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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Sorge schenkt, Lein und Erbsen. Obschon sie keinen Handelsartikel abgeben und fast
nur für die Haushaltung verwendet werden, so sind sie doch sein Stolz. Das Erbsen¬
land stürzt man im Herbst, bedeckt es im Winter mit Dünger, und pflügt es im März
oder April zur Saat. Da mau vom Einharken des Düngers in Polen nichts
weiß und ziemlich flach pflügt, so bleiben natürlich unzähliche Düngcrflockeu un¬
bedeckt. Diese werden vor der Saat dnrch die leichten Eggen zerrissen und zum
Theil abgcschleift, sodann wird der Boden mit umgelegten Pfluge gerieft, gesäet
und der Samen eingeeggt. Eben so "umständlich" ist die Behandlung des Leims.

Zu den Sommerfrüchten rechnet der polnische Landwirth auch den Oelsamen,
und bringt ihn daher in das Feld, welches der Gerste oder dem Hafer eingeräumt
werden sollte. Allein er hält die Oelfrüchte für zarte ausländische Gewächse und
macht sich mit ihnen wenig zu schaffen. Daher wird der Rübsen und Raps ge¬
wöhnlich nnr zum eigenen Bedarf in dem "Palastgarten" gezogen. Der Öl¬
verbrauch in Polen wie in Rußland ist nicht sehr bedeutend, da die Bevölkerung
der Dörfer und der kleinen Städte selten anderes Brennmaterial als Kienspäne
benutzt und Talg nicht theuer ist. Demungeachtet müssen noch große Oelmassen
ans dem Auslande eingeführt werden, um den Bedarf der größern Städte zu
decken. Wie an der Frucht, fehlt es auch an Mühlen.

Auch der Anbau der Futterkräuter ist "och sehr selten; Klee, Luzern, Espar¬
sette sieht man nirgend auf deu Feldern und nnr etwa in den herrschaftlichen
Gärten, wo er wie eine zarte Pflanze behandelt und als ganz besonderer Lecker¬
bissen den herrschaftlichen Reit- und Kutschpferden zugeeignet, wird. Von Wick¬
futter weiß man gar nichts.

Was ich hier kurz zu schildern versuchte, ist der Zustand der polnischen Land-
wirthschaft, wie sie auf der ungeheuern Mehrzahl der polnischen Güter sich dar¬
stellt. Allerdings gibt es ehrenvolle Ausnahmen, v. Wittkowski, die Grafen
Lipski, Potocki und Andere haben durch eigene Bildung oder tüchtige deutsche
Beamte sehr viel auf ihren Gütern gebessert, und hier und da sogar mit zuviel
deutscher Theorie. Aber sie sind immer noch eine kleine Minorität, und ihre
Zahl vermehrt sich sehr langsam, obschon das berühmte landwirtschaftliche In¬
stitut Marymont bei Warschau alljährlich zwanzig bis dreißig Jünglinge entläßt.
Die jungen Leute besuchen das Institut in der Regel aus demselben Grunde,
ans dem ihre Väter eine Menge landwirtschaftlicher Maschinen kaufen. Haben
sie das Institut verlassen, so werfen sie sich ihren jungen Freunden und politischen
Studien in die Arme, und kommen sie endlich ans ihrer idealen Welt in die
Heimath zurück, so ist ihnen die Landwirthschaft gleichgiltig, und sie lassen es in
ihren Dörfern fortbestehen, wie zu ihrer Väter Zeiten. Das größte Hinderniß
des Fortschrittes aber liegt in dem Robotverhältniß. Bei dem Schlendrian sol¬
cher Arbeiter und solcher Werkzeuge erfordert auch die kleinste Verbesserung einen
großen Aufwand von Energie und einen beständigen Kampf, in welchem zuletzt


Sorge schenkt, Lein und Erbsen. Obschon sie keinen Handelsartikel abgeben und fast
nur für die Haushaltung verwendet werden, so sind sie doch sein Stolz. Das Erbsen¬
land stürzt man im Herbst, bedeckt es im Winter mit Dünger, und pflügt es im März
oder April zur Saat. Da mau vom Einharken des Düngers in Polen nichts
weiß und ziemlich flach pflügt, so bleiben natürlich unzähliche Düngcrflockeu un¬
bedeckt. Diese werden vor der Saat dnrch die leichten Eggen zerrissen und zum
Theil abgcschleift, sodann wird der Boden mit umgelegten Pfluge gerieft, gesäet
und der Samen eingeeggt. Eben so „umständlich" ist die Behandlung des Leims.

Zu den Sommerfrüchten rechnet der polnische Landwirth auch den Oelsamen,
und bringt ihn daher in das Feld, welches der Gerste oder dem Hafer eingeräumt
werden sollte. Allein er hält die Oelfrüchte für zarte ausländische Gewächse und
macht sich mit ihnen wenig zu schaffen. Daher wird der Rübsen und Raps ge¬
wöhnlich nnr zum eigenen Bedarf in dem „Palastgarten" gezogen. Der Öl¬
verbrauch in Polen wie in Rußland ist nicht sehr bedeutend, da die Bevölkerung
der Dörfer und der kleinen Städte selten anderes Brennmaterial als Kienspäne
benutzt und Talg nicht theuer ist. Demungeachtet müssen noch große Oelmassen
ans dem Auslande eingeführt werden, um den Bedarf der größern Städte zu
decken. Wie an der Frucht, fehlt es auch an Mühlen.

