Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegend schön ist, denn der Frühling ist wie die Jugend, die selbst die Häßlichkeit
verklärt. Aber wenn auch keine noch so kleine Besitzung den Münstercmer in's
Freie ruft, er eilt doch dahin, um die idyllischen Freuden der Ländlichkeit zu ge¬
nießen, und zwar in einer so gemüthlichen Weise, wie nirgend anders. In der
flachen öden- Gegend zwischen Haide und Saud gibt es frische kleine Oasen von
schattigem Gehölz umbuscht; es sind wahrhaft patriarchalische Wirthshäuser, Schüt¬
zenhofe zwischen grünen Kämpen, die zu irgend einer der zerstreuten Banerschaften
gehören, und neben dem Ackerbau ganz gemüthlich eine Kaffee- und Weinschenke
halten. Dorthinlenkt der Städter seine Schritte, um'Landluft zu genießen. Man
kann bei dieser Gelegenheit von Jmlnermmm's prächtigem Hosschulzen zahlreiche
Zwillingsbrüder in diesen idyllischen Bauernhöfen finden, "der Hofschulte" in
Angelmvdde ist einer der ähnlichsten und würdigsten. Das Dorf selbst hat eine
literar-historische Bedeutung erhalten durch die Grabstätte der Fürstin Galitzin.
Ueber Wiesenpfade und die echt westphälischen, von lebendigen Hecken eingehegten
Kämpe kommt man an den: Dorskirchlein vorüber, an dessen Seitenwand demüthig
unter einem rvhgemeißelten Christusbilde, von den Dornen wilder Nosen umrankt,
der fürstliche Name der berühmten bekehrte" Uebelsein in Stein gehalten ist. Im
vorigen Jahrhundert war diese merkwürdige Frau der Anziehungspunkt für alle
berühmten Zeitgenossen; Philosophen, Dichter und Propheten wallfahrteten ihret¬
wegen nach Münster, das außerdem so reich an interessanten Erinnerungen.ist.
Die Stadt ist in ihrer alterthümlichen Schönheit noch immer eine würdige Staffage
für die Ereignisse, deren Schauplatz sie war, sie hat eine bestimmte Physiognomie
und hat gleichsam ihre Nationaltracht beibehalten neben dem modernen Zuschnitt
anderer Städte. Die Giebel kehren sich nach alter Sitte nach der Straße zu
und tragen ein zierliches Spitzengeflecht von Stein zur Schau. Erker mit halb¬
erhabener Arbeit und Bogengänge uuter den Häusern erinnern an die schönen
Schwesterstädte Nürnberg und Danzig. Der Principalmarkt, der jetzt auf der
Bühne im Propheten gezeigt wird, ist der Glanzpunkt dieser eigenthümlichen Ban¬
kunst, namentlich ist das Rathhaus ein herrliches Schnitzwerk von Stein; die
Lambertnskirche bildet mit der gothischen Zackenkrvne ihres hohen Chors den
Schlußstein dieser auserwählten Häuserreihe. Wenn ihre hohen Bogenfenster mit
den reichfacettirten Rosetten bei abendlichem Gottesdienst erleuchtet sind, ist es
ein künstlerischer Genuß, diese schöne Kirche zu betrachten. Ihr Thurm stört
freilich den Eindruck; seine Häßlichkeit ist profanirend und die Eisenkäfige, welche
all seiner Spitze hängen, macheu sie nur noch abschreckender. Es sind dies die
Behälter, in denen die Haupträdelssührer der Wiedertäufer.von der damaligen
Reaction ihre Strafen erlitten. Der Friedenssaal im Rathhause ist ebenfalls ein
historisches Monument, das sich unverändert erhalten hat. Aus viel älterer Zeit
besitzt Münster noch Baudenkmale und Erinnerungen, die mehr Ausführlichkeit


Gegend schön ist, denn der Frühling ist wie die Jugend, die selbst die Häßlichkeit
verklärt. Aber wenn auch keine noch so kleine Besitzung den Münstercmer in's
Freie ruft, er eilt doch dahin, um die idyllischen Freuden der Ländlichkeit zu ge¬
nießen, und zwar in einer so gemüthlichen Weise, wie nirgend anders. In der
flachen öden- Gegend zwischen Haide und Saud gibt es frische kleine Oasen von
schattigem Gehölz umbuscht; es sind wahrhaft patriarchalische Wirthshäuser, Schüt¬
zenhofe zwischen grünen Kämpen, die zu irgend einer der zerstreuten Banerschaften
gehören, und neben dem Ackerbau ganz gemüthlich eine Kaffee- und Weinschenke
halten. Dorthinlenkt der Städter seine Schritte, um'Landluft zu genießen. Man
kann bei dieser Gelegenheit von Jmlnermmm's prächtigem Hosschulzen zahlreiche
Zwillingsbrüder in diesen idyllischen Bauernhöfen finden, „der Hofschulte" in
Angelmvdde ist einer der ähnlichsten und würdigsten. Das Dorf selbst hat eine
literar-historische Bedeutung erhalten durch die Grabstätte der Fürstin Galitzin.
