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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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' Mit der Darstellung des Franz Moor begann Döring, nach dem Tode Sey-
delmann's, im Jahre 1843 sein erstes Gastspiel in Berlin, und elektrisirte' durch
die Energie seiner Farbengebung, durch die mächtige Wirkung eines gewaltigen
Charakterbildes. Er ist groß in solchen Charakteren, welche durch Gewalt der
Leidenschaft aus den Schranken des Gewöhnlichen weichen, ohne geistiger Größe
zu bedürfen. Hier faßt sich die Genrehaftigkeit seiner Darstellungsweise durch eine
glühende Seelenstimmung zur Größe zusammen.

In Döring's Franz Moor haben wir die bubenhafte Unreife neben der nber-
legtesten Bosheit. In den noch jugendlichen Zügen, in welche Haß und Neid
ihre bezeichnenden Furchen gruben, lesen wir nicht minder deutlich die Spuren
einer stiefmütterlichen Natur, als den Einfluß verwahrloster Erziehung und krän¬
kender Zurücksetzung. Aus Verwahrlosung und Kränkung haben Mißgunst und
Verachtung gegen die Menschen eine selbstsüchtige Schlauheit und Heuchelei ent¬
wickelt. Nie läßt Döring die innere Bosheit lebhafter in das Antlitz treten, als
wenn Franz einen reinen Affect, Freude oder Schmerz, heucheln will und nicht
über den Widerspruch des Aeußern mit dem Innern hinauskommt. Er gibt nicht
den kalten, fertigen, im Raffinement verdorrten Sünder, sondernden von Leiden¬
schaften .zernagten, durch sie zur Lüge, Heuchelei und zu versteckten Schandthaten
getriebenen jugendlichen Bösewicht. In einer Hast und Wuth athmenden Rache-
gluth steht er vor uns in dem Augenblick, wo er sich gegen die stiesmüttterliche
Natur verschwört. Die Sehnen und Muskeln des Körpers scheinen sich auszu¬
dehnen, die ganze Gestalt sich cmporzurecken und zu wachsen, Ton und Accent
schärfen sich zuschneidender Intensität und bringen im Verein mit jener Anspannung
des Körpers deu Ausdruck eines furchtbar erregten Abgrundes von Leidenschaft
hervor.

Und doch klingt neben diesem wild Dämonischen auch das Menschliche des
Charakters dnrch die Döring'sche Darstellung. Der verbissene Grimm, mit wel¬
chem Franz, innerlich kochend, Amaliens Schmähungen erträgt, und wobei die
Züge etwas schmerzhaft Scheues annehmen, berührt uns sogar mit einem Anflug
von Mitgefühl. Wir blicken hier in eine der Ursachen, welche den trotzigen und
neidischen Knaben zum Teufel gemacht. Erschütternd ist die Darstellung des
Wendepunktes. Franz, welcher mit unbarmherziger Berechnung an dem Leben
des VaterL gerüttelt, schleicht der Ueberzeugung, ob der alte Moor todt sei, mit
Angst und Hoffnung entgegen. Er wagt kaum zu athmen, wirft einen Blick auf
den im Sessel ohnmächtig daliegenden Greis und hält ihn für gestorben. Die
Gewißheit des vollbrachten Vatermordes schlägt wie ein Blitz in ihn hinein. Mit
schlotternden Knieen, zugeschnürter Kehle wankt er ans dem Zimmer. Das Schuld¬
bewußtsein entwickelt sich nun in steigender Gewissensfurcht vom übertäubenden
Zechgelage und wollüstigen Trotz bis zur feigen und geisteswirren Verzweiflung.

Den wirklichen, lebendigen Leib für diesen Unmenschen Franz zu schaffen


' Mit der Darstellung des Franz Moor begann Döring, nach dem Tode Sey-
delmann's, im Jahre 1843 sein erstes Gastspiel in Berlin, und elektrisirte' durch
die Energie seiner Farbengebung, durch die mächtige Wirkung eines gewaltigen
Charakterbildes. Er ist groß in solchen Charakteren, welche durch Gewalt der
Leidenschaft aus den Schranken des Gewöhnlichen weichen, ohne geistiger Größe
zu bedürfen. Hier faßt sich die Genrehaftigkeit seiner Darstellungsweise durch eine
glühende Seelenstimmung zur Größe zusammen.

In Döring's Franz Moor haben wir die bubenhafte Unreife neben der nber-
legtesten Bosheit. In den noch jugendlichen Zügen, in welche Haß und Neid
ihre bezeichnenden Furchen gruben, lesen wir nicht minder deutlich die Spuren
einer stiefmütterlichen Natur, als den Einfluß verwahrloster Erziehung und krän¬
kender Zurücksetzung. Aus Verwahrlosung und Kränkung haben Mißgunst und
Verachtung gegen die Menschen eine selbstsüchtige Schlauheit und Heuchelei ent¬
wickelt. Nie läßt Döring die innere Bosheit lebhafter in das Antlitz treten, als
wenn Franz einen reinen Affect, Freude oder Schmerz, heucheln will und nicht
über den Widerspruch des Aeußern mit dem Innern hinauskommt. Er gibt nicht
den kalten, fertigen, im Raffinement verdorrten Sünder, sondernden von Leiden¬
schaften .zernagten, durch sie zur Lüge, Heuchelei und zu versteckten Schandthaten
getriebenen jugendlichen Bösewicht. In einer Hast und Wuth athmenden Rache-
gluth steht er vor uns in dem Augenblick, wo er sich gegen die stiesmüttterliche
Natur verschwört. Die Sehnen und Muskeln des Körpers scheinen sich auszu¬
dehnen, die ganze Gestalt sich cmporzurecken und zu wachsen, Ton und Accent
schärfen sich zuschneidender Intensität und bringen im Verein mit jener Anspannung
des Körpers deu Ausdruck eines furchtbar erregten Abgrundes von Leidenschaft
hervor.

