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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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aber wieder vereinzelte idyllische sentimentale Bilder und Gleichnisse, die mehr
eine Caprice als ein wahres Gefühl ausdrücken. Das Herz ist voll, aber die
Zunge gelähmt. Wir werden durch die tiefe Schwermuth des Gedichts gerührt,
aber wir werden nicht ergriffen,, denn es ist in der Production keine Spannkraft;
es treten Personen auf, um augenblicklich wieder zu verschwinden, es werden
große Entwürfe gemacht und dann wieder fallen gelassen -- wir stehen vor einem
phantastischen Schattenspiel.

In dem zweiten historischen Stoff, den er behandelt hat, dem Savauarola,
würde uns die Inbrunst des Gefühls, die sich diesmal in den concreten Vorstel¬
lungen der Religion bewegt und daher verhältnißmäßig einen größern Reichthum
von Gedanken entwickelt, noch lebhafter ergreifen, wenn nicht die Eintönigkeit des
elegischen Vermaßes uns ermüdete und wenn uicht bei den vielen, zum Theil
tiefen Reflexionen dennoch der Mangel an wirklicher Gestaltung unangenehm her¬
vorträte. Was übrigens den Sinn dieses Gedichts betrifft, so ist er nicht blos
gegen das neukatholische Heidenthum der Hauptstadt der Christenheit im fünfzehn¬
ten Jahrhundert und gegen die gemüthlose Scholastik desselben gerichtet, sondern
eben so gegen die Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts. Dem Anschein
nach bekämpft Lenau den weltlichen Sinn derselben, eigentlich haßt er aber an
ihr jene bequeme Versöhnung und Befriedigung, die den Schmerz durch Verstan¬
desformeln hinwegläugnen möchte. Sie beantwortet die kühnsten Fragen mit
pädagogischer Gemessenheit, während das Herz des Dichters uicht nach der Ant¬
wort, sondern nach dem Gefühl der unlösbaren Frage trachtet, weil dieses Gefühl
seinem Schmerz erst die Berechtigung giebt. So läßt er in seinem Faust, ganz
anders als Goethe, den Helden im Mephisto untergehen. Der Dichter kann nur
den Frieden geben, den er selber hat. Lenau's Skepticismus geht nicht aus dem
Unglauben des Verstandes hervor, sondern aus dem Zweifel des Herzens. Sein
Weltschmerz ist nicht, wie bei den meisten übrigen Dichtern, ein coqnettes Tändeln
mit deu Problemen der Mode, sondern die Trauer eines edlen Gemüths über
seinen eignen Verlust. Daher die schauerlichen Nachtstücke in seinen Gedichten,
die in der Natur ein Bild seines eignen Geistes abmalen; daher diese Beklom¬
menheit einer düstern Atmosphäre, die sich auch über die bunt angelegten Laud-
schastsgemälde breitet; dieses Hineinschauen des Todes und seiner Schreckbilder
in das sonst sehr energisch mitgefühlte Naturleben. Am Freicsten sind noch die
Schilderungen seiner Heimath, der dunkle Wald, der Maghare auf seinem Roß
und der Zigeuner mit der Geige, obgleich uns auch hier schon ein finsterer Zug
überall begegnet, der zuweilen in's Barocke und Manierirte streift. Viel kränk¬
licher sind die Darstellungen der amerikanischen Waldeinsamkeit; aus den großar¬
tigen Scenen einer wilden Natur schaudert ihm überall das Gespenst der Ver¬
gänglichkeit entgegen, und dieser Gedanke verläßt ihn nicht, anch wenn ein ganz
bestimmter Gegenstand eine objective Schilderung verlangt.


aber wieder vereinzelte idyllische sentimentale Bilder und Gleichnisse, die mehr
eine Caprice als ein wahres Gefühl ausdrücken. Das Herz ist voll, aber die
Zunge gelähmt. Wir werden durch die tiefe Schwermuth des Gedichts gerührt,
aber wir werden nicht ergriffen,, denn es ist in der Production keine Spannkraft;
es treten Personen auf, um augenblicklich wieder zu verschwinden, es werden
große Entwürfe gemacht und dann wieder fallen gelassen — wir stehen vor einem
phantastischen Schattenspiel.

In dem zweiten historischen Stoff, den er behandelt hat, dem Savauarola,
würde uns die Inbrunst des Gefühls, die sich diesmal in den concreten Vorstel¬
lungen der Religion bewegt und daher verhältnißmäßig einen größern Reichthum
von Gedanken entwickelt, noch lebhafter ergreifen, wenn nicht die Eintönigkeit des
elegischen Vermaßes uns ermüdete und wenn uicht bei den vielen, zum Theil
tiefen Reflexionen dennoch der Mangel an wirklicher Gestaltung unangenehm her¬
vorträte. Was übrigens den Sinn dieses Gedichts betrifft, so ist er nicht blos
gegen das neukatholische Heidenthum der Hauptstadt der Christenheit im fünfzehn¬
ten Jahrhundert und gegen die gemüthlose Scholastik desselben gerichtet, sondern
eben so gegen die Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts. Dem Anschein
nach bekämpft Lenau den weltlichen Sinn derselben, eigentlich haßt er aber an
ihr jene bequeme Versöhnung und Befriedigung, die den Schmerz durch Verstan¬
desformeln hinwegläugnen möchte. Sie beantwortet die kühnsten Fragen mit
pädagogischer Gemessenheit, während das Herz des Dichters uicht nach der Ant¬
wort, sondern nach dem Gefühl der unlösbaren Frage trachtet, weil dieses Gefühl
seinem Schmerz erst die Berechtigung giebt. So läßt er in seinem Faust, ganz
anders als Goethe, den Helden im Mephisto untergehen. Der Dichter kann nur
den Frieden geben, den er selber hat. Lenau's Skepticismus geht nicht aus dem
Unglauben des Verstandes hervor, sondern aus dem Zweifel des Herzens. Sein
Weltschmerz ist nicht, wie bei den meisten übrigen Dichtern, ein coqnettes Tändeln
mit deu Problemen der Mode, sondern die Trauer eines edlen Gemüths über
seinen eignen Verlust. Daher die schauerlichen Nachtstücke in seinen Gedichten,
die in der Natur ein Bild seines eignen Geistes abmalen; daher diese Beklom¬
menheit einer düstern Atmosphäre, die sich auch über die bunt angelegten Laud-
schastsgemälde breitet; dieses Hineinschauen des Todes und seiner Schreckbilder
in das sonst sehr energisch mitgefühlte Naturleben. Am Freicsten sind noch die
Schilderungen seiner Heimath, der dunkle Wald, der Maghare auf seinem Roß
und der Zigeuner mit der Geige, obgleich uns auch hier schon ein finsterer Zug
überall begegnet, der zuweilen in's Barocke und Manierirte streift. Viel kränk¬
licher sind die Darstellungen der amerikanischen Waldeinsamkeit; aus den großar¬
tigen Scenen einer wilden Natur schaudert ihm überall das Gespenst der Ver¬
gänglichkeit entgegen, und dieser Gedanke verläßt ihn nicht, anch wenn ein ganz
bestimmter Gegenstand eine objective Schilderung verlangt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/177>, abgerufen am 14.05.2024.