Ueber Wiesenpfade und die echt westphälischen, von lebendigen Hecken eingehegten
Kämpe kommt man an den: Dorskirchlein vorüber, an dessen Seitenwand demüthig
unter einem rvhgemeißelten Christusbilde, von den Dornen wilder Nosen umrankt,
der fürstliche Name der berühmten bekehrte» Uebelsein in Stein gehalten ist. Im
vorigen Jahrhundert war diese merkwürdige Frau der Anziehungspunkt für alle
berühmten Zeitgenossen; Philosophen, Dichter und Propheten wallfahrteten ihret¬
wegen nach Münster, das außerdem so reich an interessanten Erinnerungen.ist.
Die Stadt ist in ihrer alterthümlichen Schönheit noch immer eine würdige Staffage
für die Ereignisse, deren Schauplatz sie war, sie hat eine bestimmte Physiognomie
und hat gleichsam ihre Nationaltracht beibehalten neben dem modernen Zuschnitt
anderer Städte. Die Giebel kehren sich nach alter Sitte nach der Straße zu
und tragen ein zierliches Spitzengeflecht von Stein zur Schau. Erker mit halb¬
erhabener Arbeit und Bogengänge uuter den Häusern erinnern an die schönen
Schwesterstädte Nürnberg und Danzig. Der Principalmarkt, der jetzt auf der
Bühne im Propheten gezeigt wird, ist der Glanzpunkt dieser eigenthümlichen Ban¬
kunst, namentlich ist das Rathhaus ein herrliches Schnitzwerk von Stein; die
Lambertnskirche bildet mit der gothischen Zackenkrvne ihres hohen Chors den
Schlußstein dieser auserwählten Häuserreihe. Wenn ihre hohen Bogenfenster mit
den reichfacettirten Rosetten bei abendlichem Gottesdienst erleuchtet sind, ist es
ein künstlerischer Genuß, diese schöne Kirche zu betrachten. Ihr Thurm stört
freilich den Eindruck; seine Häßlichkeit ist profanirend und die Eisenkäfige, welche
all seiner Spitze hängen, macheu sie nur noch abschreckender. Es sind dies die
Behälter, in denen die Haupträdelssührer der Wiedertäufer.von der damaligen
Reaction ihre Strafen erlitten. Der Friedenssaal im Rathhause ist ebenfalls ein
historisches Monument, das sich unverändert erhalten hat. Aus viel älterer Zeit
besitzt Münster noch Baudenkmale und Erinnerungen, die mehr Ausführlichkeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91306"/>
          <p xml:id="ID_315" prev="#ID_314" next="#ID_316"> Gegend schön ist, denn der Frühling ist wie die Jugend, die selbst die Häßlichkeit<lb/>
verklärt. Aber wenn auch keine noch so kleine Besitzung den Münstercmer in's<lb/>
Freie ruft, er eilt doch dahin, um die idyllischen Freuden der Ländlichkeit zu ge¬<lb/>
nießen, und zwar in einer so gemüthlichen Weise, wie nirgend anders. In der<lb/>
flachen öden- Gegend zwischen Haide und Saud gibt es frische kleine Oasen von<lb/>
schattigem Gehölz umbuscht; es sind wahrhaft patriarchalische Wirthshäuser, Schüt¬<lb/>
zenhofe zwischen grünen Kämpen, die zu irgend einer der zerstreuten Banerschaften<lb/>
gehören, und neben dem Ackerbau ganz gemüthlich eine Kaffee- und Weinschenke<lb/>
