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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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mit man die Männer der Wissenschaft bezeichnet, als bei unserm. Wer gelehrt
ist, heißt Doctrinair.

Die adelige Reaction ist deshalb auch eine incarnirte Feindin der Neugestal¬
tung im Schulwesen. So lange es Sitte und Gesetz war, daß die Jünger der
Facultäten wie Schulknaben zu jedem Semester eine Prüfung ablegten, überdies
noch das Privatstudium gestattet war, legte der Junker, der zu Hanse Unterricht
genoß, zu jedem halben Jahre in Gegenwart des Herrn Professors und seines
Hofmeisters eine Prüfung ab. Der Herr Professor war mild gegen den Sohn
des Mannes, der einflußreich auch aus sein Schicksal war; auch ging es denn doch
immer an, so viel zu erlernen, daß man daraus geprüft werden konnte, was in
einem halben Jahre gelehrt wurde. Die Semestralprüfungen haben aufgehört,
das Privatstudium nicht minder. Der Sohn des Hochgeborner soll neben dem
seines einstigen Unterthanen auf der Schulbank sitzen und von einem zweijährigen
Studium öffentlich und vor aller seiner Mitschüler Augen Prüfung machen; dazu
mögen die stärkern bürgerlichen Nerven gut sein. Die adeligen Naturen sind dazu
zu fein, deshalb wird auch in den- reactiouairen Blättern fortwährend gegen die
Staatsprüfungen agitirt. Der hohe Adel aber läßt seitdem zumeist seine Söhne
in die Reihen der Armee treten, wo sie Nichts zu wissen, Nichts zu lernen brauchen
und doch "avanciren können. Die Aristokratie verbindet damit noch einen andern
Zweck: sie will sich der Armee versichern. Sie wissen, welche Summe revolutio-
nairer Elemente in die östreichische Armee gekommen ist. Wer sich vergangen hatte,
und doch nicht straffällig war, wurde unter die Soldaten gesteckt. Die Studenten
der Anta, die einstigen Honveds und die Crociati fanden in dieser Corrections-
anstalt ihren Platz. Aber bei einer Armee, die der Art gegliedert und fest geügft
ist, wie die östreichische, ist Alles an den Officieren gelegen. Die Gesinnung wird
hier wie die Parole im Tagesbefehl ausgetheilt. Während des Krieges in Ungarn
und Italien, wo man die Nothwendigkeit einsah, tüchtige Officiere zu haben,
wurden Verdienstvolle ohne Ausnahme befördert. Vorzüglich war es Radetzky,
der Bürgerliche beförderte, wenn sie nur tapfer waren. Windischgrätz, der ein
Aehnliches verschmähte, büßte es auf seinem Rückzüge hart. Die östreichische
Armee wurde nicht blos geschlagen, sie kam in Preßburg in einem aufgelösten
Zustande an. Ein hochgestellter östreichischer General schrieb damals: "Die kai¬
serliche Armee ist wol schon oft geschlagen worden, aber debandirt hat sie noch
nie." Es war dies die Folge davon, daß der Fürst die Officiere mehr nach der
Geburt, als nach dem Verdienste wählte. Man ging während des Krieges davon
ab; jetzt nach dem Kriege ist man zu diesem Systeme zurückgekehrt, und der
verdienstvolle bürgerliche Officier kann jahrelang in einer untergeordneten Stellung
bleiben, weil die erledigten Dienstposten mit Adeligen ausgefüllt werden müssen;
die höchsten Dienstposten sind von Hochtoristischen Generalen besetzt, denen selbst
das Ministerium ein Greuel ist, weil 2 Bürgerliche darin sitzen.




mit man die Männer der Wissenschaft bezeichnet, als bei unserm. Wer gelehrt
ist, heißt Doctrinair.

