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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ihre Jauitscharenvorrechte in Gefahr, und sie übten die Lehre -vom gesetzlichen
Widerstande zum großen Schrecken des Divans praktisch und sehr nachdrücklich.
Als aber durch den sentimentalen Chalti-Scherif von Gülhaue der Divan für
die Christen Partei zu nehmen schien, wurde der Egoismus und Fanatismus der
alttürkischen Partei aufs höchste erbittert, und der Widerstand gegen den Divan
wurde ein Gebot Gottes. Natürlich wußten auch idie böhmischen Türken diese
Chancen meisterlich auszubeuten; die von der Pforte eingesetzten Wezire und
Paschen standen ohnehin der alttürkischcu Partei näher als dem Divan, Bestechung
und Ueberredung machten das Uebrige. Zogen die Wezire gegen die Insurgen-
ten in's Feld, so ließen sie sich für gutes Geld schlagen und meldeten nach Stam-
bul, daß sie Nichts auszurichten vermöchten, was man ihnen Kor Ars mal xrs
glauben mußte. Die Jnsurgenten behielten ihre Vorrechte, und wurden durch
ihre steten Erfolge immer anmaßender und dreister; sie begnügten sich nicht mehr,
die Forderungen des Divans abzuweisen, sondern stellten nunmehr selbst An¬
forderungen, die ihnen der Divan nicht gewähren konnte. Die Geschichte der letzten
böhmischen Wezire ist ein Beweis dafür, daß neben dem Koran, seinen Mollahs,
Iwans ^ Muftis und UlemaS kein Fortschritt möglich sei.

Auch der gegenwärtige, schon seit 1849 währende Aufstand in Bosnien
hatte denselben Ursprung, wie alle die vorhergehenden -- die Pforte verlangte
Recruten und Steuern, und machte der Raja einige durch den Chatti-Scherif von
Gülhane begründete" Zugeständnisse; dagegen erhoben sich nun die Spahije und
hatten an dem Wezir Tahir-Pascha und dessen Nachfolger Hases-Pascha geheime
Bundesgenossen gewonnen. Die Anarchie wurde noch großer als vorher, und schien,
wegen der Konstellationen in der Moldau und der Walachei, gefährlicher als jemals.
Daher schickte der Divan den Seraskier von Rumili, Omer-Pascha, den besten
türkischen General, zur Bekämpfung des Aufstandes nach Bosnien. Omer-Pa-
scha's Erscheinen in Bosnien veränderte die Sitttation gänzlich, und der Aufstand,
welchem Anfangs gewiß kein positives Motiv zu Grunde lag -- es sei denn,
daß man die Aufrechthaltung der herkömmlichen Anarchie als solches wollte gelten
lassen -- gewann eine ganz neue Gestalt. , ,

Omer-Pascha ist ein Serbe aus dem Ognliner Grenzregimente und hatte
ehemals in der östreichischen Armee gedient. Ein von seiner Familie geführter
und ungerechter Weise zu deren Nachtheile entschiedener Proceß empörte das Recht-
lichkeitsgefühl des jungen Latas -- dies ist Omer-Paschas Familienname der
Art, daß er den Militairdienst aufgab und nach der Türkei ging, wo er sich als
Militair auszeichnete und stufenweise bis zur Würde eines Muschir's (Marschall's) und
Rumili-Seraskier's (Generalissimus in dem europäischen Antheile der Türkei) her¬
aufstieg.

Omer-Pascha steht im kräftigsten Mannesalter (er ist etwa 45 Jahre alt),
hat eine tüchtige militairische Bildung sich angeeignet, spricht und schreibt außer


ihre Jauitscharenvorrechte in Gefahr, und sie übten die Lehre -vom gesetzlichen
Widerstande zum großen Schrecken des Divans praktisch und sehr nachdrücklich.
Als aber durch den sentimentalen Chalti-Scherif von Gülhaue der Divan für
die Christen Partei zu nehmen schien, wurde der Egoismus und Fanatismus der
alttürkischen Partei aufs höchste erbittert, und der Widerstand gegen den Divan
wurde ein Gebot Gottes. Natürlich wußten auch idie böhmischen Türken diese
Chancen meisterlich auszubeuten; die von der Pforte eingesetzten Wezire und
Paschen standen ohnehin der alttürkischcu Partei näher als dem Divan, Bestechung
und Ueberredung machten das Uebrige. Zogen die Wezire gegen die Insurgen-
ten in's Feld, so ließen sie sich für gutes Geld schlagen und meldeten nach Stam-
bul, daß sie Nichts auszurichten vermöchten, was man ihnen Kor Ars mal xrs
glauben mußte. Die Jnsurgenten behielten ihre Vorrechte, und wurden durch
ihre steten Erfolge immer anmaßender und dreister; sie begnügten sich nicht mehr,
die Forderungen des Divans abzuweisen, sondern stellten nunmehr selbst An¬
forderungen, die ihnen der Divan nicht gewähren konnte. Die Geschichte der letzten
böhmischen Wezire ist ein Beweis dafür, daß neben dem Koran, seinen Mollahs,
Iwans ^ Muftis und UlemaS kein Fortschritt möglich sei.

Auch der gegenwärtige, schon seit 1849 währende Aufstand in Bosnien
hatte denselben Ursprung, wie alle die vorhergehenden — die Pforte verlangte
Recruten und Steuern, und machte der Raja einige durch den Chatti-Scherif von
Gülhane begründete» Zugeständnisse; dagegen erhoben sich nun die Spahije und
hatten an dem Wezir Tahir-Pascha und dessen Nachfolger Hases-Pascha geheime
Bundesgenossen gewonnen. Die Anarchie wurde noch großer als vorher, und schien,
wegen der Konstellationen in der Moldau und der Walachei, gefährlicher als jemals.
Daher schickte der Divan den Seraskier von Rumili, Omer-Pascha, den besten
türkischen General, zur Bekämpfung des Aufstandes nach Bosnien. Omer-Pa-
scha's Erscheinen in Bosnien veränderte die Sitttation gänzlich, und der Aufstand,
welchem Anfangs gewiß kein positives Motiv zu Grunde lag — es sei denn,
daß man die Aufrechthaltung der herkömmlichen Anarchie als solches wollte gelten
lassen — gewann eine ganz neue Gestalt. , ,

Omer-Pascha ist ein Serbe aus dem Ognliner Grenzregimente und hatte
ehemals in der östreichischen Armee gedient. Ein von seiner Familie geführter
und ungerechter Weise zu deren Nachtheile entschiedener Proceß empörte das Recht-
lichkeitsgefühl des jungen Latas — dies ist Omer-Paschas Familienname der
Art, daß er den Militairdienst aufgab und nach der Türkei ging, wo er sich als
Militair auszeichnete und stufenweise bis zur Würde eines Muschir's (Marschall's) und
Rumili-Seraskier's (Generalissimus in dem europäischen Antheile der Türkei) her¬
aufstieg.

Omer-Pascha steht im kräftigsten Mannesalter (er ist etwa 45 Jahre alt),
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/194>, abgerufen am 31.05.2024.