halten. Dorthinlenkt der Städter seine Schritte, um'Landluft zu genießen. Man<lb/>
kann bei dieser Gelegenheit von Jmlnermmm's prächtigem Hosschulzen zahlreiche<lb/>
Zwillingsbrüder in diesen idyllischen Bauernhöfen finden, &#x201E;der Hofschulte" in<lb/>
Angelmvdde ist einer der ähnlichsten und würdigsten. Das Dorf selbst hat eine<lb/>
literar-historische Bedeutung erhalten durch die Grabstätte der Fürstin Galitzin.<lb/>
Ueber Wiesenpfade und die echt westphälischen, von lebendigen Hecken eingehegten<lb/>
Kämpe kommt man an den: Dorskirchlein vorüber, an dessen Seitenwand demüthig<lb/>
unter einem rvhgemeißelten Christusbilde, von den Dornen wilder Nosen umrankt,<lb/>
der fürstliche Name der berühmten bekehrte» Uebelsein in Stein gehalten ist. Im<lb/>
vorigen Jahrhundert war diese merkwürdige Frau der Anziehungspunkt für alle<lb/>
berühmten Zeitgenossen; Philosophen, Dichter und Propheten wallfahrteten ihret¬<lb/>
wegen nach Münster, das außerdem so reich an interessanten Erinnerungen.ist.<lb/>
Die Stadt ist in ihrer alterthümlichen Schönheit noch immer eine würdige Staffage<lb/>
für die Ereignisse, deren Schauplatz sie war, sie hat eine bestimmte Physiognomie<lb/>
und hat gleichsam ihre Nationaltracht beibehalten neben dem modernen Zuschnitt<lb/>
anderer Städte. Die Giebel kehren sich nach alter Sitte nach der Straße zu<lb/>
und tragen ein zierliches Spitzengeflecht von Stein zur Schau. Erker mit halb¬<lb/>
erhabener Arbeit und Bogengänge uuter den Häusern erinnern an die schönen<lb/>
Schwesterstädte Nürnberg und Danzig. Der Principalmarkt, der jetzt auf der<lb/>
Bühne im Propheten gezeigt wird, ist der Glanzpunkt dieser eigenthümlichen Ban¬<lb/>
kunst, namentlich ist das Rathhaus ein herrliches Schnitzwerk von Stein; die<lb/>
Lambertnskirche bildet mit der gothischen Zackenkrvne ihres hohen Chors den<lb/>
Schlußstein dieser auserwählten Häuserreihe. Wenn ihre hohen Bogenfenster mit<lb/>
den reichfacettirten Rosetten bei abendlichem Gottesdienst erleuchtet sind, ist es<lb/>
ein künstlerischer Genuß, diese schöne Kirche zu betrachten. Ihr Thurm stört<lb/>
freilich den Eindruck; seine Häßlichkeit ist profanirend und die Eisenkäfige, welche<lb/>
all seiner Spitze hängen, macheu sie nur noch abschreckender. Es sind dies die<lb/>
Behälter, in denen die Haupträdelssührer der Wiedertäufer.von der damaligen<lb/>
Reaction ihre Strafen erlitten. Der Friedenssaal im Rathhause ist ebenfalls ein<lb/>
historisches Monument, das sich unverändert erhalten hat. Aus viel älterer Zeit<lb/>
