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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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derbare Mißverständniß hervor, daß man dieses Gedicht, in welchem sich doch die
religiöse Subjectivität mit großer Härte gegen die verweltlichte Kirche empörte,
als einen Ausdruck kirchlicher Reaction betrachtete. Wenn er in einem seiner
neuern Gedichte sagt:

so scheint die Beziehung ziemlich unzweideutig, allein gleich daraus kommt eine Po¬
lemik gegen die Rationalisten, die uns wieder irre sührt. Es ist offenbar ein
Mangel, der zu gleicher Zeit in der Unsicherheit des Gemüths liegt. -- Zuweilen
greift der Zorn zu Bildern, die geradezu häßlich sind und sich ins Wüste ver¬
lieren, z. B.:

oder wenn von der Kunst gesagt wird:

Wenn hier die Leidenschaft übertreibt, um sich in Athem zu erhalten, so ist
dagegen an einem andern Gedicht zu Ehren des Erzherzog Karl zu bemerken,
wie wenig der Dichter geeignet war, aus einem gegebenen positiven Stoff Etwas
zu machen, daß er überhaupt nnr sprechen konnte, wenn der Sturm des Zornes
ihn trieb. -- Auch einige Balladen finden sich wieder, wie schon in den frühern
Sammlungen, die nach einer weit angelegten Schilderung zuletzt in Nichts auslaufen.

Trotz dieser Ausstellungen ist die vorliegende Sammlung immer ein dankens-
werther Beitrag für die Charakteristik des Dichters, dessen großes Talent wir
eben so bewundern, wie wir sein unglückseliges Schicksal beklagen. Wir schließen
einige Bemerkungen über die Eigenthümlichkeit seines Dichtens an, die unser
erstes, im vorigen Jahre unter dem Eindruck der Nachricht seines Todes geschrie¬
benes Referat ergänzen mögen.

Nimbsch von Strehlenau ist im Jahre 1802 im Banat geboren, hat zuerst
Jurisprudenz, dann Medicin studirt. Seine ersten Gedichte wurden von seinem
Freunde Gustav Schwab 1832 herausgegeben, in demselben Jahre, wo die
"Spaziergänge eines Wiener Poeten" erschienen. Der Dichter selbst suchte sich


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derbare Mißverständniß hervor, daß man dieses Gedicht, in welchem sich doch die
religiöse Subjectivität mit großer Härte gegen die verweltlichte Kirche empörte,
als einen Ausdruck kirchlicher Reaction betrachtete. Wenn er in einem seiner
neuern Gedichte sagt:

so scheint die Beziehung ziemlich unzweideutig, allein gleich daraus kommt eine Po¬
lemik gegen die Rationalisten, die uns wieder irre sührt. Es ist offenbar ein
Mangel, der zu gleicher Zeit in der Unsicherheit des Gemüths liegt. — Zuweilen
greift der Zorn zu Bildern, die geradezu häßlich sind und sich ins Wüste ver¬
lieren, z. B.:

oder wenn von der Kunst gesagt wird:

Wenn hier die Leidenschaft übertreibt, um sich in Athem zu erhalten, so ist
dagegen an einem andern Gedicht zu Ehren des Erzherzog Karl zu bemerken,
wie wenig der Dichter geeignet war, aus einem gegebenen positiven Stoff Etwas
zu machen, daß er überhaupt nnr sprechen konnte, wenn der Sturm des Zornes
ihn trieb. — Auch einige Balladen finden sich wieder, wie schon in den frühern
Sammlungen, die nach einer weit angelegten Schilderung zuletzt in Nichts auslaufen.

Trotz dieser Ausstellungen ist die vorliegende Sammlung immer ein dankens-
werther Beitrag für die Charakteristik des Dichters, dessen großes Talent wir
eben so bewundern, wie wir sein unglückseliges Schicksal beklagen. Wir schließen
einige Bemerkungen über die Eigenthümlichkeit seines Dichtens an, die unser
erstes, im vorigen Jahre unter dem Eindruck der Nachricht seines Todes geschrie¬
benes Referat ergänzen mögen.

Nimbsch von Strehlenau ist im Jahre 1802 im Banat geboren, hat zuerst
Jurisprudenz, dann Medicin studirt. Seine ersten Gedichte wurden von seinem
Freunde Gustav Schwab 1832 herausgegeben, in demselben Jahre, wo die
„Spaziergänge eines Wiener Poeten" erschienen. Der Dichter selbst suchte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/175>, abgerufen am 09.06.2024.