Auch der Anbau der Futterkräuter ist »och sehr selten; Klee, Luzern, Espar¬
sette sieht man nirgend auf deu Feldern und nnr etwa in den herrschaftlichen
Gärten, wo er wie eine zarte Pflanze behandelt und als ganz besonderer Lecker¬
bissen den herrschaftlichen Reit- und Kutschpferden zugeeignet, wird. Von Wick¬
futter weiß man gar nichts.

Was ich hier kurz zu schildern versuchte, ist der Zustand der polnischen Land-
wirthschaft, wie sie auf der ungeheuern Mehrzahl der polnischen Güter sich dar¬
stellt. Allerdings gibt es ehrenvolle Ausnahmen, v. Wittkowski, die Grafen
Lipski, Potocki und Andere haben durch eigene Bildung oder tüchtige deutsche
Beamte sehr viel auf ihren Gütern gebessert, und hier und da sogar mit zuviel
deutscher Theorie. Aber sie sind immer noch eine kleine Minorität, und ihre
Zahl vermehrt sich sehr langsam, obschon das berühmte landwirtschaftliche In¬
stitut Marymont bei Warschau alljährlich zwanzig bis dreißig Jünglinge entläßt.
Die jungen Leute besuchen das Institut in der Regel aus demselben Grunde,
ans dem ihre Väter eine Menge landwirtschaftlicher Maschinen kaufen. Haben
sie das Institut verlassen, so werfen sie sich ihren jungen Freunden und politischen
Studien in die Arme, und kommen sie endlich ans ihrer idealen Welt in die
Heimath zurück, so ist ihnen die Landwirthschaft gleichgiltig, und sie lassen es in
ihren Dörfern fortbestehen, wie zu ihrer Väter Zeiten. Das größte Hinderniß
des Fortschrittes aber liegt in dem Robotverhältniß. Bei dem Schlendrian sol¬
cher Arbeiter und solcher Werkzeuge erfordert auch die kleinste Verbesserung einen
großen Aufwand von Energie und einen beständigen Kampf, in welchem zuletzt


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[0156] Sorge schenkt, Lein und Erbsen. Obschon sie keinen Handelsartikel abgeben und fast nur für die Haushaltung verwendet werden, so sind sie doch sein Stolz. Das Erbsen¬ land stürzt man im Herbst, bedeckt es im Winter mit Dünger, und pflügt es im März oder April zur Saat. Da mau vom Einharken des Düngers in Polen nichts weiß und ziemlich flach pflügt, so bleiben natürlich unzähliche Düngcrflockeu un¬ bedeckt. Diese werden vor der Saat dnrch die leichten Eggen zerrissen und zum Theil abgcschleift, sodann wird der Boden mit umgelegten Pfluge gerieft, gesäet und der Samen eingeeggt. Eben so „umständlich" ist die Behandlung des Leims. Zu den Sommerfrüchten rechnet der polnische Landwirth auch den Oelsamen, und bringt ihn daher in das Feld, welches der Gerste oder dem Hafer eingeräumt werden sollte. Allein er hält die Oelfrüchte für zarte ausländische Gewächse und macht sich mit ihnen wenig zu schaffen. Daher wird der Rübsen und Raps ge¬ wöhnlich nnr zum eigenen Bedarf in dem „Palastgarten" gezogen. Der Öl¬ verbrauch in Polen wie in Rußland ist nicht sehr bedeutend, da die Bevölkerung der Dörfer und der kleinen Städte selten anderes Brennmaterial als Kienspäne benutzt und Talg nicht theuer ist. Demungeachtet müssen noch große Oelmassen ans dem Auslande eingeführt werden, um den Bedarf der größern Städte zu decken. Wie an der Frucht, fehlt es auch an Mühlen. Auch der Anbau der Futterkräuter ist »och sehr selten; Klee, Luzern, Espar¬ sette sieht man nirgend auf deu Feldern und nnr etwa in den herrschaftlichen Gärten, wo er wie eine zarte Pflanze behandelt und als ganz besonderer Lecker¬ bissen den herrschaftlichen Reit- und Kutschpferden zugeeignet, wird. Von Wick¬ futter weiß man gar nichts. Was ich hier kurz zu schildern versuchte, ist der Zustand der polnischen Land- wirthschaft, wie sie auf der ungeheuern Mehrzahl der polnischen Güter sich dar¬ stellt. Allerdings gibt es ehrenvolle Ausnahmen, v. Wittkowski, die Grafen Lipski, Potocki und Andere haben durch eigene Bildung oder tüchtige deutsche Beamte sehr viel auf ihren Gütern gebessert, und hier und da sogar mit zuviel deutscher Theorie. Aber sie sind immer noch eine kleine Minorität, und ihre Zahl vermehrt sich sehr langsam, obschon das berühmte landwirtschaftliche In¬ stitut Marymont bei Warschau alljährlich zwanzig bis dreißig Jünglinge entläßt. Die jungen Leute besuchen das Institut in der Regel aus demselben Grunde, ans dem ihre Väter eine Menge landwirtschaftlicher Maschinen kaufen. Haben sie das Institut verlassen, so werfen sie sich ihren jungen Freunden und politischen Studien in die Arme, und kommen sie endlich ans ihrer idealen Welt in die Heimath zurück, so ist ihnen die Landwirthschaft gleichgiltig, und sie lassen es in ihren Dörfern fortbestehen, wie zu ihrer Väter Zeiten. Das größte Hinderniß des Fortschrittes aber liegt in dem Robotverhältniß. Bei dem Schlendrian sol¬ cher Arbeiter und solcher Werkzeuge erfordert auch die kleinste Verbesserung einen großen Aufwand von Energie und einen beständigen Kampf, in welchem zuletzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/156>, abgerufen am 14.05.2024.