besitzt Münster noch Baudenkmale und Erinnerungen, die mehr Ausführlichkeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] Gegend schön ist, denn der Frühling ist wie die Jugend, die selbst die Häßlichkeit verklärt. Aber wenn auch keine noch so kleine Besitzung den Münstercmer in's Freie ruft, er eilt doch dahin, um die idyllischen Freuden der Ländlichkeit zu ge¬ nießen, und zwar in einer so gemüthlichen Weise, wie nirgend anders. In der flachen öden- Gegend zwischen Haide und Saud gibt es frische kleine Oasen von schattigem Gehölz umbuscht; es sind wahrhaft patriarchalische Wirthshäuser, Schüt¬ zenhofe zwischen grünen Kämpen, die zu irgend einer der zerstreuten Banerschaften gehören, und neben dem Ackerbau ganz gemüthlich eine Kaffee- und Weinschenke halten. Dorthinlenkt der Städter seine Schritte, um'Landluft zu genießen. Man kann bei dieser Gelegenheit von Jmlnermmm's prächtigem Hosschulzen zahlreiche Zwillingsbrüder in diesen idyllischen Bauernhöfen finden, „der Hofschulte" in Angelmvdde ist einer der ähnlichsten und würdigsten. Das Dorf selbst hat eine literar-historische Bedeutung erhalten durch die Grabstätte der Fürstin Galitzin. Ueber Wiesenpfade und die echt westphälischen, von lebendigen Hecken eingehegten Kämpe kommt man an den: Dorskirchlein vorüber, an dessen Seitenwand demüthig unter einem rvhgemeißelten Christusbilde, von den Dornen wilder Nosen umrankt, der fürstliche Name der berühmten bekehrte» Uebelsein in Stein gehalten ist. Im vorigen Jahrhundert war diese merkwürdige Frau der Anziehungspunkt für alle berühmten Zeitgenossen; Philosophen, Dichter und Propheten wallfahrteten ihret¬ wegen nach Münster, das außerdem so reich an interessanten Erinnerungen.ist. Die Stadt ist in ihrer alterthümlichen Schönheit noch immer eine würdige Staffage für die Ereignisse, deren Schauplatz sie war, sie hat eine bestimmte Physiognomie und hat gleichsam ihre Nationaltracht beibehalten neben dem modernen Zuschnitt anderer Städte. Die Giebel kehren sich nach alter Sitte nach der Straße zu und tragen ein zierliches Spitzengeflecht von Stein zur Schau. Erker mit halb¬ erhabener Arbeit und Bogengänge uuter den Häusern erinnern an die schönen Schwesterstädte Nürnberg und Danzig. Der Principalmarkt, der jetzt auf der Bühne im Propheten gezeigt wird, ist der Glanzpunkt dieser eigenthümlichen Ban¬ kunst, namentlich ist das Rathhaus ein herrliches Schnitzwerk von Stein; die Lambertnskirche bildet mit der gothischen Zackenkrvne ihres hohen Chors den Schlußstein dieser auserwählten Häuserreihe. Wenn ihre hohen Bogenfenster mit den reichfacettirten Rosetten bei abendlichem Gottesdienst erleuchtet sind, ist es ein künstlerischer Genuß, diese schöne Kirche zu betrachten. Ihr Thurm stört freilich den Eindruck; seine Häßlichkeit ist profanirend und die Eisenkäfige, welche all seiner Spitze hängen, macheu sie nur noch abschreckender. Es sind dies die Behälter, in denen die Haupträdelssührer der Wiedertäufer.von der damaligen Reaction ihre Strafen erlitten. Der Friedenssaal im Rathhause ist ebenfalls ein historisches Monument, das sich unverändert erhalten hat. Aus viel älterer Zeit besitzt Münster noch Baudenkmale und Erinnerungen, die mehr Ausführlichkeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/113>, abgerufen am 14.05.2024.