Die adelige Reaction ist deshalb auch eine incarnirte Feindin der Neugestal¬
tung im Schulwesen. So lange es Sitte und Gesetz war, daß die Jünger der
Facultäten wie Schulknaben zu jedem Semester eine Prüfung ablegten, überdies
noch das Privatstudium gestattet war, legte der Junker, der zu Hanse Unterricht
genoß, zu jedem halben Jahre in Gegenwart des Herrn Professors und seines
Hofmeisters eine Prüfung ab. Der Herr Professor war mild gegen den Sohn
des Mannes, der einflußreich auch aus sein Schicksal war; auch ging es denn doch
immer an, so viel zu erlernen, daß man daraus geprüft werden konnte, was in
einem halben Jahre gelehrt wurde. Die Semestralprüfungen haben aufgehört,
das Privatstudium nicht minder. Der Sohn des Hochgeborner soll neben dem
seines einstigen Unterthanen auf der Schulbank sitzen und von einem zweijährigen
Studium öffentlich und vor aller seiner Mitschüler Augen Prüfung machen; dazu
mögen die stärkern bürgerlichen Nerven gut sein. Die adeligen Naturen sind dazu
zu fein, deshalb wird auch in den- reactiouairen Blättern fortwährend gegen die
Staatsprüfungen agitirt. Der hohe Adel aber läßt seitdem zumeist seine Söhne
in die Reihen der Armee treten, wo sie Nichts zu wissen, Nichts zu lernen brauchen
und doch "avanciren können. Die Aristokratie verbindet damit noch einen andern
Zweck: sie will sich der Armee versichern. Sie wissen, welche Summe revolutio-
nairer Elemente in die östreichische Armee gekommen ist. Wer sich vergangen hatte,
und doch nicht straffällig war, wurde unter die Soldaten gesteckt. Die Studenten
der Anta, die einstigen Honveds und die Crociati fanden in dieser Corrections-
anstalt ihren Platz. Aber bei einer Armee, die der Art gegliedert und fest geügft
ist, wie die östreichische, ist Alles an den Officieren gelegen. Die Gesinnung wird
hier wie die Parole im Tagesbefehl ausgetheilt. Während des Krieges in Ungarn
und Italien, wo man die Nothwendigkeit einsah, tüchtige Officiere zu haben,
wurden Verdienstvolle ohne Ausnahme befördert. Vorzüglich war es Radetzky,
der Bürgerliche beförderte, wenn sie nur tapfer waren. Windischgrätz, der ein
Aehnliches verschmähte, büßte es auf seinem Rückzüge hart. Die östreichische
Armee wurde nicht blos geschlagen, sie kam in Preßburg in einem aufgelösten
Zustande an. Ein hochgestellter östreichischer General schrieb damals: „Die kai¬
serliche Armee ist wol schon oft geschlagen worden, aber debandirt hat sie noch
nie." Es war dies die Folge davon, daß der Fürst die Officiere mehr nach der
Geburt, als nach dem Verdienste wählte. Man ging während des Krieges davon
ab; jetzt nach dem Kriege ist man zu diesem Systeme zurückgekehrt, und der
verdienstvolle bürgerliche Officier kann jahrelang in einer untergeordneten Stellung
bleiben, weil die erledigten Dienstposten mit Adeligen ausgefüllt werden müssen;
die höchsten Dienstposten sind von Hochtoristischen Generalen besetzt, denen selbst
das Ministerium ein Greuel ist, weil 2 Bürgerliche darin sitzen.




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[0162] mit man die Männer der Wissenschaft bezeichnet, als bei unserm. Wer gelehrt ist, heißt Doctrinair. Die adelige Reaction ist deshalb auch eine incarnirte Feindin der Neugestal¬ tung im Schulwesen. So lange es Sitte und Gesetz war, daß die Jünger der Facultäten wie Schulknaben zu jedem Semester eine Prüfung ablegten, überdies noch das Privatstudium gestattet war, legte der Junker, der zu Hanse Unterricht genoß, zu jedem halben Jahre in Gegenwart des Herrn Professors und seines Hofmeisters eine Prüfung ab. Der Herr Professor war mild gegen den Sohn des Mannes, der einflußreich auch aus sein Schicksal war; auch ging es denn doch immer an, so viel zu erlernen, daß man daraus geprüft werden konnte, was in einem halben Jahre gelehrt wurde. Die Semestralprüfungen haben aufgehört, das Privatstudium nicht minder. Der Sohn des Hochgeborner soll neben dem seines einstigen Unterthanen auf der Schulbank sitzen und von einem zweijährigen Studium öffentlich und vor aller seiner Mitschüler Augen Prüfung machen; dazu mögen die stärkern bürgerlichen Nerven gut sein. Die adeligen Naturen sind dazu zu fein, deshalb wird auch in den- reactiouairen Blättern fortwährend gegen die Staatsprüfungen agitirt. Der hohe Adel aber läßt seitdem zumeist seine Söhne in die Reihen der Armee treten, wo sie Nichts zu wissen, Nichts zu lernen brauchen und doch "avanciren können. Die Aristokratie verbindet damit noch einen andern Zweck: sie will sich der Armee versichern. Sie wissen, welche Summe revolutio- nairer Elemente in die östreichische Armee gekommen ist. Wer sich vergangen hatte, und doch nicht straffällig war, wurde unter die Soldaten gesteckt. Die Studenten der Anta, die einstigen Honveds und die Crociati fanden in dieser Corrections- anstalt ihren Platz. Aber bei einer Armee, die der Art gegliedert und fest geügft ist, wie die östreichische, ist Alles an den Officieren gelegen. Die Gesinnung wird hier wie die Parole im Tagesbefehl ausgetheilt. Während des Krieges in Ungarn und Italien, wo man die Nothwendigkeit einsah, tüchtige Officiere zu haben, wurden Verdienstvolle ohne Ausnahme befördert. Vorzüglich war es Radetzky, der Bürgerliche beförderte, wenn sie nur tapfer waren. Windischgrätz, der ein Aehnliches verschmähte, büßte es auf seinem Rückzüge hart. Die östreichische Armee wurde nicht blos geschlagen, sie kam in Preßburg in einem aufgelösten Zustande an. Ein hochgestellter östreichischer General schrieb damals: „Die kai¬ serliche Armee ist wol schon oft geschlagen worden, aber debandirt hat sie noch nie." Es war dies die Folge davon, daß der Fürst die Officiere mehr nach der Geburt, als nach dem Verdienste wählte. Man ging während des Krieges davon ab; jetzt nach dem Kriege ist man zu diesem Systeme zurückgekehrt, und der verdienstvolle bürgerliche Officier kann jahrelang in einer untergeordneten Stellung bleiben, weil die erledigten Dienstposten mit Adeligen ausgefüllt werden müssen; die höchsten Dienstposten sind von Hochtoristischen Generalen besetzt, denen selbst das Ministerium ein Greuel ist, weil 2 Bürgerliche darin sitzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/162>, abgerufen am 15.05.2024.