Und doch klingt neben diesem wild Dämonischen auch das Menschliche des
Charakters dnrch die Döring'sche Darstellung. Der verbissene Grimm, mit wel¬
chem Franz, innerlich kochend, Amaliens Schmähungen erträgt, und wobei die
Züge etwas schmerzhaft Scheues annehmen, berührt uns sogar mit einem Anflug
von Mitgefühl. Wir blicken hier in eine der Ursachen, welche den trotzigen und
neidischen Knaben zum Teufel gemacht. Erschütternd ist die Darstellung des
Wendepunktes. Franz, welcher mit unbarmherziger Berechnung an dem Leben
des VaterL gerüttelt, schleicht der Ueberzeugung, ob der alte Moor todt sei, mit
Angst und Hoffnung entgegen. Er wagt kaum zu athmen, wirft einen Blick auf
den im Sessel ohnmächtig daliegenden Greis und hält ihn für gestorben. Die
Gewißheit des vollbrachten Vatermordes schlägt wie ein Blitz in ihn hinein. Mit
schlotternden Knieen, zugeschnürter Kehle wankt er ans dem Zimmer. Das Schuld¬
bewußtsein entwickelt sich nun in steigender Gewissensfurcht vom übertäubenden
Zechgelage und wollüstigen Trotz bis zur feigen und geisteswirren Verzweiflung.

Den wirklichen, lebendigen Leib für diesen Unmenschen Franz zu schaffen


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[0147] ' Mit der Darstellung des Franz Moor begann Döring, nach dem Tode Sey- delmann's, im Jahre 1843 sein erstes Gastspiel in Berlin, und elektrisirte' durch die Energie seiner Farbengebung, durch die mächtige Wirkung eines gewaltigen Charakterbildes. Er ist groß in solchen Charakteren, welche durch Gewalt der Leidenschaft aus den Schranken des Gewöhnlichen weichen, ohne geistiger Größe zu bedürfen. Hier faßt sich die Genrehaftigkeit seiner Darstellungsweise durch eine glühende Seelenstimmung zur Größe zusammen. In Döring's Franz Moor haben wir die bubenhafte Unreife neben der nber- legtesten Bosheit. In den noch jugendlichen Zügen, in welche Haß und Neid ihre bezeichnenden Furchen gruben, lesen wir nicht minder deutlich die Spuren einer stiefmütterlichen Natur, als den Einfluß verwahrloster Erziehung und krän¬ kender Zurücksetzung. Aus Verwahrlosung und Kränkung haben Mißgunst und Verachtung gegen die Menschen eine selbstsüchtige Schlauheit und Heuchelei ent¬ wickelt. Nie läßt Döring die innere Bosheit lebhafter in das Antlitz treten, als wenn Franz einen reinen Affect, Freude oder Schmerz, heucheln will und nicht über den Widerspruch des Aeußern mit dem Innern hinauskommt. Er gibt nicht den kalten, fertigen, im Raffinement verdorrten Sünder, sondernden von Leiden¬ schaften .zernagten, durch sie zur Lüge, Heuchelei und zu versteckten Schandthaten getriebenen jugendlichen Bösewicht. In einer Hast und Wuth athmenden Rache- gluth steht er vor uns in dem Augenblick, wo er sich gegen die stiesmüttterliche Natur verschwört. Die Sehnen und Muskeln des Körpers scheinen sich auszu¬ dehnen, die ganze Gestalt sich cmporzurecken und zu wachsen, Ton und Accent schärfen sich zuschneidender Intensität und bringen im Verein mit jener Anspannung des Körpers deu Ausdruck eines furchtbar erregten Abgrundes von Leidenschaft hervor. Und doch klingt neben diesem wild Dämonischen auch das Menschliche des Charakters dnrch die Döring'sche Darstellung. Der verbissene Grimm, mit wel¬ chem Franz, innerlich kochend, Amaliens Schmähungen erträgt, und wobei die Züge etwas schmerzhaft Scheues annehmen, berührt uns sogar mit einem Anflug von Mitgefühl. Wir blicken hier in eine der Ursachen, welche den trotzigen und neidischen Knaben zum Teufel gemacht. Erschütternd ist die Darstellung des Wendepunktes. Franz, welcher mit unbarmherziger Berechnung an dem Leben des VaterL gerüttelt, schleicht der Ueberzeugung, ob der alte Moor todt sei, mit Angst und Hoffnung entgegen. Er wagt kaum zu athmen, wirft einen Blick auf den im Sessel ohnmächtig daliegenden Greis und hält ihn für gestorben. Die Gewißheit des vollbrachten Vatermordes schlägt wie ein Blitz in ihn hinein. Mit schlotternden Knieen, zugeschnürter Kehle wankt er ans dem Zimmer. Das Schuld¬ bewußtsein entwickelt sich nun in steigender Gewissensfurcht vom übertäubenden Zechgelage und wollüstigen Trotz bis zur feigen und geisteswirren Verzweiflung. Den wirklichen, lebendigen Leib für diesen Unmenschen Franz zu schaffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/147>, abgerufen am 15.05.2024.