequeme Stadtwohnung
zurückziehen nud muß ihre Diamanten der jungen "regierenden" Frau überliefern,
die dann strahlend ihre neue Stellung in der Welt einnimmt.

Die bedeutendsten und reichsten Familiennamen aus dem Münster'schen,
Paderborn'sehen und Arnsberg'sehen sind: Graf von Galen; ein Sprößling dieses
Namens war der berühmte kriegerische Bischof, Christoph Bernhard von Münster
(165i))- Graf v. Mervcldt, zu dessen Fideicommißgcgenständen merkwürdiger Weise


die Verhaftung des Erzbischofs verursachte damals in Münster eine so große Auf¬
regung, daß ein Stmßcnaufrnhr entstand, dessen Verlauf so-regelrecht war, als
nur irgend einer von 1848, General Wrangel, der Zeit Divisionsgeneral da¬
selbst, schritt etwas zu kräftig dagegen ein und wurde in Folge dessen versetzt.
Die versöhnliche« Schritte des jetzigem Königs wendeten ihm die Sympathie des
Adels wieder zu. In den Staatsdienst zu treten, gehört jedoch noch immer zu
deu Ausnahmen, nur die jüngern Söhne werden eine Zeitlang als Officiere der
Kavallerie untergebracht; sie wenden sich in neuester Zeit häufig dem geistlichen
Staude zu, der seit Aufhebung der Domstifte bisher vernachlässigt worden
war. Ehe sie zu deu hohem Stufen desselben gelangen, begnügen sie sich
mit den bescheidensten Landpfarrer, oder unterziehen sich voll Eifer den Diensten
eines Feldpredigers bei dem katholischen Theil der Armee. Der jetzige Bischof
von Mainz, Freiherr von Ketteler, hat erst ganz kiuzlich diese Schule durchgemacht
und seine Standesgenossen zur Nacheiferung angespornt durch sein Beispiel; er
hatte auch in der Nationalversammlung in Frankfurt sich thätig bewiesen und seine
Rede am Grabe Lichnowski'S erlangte eine politische Bedeutung als erstes ausge¬
sprochenes Manifest der Ultramontanen.

Der Wohlstand des katholischen Adels in Westphalen ist, wenn nicht der
glänzendste, doch gewiß der solideste in Deutschland. Es gibt, mit seltenen Aus¬
nahmen, keine verschuldete» Güter, und wenn einmal eine Familie in mißliche Ver¬
hältnisse geräth, so wird durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen der Standes-
genossen ihr der Grundbesitz erhalten und damit die Möglichkeit dargeboten, sich
wieder empor zu arbeiten. Es ist bis jetzt noch kein Beispiel vorgekommen, daß
zur Wiederbelebung des gesunkenen Glanzes Geldheirathen, sogenannte Mes¬
alliancen, geschlossen worden sind, wie dies der Adel heutzutage überall zu versuchen
gezwungen ist. Nicht einmal Conveuienzehen sind häufig; es heirathen eben nur
reiche junge Erbherren, die unter den schönen Töchtern des Adels sich diejenige
erwählen können, bei der sie Zuneigung erwecken; der Versorgung wegen braucht
keine von ihnen das Jawort zu geben, denn die gebräuchliche Abfindungssumme,
welche jede aus deu väterlichen Gütern erhält, ist, wenn auch meistens mäßig,
doch hinreichend für anständigen Unterhalt. Gewöhnlich bezieht das neuvermählte
Paar eins der kleinen Güter nud lebt ziemlich zurückgezogen, bis der sogenannte
Regierungsantritt uach dem Tode des Familienhauptes erfolgt, dann muß sich die
Wittwe auf irgend ein hübsches stilles Gut oder in eine bequeme Stadtwohnung
zurückziehen nud muß ihre Diamanten der jungen „regierenden" Frau überliefern,
die dann strahlend ihre neue Stellung in der Welt einnimmt.

Die bedeutendsten und reichsten Familiennamen aus dem Münster'schen,
Paderborn'sehen und Arnsberg'sehen sind: Graf von Galen; ein Sprößling dieses
Namens war der berühmte kriegerische Bischof, Christoph Bernhard von Münster
(165i))- Graf v. Mervcldt, zu dessen Fideicommißgcgenständen merkwürdiger Weise


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[0110] die Verhaftung des Erzbischofs verursachte damals in Münster eine so große Auf¬ regung, daß ein Stmßcnaufrnhr entstand, dessen Verlauf so-regelrecht war, als nur irgend einer von 1848, General Wrangel, der Zeit Divisionsgeneral da¬ selbst, schritt etwas zu kräftig dagegen ein und wurde in Folge dessen versetzt. Die versöhnliche« Schritte des jetzigem Königs wendeten ihm die Sympathie des Adels wieder zu. In den Staatsdienst zu treten, gehört jedoch noch immer zu deu Ausnahmen, nur die jüngern Söhne werden eine Zeitlang als Officiere der Kavallerie untergebracht; sie wenden sich in neuester Zeit häufig dem geistlichen Staude zu, der seit Aufhebung der Domstifte bisher vernachlässigt worden war. Ehe sie zu deu hohem Stufen desselben gelangen, begnügen sie sich mit den bescheidensten Landpfarrer, oder unterziehen sich voll Eifer den Diensten eines Feldpredigers bei dem katholischen Theil der Armee. Der jetzige Bischof von Mainz, Freiherr von Ketteler, hat erst ganz kiuzlich diese Schule durchgemacht und seine Standesgenossen zur Nacheiferung angespornt durch sein Beispiel; er hatte auch in der Nationalversammlung in Frankfurt sich thätig bewiesen und seine Rede am Grabe Lichnowski'S erlangte eine politische Bedeutung als erstes ausge¬ sprochenes Manifest der Ultramontanen. Der Wohlstand des katholischen Adels in Westphalen ist, wenn nicht der glänzendste, doch gewiß der solideste in Deutschland. Es gibt, mit seltenen Aus¬ nahmen, keine verschuldete» Güter, und wenn einmal eine Familie in mißliche Ver¬ hältnisse geräth, so wird durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen der Standes- genossen ihr der Grundbesitz erhalten und damit die Möglichkeit dargeboten, sich wieder empor zu arbeiten. Es ist bis jetzt noch kein Beispiel vorgekommen, daß zur Wiederbelebung des gesunkenen Glanzes Geldheirathen, sogenannte Mes¬ alliancen, geschlossen worden sind, wie dies der Adel heutzutage überall zu versuchen gezwungen ist. Nicht einmal Conveuienzehen sind häufig; es heirathen eben nur reiche junge Erbherren, die unter den schönen Töchtern des Adels sich diejenige erwählen können, bei der sie Zuneigung erwecken; der Versorgung wegen braucht keine von ihnen das Jawort zu geben, denn die gebräuchliche Abfindungssumme, welche jede aus deu väterlichen Gütern erhält, ist, wenn auch meistens mäßig, doch hinreichend für anständigen Unterhalt. Gewöhnlich bezieht das neuvermählte Paar eins der kleinen Güter nud lebt ziemlich zurückgezogen, bis der sogenannte Regierungsantritt uach dem Tode des Familienhauptes erfolgt, dann muß sich die Wittwe auf irgend ein hübsches stilles Gut oder in eine bequeme Stadtwohnung zurückziehen nud muß ihre Diamanten der jungen „regierenden" Frau überliefern, die dann strahlend ihre neue Stellung in der Welt einnimmt. Die bedeutendsten und reichsten Familiennamen aus dem Münster'schen, Paderborn'sehen und Arnsberg'sehen sind: Graf von Galen; ein Sprößling dieses Namens war der berühmte kriegerische Bischof, Christoph Bernhard von Münster (165i))- Graf v. Mervcldt, zu dessen Fideicommißgcgenständen merkwürdiger Weise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/110>, abgerufen am 04.06.2024.